Längere Laufzeit der Kernkraftwerke Wo sollen die neuen Brennstäbe herkommen?

Brennstäbe sind mit Uran gefüllte, verschweißte Rohre. Wie schnell bekommen Deutschlands Atomkraftwerke diese als Nachschub? Quelle: imago images

Olaf Scholz will die verbleibenden AKW länger laufen lassen. Sollten neue Brennstäbe vonnöten sein, wären die gar nicht so leicht zu beschaffen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Die Grünen ließen bislang mit ihrer Position keine Fragen offen. „Neue Brennstäbe sind die rote Linie“, sagte Parteichefin Ricarda Lang. Doch nun hat Bundeskanzler Olaf Scholz ein Machtwort gesprochen und nutzt seine Richtlinienkompetenz, um die verbleibenden drei deutschen Atomkraftwerke bis maximal Mitte April kommenden Jahres weiterlaufen zu lassen. Ohne neue Brennstäbe gibt es – mit Ausnahme einer technischen Besonderheit bei dem E.On-Kraftwerk Isar 2 – jedoch keine Verlängerung der Laufzeiten. Doch wo sollen die neuen Brennstäbe herkommen? Und wie schnell wären die beschaffbar? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Wofür braucht man Brennstäbe in Atomkraftwerken genau?

Grundsätzlich wird in einem Kernkraftwerk Strom durch Kernspaltung erzeugt. Uran wird gepalten, um Wasser zu erhitzen und Wasserdampf zu gewinnen. Der Wasserdampf treibt Turbinen an, die über einen Generator Strom erzeugen. Brennstoff ist das radioaktive Schwermetall Uran, das, angereichert, in Brennstofftabletten gepresst wird. Diese Tabletten werden in Metallrohren, den Brennstäben, eingeschlossen, im Prinzip also mit Uran gefüllt und dann verschweißt. Alle drei in Deutschland derzeit noch aktiven Reaktoren – Isar 2 (Preussen Elektra beziehungsweise E.On), Neckarwestheim (EnBW) und Emsland (RWE) – sind so genannte Druckwasserreaktoren.

Verliert ein Brennelement mit einem Schlag seine Leistung – oder geht das langsam?

Damit ein Reaktor Energie erzeugen kann, muss sich das Brennelement in einem stabilen kritischen Zustand befinden. Das heißt, die Kettenreaktion der Kernspaltung darf sich weder beschleunigen, noch darf sie zusammenbrechen. Das wird über sogenannte Regelstäbe gesteuert. Je älter ein Brennelement ist, desto stärker wird der Regelstab ausgefahren, erklärt Christian Reiter, Leiter Reaktorphysik am Forschungsreaktor der TU München. Ist der Stab irgendwann bis zum Anschlag ausgefahren, bricht die Reaktion tatsächlich auf einen Schlag zusammen. Die Brennstäbe müssen erst wieder mit frischem Uran 235 angereichert werden, um weiterlaufen zu können. Gewöhnlich werden nicht alle Brennelemente gleichzeitig ersetzt, sondern nur das Drittel, das am stärksten abgebrannt ist. Dafür werden die Elemente im Reaktorkern bei einer sogenannten Revision umsortiert. Die neuen Elemente mit der stärksten Reaktion kommen in die Mitte, die schwachen an den Rand. 

Warum muss man Uran eigentlich anreichern?

Uranerz aus dem Boden enthält, wenn es gefördert wird, weniger als zwei Prozent Uran, leicht spaltbar ist nur das sogenannte Uran 235, dessen Anteil im natürlichen Uran gewöhnlich nur bei 0,7 Prozent liegt. Um Uran für Atomkraftwerke nutzen zu können, muss Uran 235 also angereichert werden, bis im Uran etwa fünf Prozent des spaltbaren Isotops stecken. Für neuartige Reaktoren, wie sie die USA entwickeln, werden sogar 20 Prozent benötigt. In diesem Fall wird von hoch angereichertem Uran gesprochen. Für die Anreicherung werden Zentrifugen verwendet, die das schwerere Uran 238 vom leichteren Uran 235 nach und nach trennen. 

Wer kann Uran anreichern?

Im Westen gibt es zwei relevante Unternehmen, die die Urananreicherung beherrschen. Das deutsch-niederländisch-britische Unternehmen Urenco, an dem auch E.On und RWE beteiligt sind, ist außerhalb von Russland der weltgrößte Anbieter von Urananreicherung. Laut der Weltnuklearorganisation hat das Unternehmen 30 Prozent der weltweiten Kapazität. Das französische Unternehmen Areva kommt auf zwölf Prozent.

Welche Unternehmen können die Brennstäbe liefern?

