Kosmetik-Startup Nebenwirkung von Augentropfen lässt Haare wachsen

Lange Wimpern, kräftige Brauen, Hoffnung für Glatzen: wie ein Startup die Nebenwirkungen eines Medikaments vermarktet.

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Wachsen lassen, was nicht wachsen will - Nach Wimpern will sich das Start-up ums Haupthaar kümmern Quelle: Fotolia

Theo Waigel gehört nicht zur Zielgruppe – das wilde Wachstum seiner Augenbrauen ist das markanteste Kennzeichen des früheren Bundesfinanzministers. Nach Waigels Devise, „alles so lassen, wie es der liebe Gott geschaffen hat“, lebt die Mehrheit aller Männer. Frauen sind da anspruchsvoller. Die Brauen werden gezupft, die Konturen mit dem Stift nachgezogen, die Wimpern sollen lang und seidig glänzend sein, wie bei Kleopatra. Notfalls wird mit künstlichen Wimpern nachgeholfen. Wer den Kleber nicht verträgt, braucht viel Selbstbewusstsein, um sich nicht als Mauerblümchen zu fühlen.

Genau bei diesem Gefühl setzt das Kosmetikunternehmen M2 Beauté aus Köln an. Das 2008 gegründete Startup entwickelt, produziert und vertreibt sogenannte Wirkstoffkosmetik, die einen alten Menschheitstraum erfüllen soll: Sie bringt zum Wachsen, was nicht (oder nicht mehr) wachsen will – in diesem Fall Wimpern und Augenbrauen. Das kleine Unternehmen hat eine Marktlücke getroffen. „Wir haben vom ersten Tag an schwarze Zahlen geschrieben und unseren Umsatz jedes Jahr verdoppelt“, sagt Geschäftsführer Uwe Moysies. „Für 2013 erwarten wir ein Gesamtvolumen im guten zweistelligen Millionenbereich.“

Die umsatzstärksten Medikamente der Welt
Platz 10: MabTheraDer Wirkstoff nennt sich Rituximab. Das Medikament wird für die Behandlung von Lymphomen eingesetzt. In der EU vertreibt Roche es unter dem Handelsnamen MabThera, in den USA heißt es Rituxan. 2013 brachte es rund 6,26 Milliarden Dollar ein. Das waren 5,7 Prozent mehr als im Vorjahr.Bild: Roche Pharma AGDatenquelle: IMS Health Quelle: Presse
Platz 9: CymbaltaDer Wirkstoff dieses Medikaments heißt Duloxetin. Dabei handelt es sich um ein Mittel, das bei Depressionen und Angststörungen eingesetzt wird. Vermarktet wird es von Eli Lilly; der Firma spülte es im Jahr 2013 6,46 Milliarden Dollar in die Kassen - eine Steigerung um 13,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.Bild: Lilly Deutschland GmbH Quelle: Presse
Platz 8: RemicadeRemicade ist der Handelsname von Infliximab. Dabei handelt es sich um einen Antikörper, der das Immunsystem vielfach beeinflusst. Eingesetzt wird das Medikament vor allem gegen Rheuma-Erkrankungen. In Deutschland wird es von MSD vertrieben. 2013 erzielte es einen Umsatz von rund 7,68 Milliarden Dollar - 7,8 Prozent mehr als im Vorjahr.Bild: MSD Sharp & Dohme GmbH Quelle: Presse
Platz 7: AbilifyOtsuka Pharmaceuticals vertreibt das Arzneimittel Aripiprazol unter dem Namen Abilify. Es wird zur Behandlung von Schizophrenie eingesetzt. Mit 7,83 Milliarden Dollar in 2013 landet es auf Rang sieben. Das entspricht einem um 14,6 Prozent höherer Umsatz als noch im Vorjahr.Foto: "Abilify bottle" by Eric Gingras, via Wikipedia Quelle: Creative Commons
Platz 6: NexiumDas Magenmittel von AstraZeneca mit dem Wirkstoff Esomeprazol  liegt im Mittelfeld bei den Top-Ten-Präparaten. Der Umsatz 2013 lag bei 7,86 Milliarden Dollar - ein Plus von 7,0 Prozent.Bild: AstraZeneca Quelle: Presse
Platz 5: Lantus Lantus wird von Sanofi-Aventis hergestellt. Es enthält "Insulin glargin" und wird zur Behandlung von Diabetes eingesetzt. Mit einem Zuwachs von 23,3 Prozent legte es die stärkste Steigerung innerhalb der Top Ten hin. Umsatz 2013: 7,94 Milliarden Dollar. Quelle: dpa
Platz 4: Enbrel7,95 Milliarden Dollar Umsatz (plus 8,7 Prozent) machte dieses Medikament von Pfizer. Der Wirkstoff Etanercept wird zur Behandlung von Rheuma und der entzündlichen Hautkrankheit Psoriasis eingesetzt. Quelle: AP

