
Tausende Kilometer trennen das idyllische Haselünne von der High-Tech-Hochburg Silicon Valley. Und doch gibt es Parallelen: Im Emsland erfanden die Berentzen-Brüder Friedrich und Hans 1976 den Apfelkorn, just in dem Jahr, als Steve Jobs Apple gründete. Und wie Jobs die Computerbranche umkrempelte, will es ihm Christian Berentzen bei Getränken gleichtun. Der Sohn des Apfelkorn-Erfinders Friedrich Berentzen ist bekennender Fan von Jobs und setzt für seine Revolution auf Stevia. Die südamerikanische Pflanze ist 300-mal so süß wie Zucker und hat keine Kalorien. Damit stellt Berentzen, der die Firmenmehrheit 2008 verkauft hat, unter der Marke Limuh Fruchtsäfte und Getränke für Kinder her.
Erst vor einem Jahr wurde Stevia von der EU als Süßungsmittel zugelassen. Experten wie der Agrarwissenschaftler Udo Kienle von der Universität Hohenheim sehen in dem aus Honigkraut gewonnenen Stoff schon den "Zucker des 21. Jahrhunderts". Doch die Lebensmittelriesen experimentieren bisher nur zögerlich auf einzelnen Testmärkten. Denn aufgrund der enormen Süße und eines leicht bitteren Eigengeschmacks ist es schwierig, die richtigen Rezepturen zu finden. "Bisher haben sich vor allem kleine Firmen vorgewagt", sagt Frank Gehre, Chef des hannoverschen Marktforschers Inviso. 2013 könnte sich das ändern: Denn Riesen wie Coca-Cola bringen nun Stevia-Produkte auf den Markt.
Stevias Weg in die Lebensmittelproduktion
Bei der belgischen Behörde für Ernährung wird ein Antrag auf Zulassung der Stevia-Pflanze und ihrer getrockneten Blätter als neuartige Lebensmittel/neuartige Lebensmittelzutaten gestellt.
Die Zulassung von Stevia wird aus Gründen der Lebensmittelsicherheit mit Entscheidung 2000/196/EG der Europäischen Kommission verwehrt.
Coca Cola reicht 24 Patente basierend auf Stevia als Süßstoff ein.
In der Schweiz kommt es im Oktober zu provisorischen Einzelbewilligungen für Steviolglycoside gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung über die in Lebensmitteln zulässigen Lebensmittelzusatzstoffe. Kurz darauf wird Stevia in Australien und Neuseeland zugelassen. Auch in den USA wird das Süßungsmittel im Dezember genehmigt.
Frankreich hat per Derkret eine vorläufige Zulassung für einen Zeitraum von zwei Jahren ein Stevia-Extrakt aus zu mindestens 97 Prozent Rebaudiosid A als Süßungsmittel für bestimmte Lebensmittel zugelassen und je nach Art des Lebensmittels sind außerdem unterschiedliche Höchstmengen für den Einsatz von Rebaudiosid A festgelegt. Die Zulassung gilt nur innerhalb Frankreichs.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat eine tägliche Aufnahme von bis zu 4 mg „Stevioläquivalenten“ pro Kilogramm Körpergewicht als unbedenklich bewertet.
Die Zulassung von E 960, das sind Stevioglycoside mit mindestens 95 Prozent-Gehalt, in der gesamten EU. Die Vermarktung der Steviapflanze oder der -blätter ist nicht zugelassen, da (noch) nicht alle Inhaltsstoffe bekannt sind.
Vor der Zulassung war der Pflanzenextrakt nur Eingeweihten ein Begriff, die das weiße Pulver wie eine verbotene Droge im Internet kauften oder im Reformhaus, wo es als Kosmetikprodukt oder Badezusatz "nicht für den Verzehr" vertrieben wurde. Heute wissen schon 46 Prozent der Deutschen, was Stevia ist, wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov im Auftrag der WirtschaftsWoche zeigt. Im Januar lag der Wert erst bei 36 Prozent. Inzwischen hat jeder fünfte Deutsche schon einmal Stevia-Produkte gekauft, ergab die Umfrage.
Mehr als 300 davon stehen in den Lebensmittelregalen, schätzt der Deutsche Süßstoffverband. Dazu gehören Danone-Joghurts, Marmeladen von Schwartau und Zentis oder Pullmoll-Hustenbonbons. Mit etwa einem Drittel dominieren jedoch reine Süßstoffe, die in jedem Supermarkt zu finden sind. Das Geschäft ist lukrativ: Ein Drittel aller Käufer von Stevia-Produkten würde im Schnitt sogar 20 Prozent mehr dafür ausgeben, so eine Inviso-Studie.