Künstliche Organe Herz und Niere aus dem Drucker

Forscher können erste Gewebe mit 3-D-Schichtdruckverfahren herstellen. Weltweit warten Millionen schwer kranker Menschen auf solche lebensrettenden biologischen Ersatzteile.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Organdrucker Quelle: Illustration: Nicholas Blechman

Wenn Lothar Koch seinen Drucker neu belädt, greift er nicht zu gewöhnlichen Farbkartuschen. Der Physiker am Laser Zentrum Hannover füllt stattdessen eine noch sehr seltene Tinte nach: Stammzellen. So ungewöhnlich wie die Füllung ist auch der Drucker selbst, den Koch und seine Kollegen entwickelt haben. In seinem Auswurfschaft liegen keine Schriftstücke und Abbildungen, sondern biologisches Gewebe. Eines Tages soll er ganze Herzen ausspucken.

Derzeit schafft er immerhin schon lebende Gewebestückchen im Euro-Format. Kochs Ziel: „Bis in drei Jahren wollen wir handtellergroße Herzmuskellappen als Reparaturstücke drucken können.“

Die könnte sein Kooperationspartner, der Organzuchtpionier und Herzchirurg Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover, gut gebrauchen. „Mit solch einem Stück Herzmuskel ließen sich die meisten Infarkte reparieren“, sagt Haverich. Allein in Deutschland kämen pro Jahr rund 240 000 Patienten, die einen Herzinfarkt überlebten, für solch eine Therapie infrage. Und für Kinder mit Herzfehlern könnten Chirurgen schon aus kleineren, etwa fünfmarkstückgroßen Gewebelappen neue Herzkammern modellieren.

Organe und Gewebe wie am Fließband – Herzen, Lebern, Nieren und Adern frisch aus dem Drucker: Das ist nicht nur die Vision der hannoverischen Wissenschaftler Koch und Haverich. Es ist der Traum von Medizinern, Biologen und Lasertechnikern weltweit. Und seit wenigen Monaten gelingt es Forscherteams tatsächlich, mit sogenannten Schichtdruckverfahren anhand eines originalgetreuen Bauplans Gewebe wie Adern dreidimensional nachzubilden. Wenn dasselbe bald mit Organen gelingen sollte, wäre das eine medizinische Sensation. Denn seit Jahren herrscht auf diesem Sektor der Notstand: Abertausende von schwer kranken Menschen warten auf lebensrettende Spenderorgane und Ersatzgewebe. In Deutschland standen nach Angaben der europäischen Organvermittlungsagentur Eurotransplant Anfang des Jahres 11 594 Patienten auf der Warteliste für ein Ersatzorgan.

Seit Jahren versuchen Forscher wie Haverich deshalb, Organe im Labor zu züchten, indem sie Zellen auf dreidimensionalen Unterlagen aus Kunststoff oder tierischen Kollagengerüsten wachsen lassen. Doch sei es äußerst schwierig, die verschiedenen Zelltypen in einer vorgefertigten 3-D-Struktur genau dorthin zu dirigieren, wo sie später einmal anwachsen sollen, sagt der Organzuchtpionier. Er beschäftigt in seinem Exzellenzcluster „Rebirth“ gut 130 Forscher mit solchen Fragestellungen.

Die Aufgabe ist nicht trivial: So werden Muskelzellen vor allem an der Herzaußenwand gebraucht, Zellen, die Adern oder Nerven bilden, sollen mitten durch das Muskelgewebe wachsen – und Endothelzellen, die Adern und Herzkammern auskleiden, dürfen sich nur auf der Innenseite dieser Hohlräume ansiedeln.

Drucken statt züchten

Axel Haverich Quelle: Pressebild

Statt die Zellen wie bisher in der Organzucht von selbst wandern zu lassen und mit biochemischen Signalstoffen an den idealen Ort in dem Organgerüst zu locken, verfielen mehrere Forschergruppen nun darauf, die Zellen mit Druckern an Ort und Stelle zu katapultieren. Als Vorbild dienen hochmoderne 3-D-Druckverfahren, die schon in vielen Produktionsbereichen Einzug gehalten haben.