Von der Nebenwirkung zum Wimpern-Wunder

Was der ehemalige IT-Unternehmer Moysies zusammen mit seinen knapp 20 Mitarbeitern erfolgreich an die Frau bringt, funktioniert offenbar. Das Institut Dermatest in Münster hat die Wirkung bestätigt. Von einem „Wimpern-Wunder“ schreibt die Frauenzeitschrift „Madame“, einen „Wachstumsbooster“ hat die deutsche „Vogue“ ausgemacht. Die Foren-Einträge auf einschlägigen Internet-Seiten gehen in die gleiche Richtung: „Das beste Produkt, was es auf dem Markt gibt“, schwärmt etwa Purzel2301 auf gofeminin.de.

Genauso interessant wie das Produkt ist die Geschichte dahinter. Denn was M2 Beauté verkauft, ist eigentlich die Nebenwirkung des US-Arzneimittels Lumigan. Die Augentropfen helfen gegen grünen Star, fördern aber auch das Haarwachstum. Das Wissen um die haarige Nebenwirkung brachte eine Freundin von Uwe Moysies 2007 aus den USA mit. Die Visagistin hatte durch ihren Job davon gehört.

Innovationsmanagement

Die Hits in der Hausapotheke
Platz 10: Grippostad von Stada Quelle: dpa
Platz 9: Aspirin plus C Quelle: dpa
Platz 8: Dolormin Quelle: PR
Platz 7: ACC Quelle: dpa
Platz 6: Aspirin Quelle: dpa
Platz 5: Thomapyrin Quelle: dpa
Platz 4: Bepanthen Wund- und Heilsalbe Quelle: dpa

Um aus der Idee ein Geschäft zu machen, war Eile nötig. „Wir mussten damit rechnen, dass jemand anders den gleichen Einfall hat“, erinnert sich Moysies. Die Tropfen mussten so verändert werden, dass sie nicht mehr als Arzneimittel gelten, der Kosmetikverordnung entsprechen und keine Nebenwirkungen verursachen, den gewünschten Effekt auf Wimpern und Augenbrauen aber behalten. Gleichzeitig mussten ein Partner für Produktion und Logistik sowie ein Vertriebs- und Marketingkonzept her.

Den Mann, der sich darum kümmern sollte, fanden die Moysies in der eigenen Familie: ihren Schwiegersohn Frank Zurlino. Der Unternehmensberater, im Hauptjob Partner der Düsseldorfer Strategieberatung Horn & Company und davor Chef der IBM-Consulting in Deutschland, hatte das nötige Geld und Know-how. Heute ist der 48-Jährige Hauptinvestor und Aufsichtsrat von M2 Beauté „Ich hatte kurz vorher ein Buch über Innovationsmanagement geschrieben, wollte aber schon immer mal was Praktisches machen.“

Hoffnung für kahle Häupter?

Das brachte den frischgebackenen Unternehmer zu Beginn tüchtig ins Schwitzen. Zurlino hatte das Startkapital investiert, kurz bevor die US-Investmentbank Lehman pleiteging: „Kein schönes Gefühl, das war ein ordentlicher Teil unserer Ersparnisse.“ Um sein Geld muss sich Zurlino keine Sorgen mehr machen. M2 Beauté ist der Einstieg in ein Geschäft gelungen, das sich lohnt: Hersteller von Wirkstoffkosmetik arbeiten mit Margen „im deutlich zweistelligen Prozentbereich“, so Zurlino.

Zu kaufen gibt es die Präparate in 30 Ländern, vertrieben werden sie über Parfümerieketten wie Douglas, Schönheitskliniken oder über exklusive Kaufhäuser wie das KaDeWe in Berlin, Harrods in London oder Gum in Moskau. M2 Brows für Augenbrauen und M2 Lashes für Wimpern kosten jeweils gut 120 Euro. Die Ampullen mit fünf Milliliter Inhalt reichen für rund drei Monate, „erste Ergebnisse sieht man nach etwa fünf Wochen“, versprechen Moysies und Zurlino. Damit der Erfolg bleibt, muss frau dranbleiben – Kundenbindung, die von allein funktioniert.

Ideen für neue Produkte haben die beiden schon: Mit der Wiederaufforstung von Männer-Glatzen ließen sich Millionen verdienen. Aber noch müssen sich die Betroffenen gedulden: „Grundsätzlich könnte das funktionieren, aber die Entwicklung ist noch nicht marktreif“, sagt Zurlino.

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