Es gibt weltweit eine ganze Reihe von Unternehmen, die Brennstäbe herstellen und liefern können. Für Deutschland sind der französische Hersteller Framatome, der eine Fabrik in Lingen betreibt, sowie die amerikanisch-schwedische Firma Westinghouse von besonderer Bedeutung. Auf Anfrage hat allerdings keines der Unternehmen geantwortet, um zu erläutern wie lange die Lieferung von Brennstäben denn nun genau dauern würde.

von Max Haerder, Bert Losse, Cordula Tutt

Wie schnell wären Brennstäbe nach Deutschland lieferbar?

Ursprünglich hatten die Betreiber eine Lieferzeit von 12 bis 15 Monaten angegeben. Laut einigen Berichten hat die Bundesregierung dann aber noch einmal bei Westinghouse angefragt und die Information erhalten, dass man unter Umständen auch früher liefern könne. Vom Branchenverband Kerntechnik Deutschland heißt es nun auf WiWo-Anfrage, „frische Brennelemente“ könnten in Abhängigkeit von möglicherweise bereits getätigten Vorleistungen innerhalb von „sechs oder sieben Monaten beziehungsweise ansonsten innerhalb von etwa 12 Monaten verfügbar sein.“

Wenn man jetzt bestellen würde: Müssten die Kraftwerke dann im April trotzdem runtergefahren werden?

Im Kern geht es hier um die Frage, ob durch das lange Zuwarten der Bundesregierung bei der Brennstäbebestellung das Fenster sich nicht ohnehin schließt, die Kernkraftwerke ohne längere Unterbrechungen weiter laufen zu lassen. Dazu heißt es vom Interessenverband Kerntechnik Deutschland, dass ein „unterbrechungsfreier Betrieb im kommenden Jahr aufgrund der verstrichenen Zeit tendenziell nicht mehr möglich“ sei. Allerdings könne diese Unterbrechung „recht kurz“ ausfallen, wenn bestimmte Komponenten, die für die Herstellung von Brennelementen wichtig seien, vorab bestellt würden, also: Jetzt. Außerdem gebe es für das Kernkraftwerk Isar 2 noch die technische Möglichkeit, den „Streckbetrieb um eine zweite Phase durch Neuarrangement der Brennelemente aus Kern und Abklingbecken“ zu verlängern, um eine Produktionsunterbrechung bis zur Lieferung frischer Elemente zu verkürzen. „Für den Fall Einsatzreserve hatte man sich allerdings in den Eckpunkten gegen diese Möglichkeit entschieden.“ Diese „Eckpunkte“, die vom Wirtschafts- und Klimaministerium (BMWK) und von den Betreibern E.On und EnBW Ende September festgelegt worden sind, beschreiben das genaue Vorgehen beim Einsatz der Kernkraftwerke als Reserve.



Was müsste geschehen, um Produktion und Lieferzeit zu beschleunigen?

Vom Branchenverband heißt es, dass die Lieferzeiten nicht weiter als bis auf sechs oder sieben Monate verkürzbar seien. Aber selbst dafür müssten eben schon Voraussetzungen erfüllt sein. Das sei der „untere Rand“ der Frist und nicht „mehr substanziell verkürzbar“. „Dies ist allerdings der Bundesregierung seit etwa sieben Monaten bekannt.“

Was sind die begrenzenden Faktoren bei der Produktion und Lieferung von Brennstäben?

Die Fertigung von Brennelementen sei nur der „letzte Schritt in der Prozesskette des so genannten Front End des Kernbrennstoffkreislaufs“, heißt es vom Branchenverband. Die Brennelement-Typen für die Reaktortypen seien spezifisch, auch der Anreicherungsgrad und andere Parameter müssten auf den „zum Zeitpunkt der Neubeladung erwarteten Kernzustand angepasst sein.“ Ein Beispiel zeigt, wie die Konfiguration von Brennelementen in einem einzelnen Kernkraftwerk aussehen kann: Im Kraftwerk Isar 2 befinden sich 193 Brennelemente mit je 324 Brennstäben. Darüber hinaus, auch das betont der Verband, benötigten die Brennelemente als sicherheitsrelevante Komponenten eine behördliche Abnahme. Aus all diesen Gründe könne das Verfahren nicht beliebig beschleunigt werden.

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Wie lange können Brennstäbe laufen?

Drei Jahre oder auch länger, dann gelten sie als abgebrannt. Im so genannten Abklingbecken müssen sie danach bis zu fünf Jahre lange gekühlt werden, bevor sie in Spezialbehältern in Zwischen- oder Endlager gebracht werden oder in eine Wiederaufbereitungsanlage. Ein Endlager gibt es in Deutschland nicht.

Lesen Sie auch: Auf auf Ihrem Parteitag sind die Grünen beim kategorischen Nein zu einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke geblieben. Hier lesen Sie, wie WiWo-Autorin Cordula Tutt diese Entscheidung bewertet.

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