Das Prinzip ist immer dasselbe: Eine Konstruktionszeichnung wird mithilfe eines Schichtdruckverfahrens computergesteuert in ein dreidimensionales Gebilde übersetzt. Dabei wird zum Beispiel feines Kunststoffgranulat mit einem energiereichen Laserstrahl gezielt dort ausgehärtet, wo feste Strukturen entstehen sollen. Der Laserstrahl arbeitet sich dabei Zeile für Zeile und Schicht für Schicht durch das zu konstruierende Werkstück.

Waren es anfangs nur grobe Prototypen, die so schnell und kostengünstig produziert werden konnten, lässt sich mit 3-D-Druckern heute so ziemlich alles herstellen – von der Designerlampe bis zum Keksrohling. Warum also nicht auch biologische Gewebe und komplexe Organe?

Dasselbe mit lebenden Zellen zu tun, was Konstrukteure sonst mit Kunststoff, Gips oder anderen unbelebten Werkstoffen veranstalten, schien lange Zeit unmöglich. Denn Zellen, die Gewebe aufbauen sollen, sind meist sehr empfindlich.

Massgefertigte Ersatzteile

Zuerst gelangen deshalb starre – und zellfreie – Strukturen wie Zahnersatz und Knochen. So stellten Susmita Bose und ihr Mann Amit Bandyopadhyay von der Washington State University Ende 2011 ihren Knochendrucker vor: Er formt aus Knochenersatzmaterial genau jene Knochenstücke, die bei einem Patienten etwa durch einen Unfall, eine Operation oder einen Tumor verloren gegangen sind. Sobald das Gerät für den Einsatz am Menschen zugelassen ist, können solche Ersatzteile Patienten eingepflanzt werden. Innerhalb weniger Wochen sollen die menschlichen Knochenzellen dann in den Kunstknochen einwandern, der sich selbst allmählich abbaut. Zumindest in Tierversuchen funktioniert das perfekt. In wenigen Jahren schon könnten solche Geräte in Kliniken stehen.

Die Idee ist bestechend: Der Operateur macht ein Röntgenbild vom Patienten und schickt es einem Fachmann, der sich auf das Computer Aided Design (CAD) versteht. Der wiederum erstellt eine Computervorlage für den Knochendrucker. Und der druckt im Handumdrehen das benötigte Knochenstück aus.

Genau so erhoffen sich Chirurgen wie Haverich das auch für Organe und Adern. Sein Plan für die Zukunft sieht so aus: Dem Patienten, der ein Ersatzorgan braucht, werden Stammzellen aus dem Beckenknochen entnommen – und schon in 24 Stunden wäre sein Ersatzorgan nachgedruckt. So lange, schätzen die Hannoveraner, würde es etwa dauern, bis ein Herz Schicht für Schicht aufgebaut wäre. Allerdings stellen flexible Strukturen von Herz oder Leber deutlich größere Hürden dar als Knochen.

Inzwischen haben Polymerforscher aber einen Weg gefunden, mithilfe von Laserstrahlen beliebige 3-D-Strukturen als flexible Kunststoffvorlagen für solche weichen Organe herzustellen. Zwei- oder Multiphotonenpolymerisation nennen sie das. Dabei sorgen Laserpulse, die punktgenau in eine Flüssigkeit aus Kunststoffvorstufen gelenkt werden, dafür, dass einzelne Moleküle sich genau an dieser Stelle zu einem langkettigen Kunststoffmolekül verbinden.

Forscher wie Koch sind sogar schon so weit, dass sie aus biologischen Materialien Organvorlagen kreieren können. Dazu machen sie sich das Prinzip zu eigen, mit dem der Körper Blutungen stoppt. Verantwortlich dafür sind der Blutgerinnungsfaktor Fibrinogen und das Enzym Thrombin. Im Biodrucker wird eine Schicht gelartiges Fibrinogen aufgetragen und darauf das gewünschte Muster mit Thrombin gedruckt. Dort, wo beide Moleküle zusammentreffen, bildet sich ein winziges Blutgerinnsel, das Gelee härtet aus. Schicht für Schicht wird so eine 3-D-Struktur gedruckt.

Adern als Meterware

Organovo Quelle: Pressebild

Der Vorteil des Biomaterials laut Koch: „Wird dem Patienten etwas Blut dafür abgenommen, ist auch dieses Grundgerüst für sein Ersatzorgan körpereigen und sollte keine Abstoßungsreaktionen hervorrufen.“

Bleibt die Frage, wie die Zellen nun in so ein Gerüst kommen. Das vom US-Forscher Gabor Forgacs gegründete Unternehmen Organovo aus Kalifornien setzt sie dazu zu kleinen Zellklümpchen – den Sphäroiden – zusammen. Diese werden dann in Glasröhren angeordnet. Die so beladene Zell-Kartusche wird in einen speziellen Drucker gesteckt, der die Zellen Schicht für Schicht herausschiebt. Das Ziel der Aktion ist eine Ader. Um der entstehenden Struktur Halt zu geben, wird zwischen jede Zellschicht eine stabile Gelschicht eingefügt.

Dieses bisher einzige kommerzielle Verfahren steht aber noch am Anfang: Die so hergestellten Adern können noch nicht als Meterware von Ärzten geordert werden.

Statt Zellklümpchen aus einer Glasröhre zu schieben, verfolgen Forscher aus Japan, Großbritannien und den USA das Prinzip des Tintenstrahldruckens. Statt aus winzigen Tintendüsen werden die empfindlichen Zellen aus pipettengroßen Spritzen quasi in die Vorlage hineingespuckt.

Das bekommt jedoch nicht allen Zellen, wie die Forscher feststellten. So bringen Kräfte, die beim Austreten durch die engen Pipettenspitzen auf die Zellen wirken, manche von ihnen um. Und die unsanfte Landung, wenn sie auf die Organvorlage klatschen, gibt anderen den Rest.

Tintenstrahl aus Zellen

Dennoch scheinen genügend Zellen das Drucken zu überstehen. Jedenfalls konnten einige Forschergruppen mit dieser Technik dreidimensionale Zellstrukturen drucken. Allerdings habe sich bisher noch nie echtes Gewebe gebildet, mäkelt Laserspezialist Koch, sondern lediglich ein Zellkonglomerat. Das Kennzeichen dafür, dass Zellen einen Gewebeverband bilden, sind Kontaktstellen, die sie miteinander ausbilden, um kommunizieren zu können.

„Das haben bisher nur wir mit unserer Laserdrucktechnik geschafft“, sagt Koch. Was er und drei weitere Arbeitsgruppen in Frankreich und den USA versuchen, hat mit dem Tintenstrahlprinzip nichts mehr zu tun. Koch schießt die Zellen mithilfe von Laserpulsen auf die Vorlage.

Was brutal klingt, scheint den Zellen gut zu bekommen. Denn Koch und seine Kollegen maßen eine Überlebensrate der Zellen von nahezu 100 Prozent. Dabei sind die Zellen auch bei diesem Verfahren schnell unterwegs, wie Koch beschreibt: „Sie haben etwa das Tempo eines Ferraris.“

Strudelprinzip für Adern

Neben den Herzmuskellappen will Koch auch Adern drucken. Allerdings sollen die eher flächig aufgebaut und dann wie ein Strudelteig gerollt und an der Seite vernäht werden. Das sei technisch kein Problem, voraussichtlich schnell zu verwirklichen und medizinisch ein echter Gewinn, sagt der Herzchirurg Haverich.

Er fragt sich schon seit Jahren, warum er Patienten, die eine Umleitungsader für verstopfte Gefäße – einen Bypass – brauchen, neben dem Herzen auch das Bein aufschneiden muss. Bisher wird dort eine große Ader entnommen, um sie am Herzen anzunähen. Doch damit schaffe er im Bein ein neues Problem, um ein bestehendes im Herzen zu beheben, sagt Haverich: „Das würde ich gerne in Zukunft vermeiden.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%