Luftfahrt Sind Flugtaxis die nächsten Brennstoffzellen der Börse?

Flugtaxi von Archer: Die urbanen Flieger wecken Fantasien an der Börse – doch Privatanleger sollten vorsichtig sein. Quelle: AP

Flugtaxis ziehen Investoren in Scharen an, auch an der Börse: Nach Archer Aviation folgt jetzt Joby Aviation. Wie groß sind die Chancen, wie hoch die Absturzgefahr?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wie eine riesige Libelle von einem fremden Planeten sieht das Vehikel aus, mit dem Passagiere schon bald über Highways und Städte hinwegfliegen sollen: Das Lufttaxi, das die Gründer Brett Adcock und Adam Goldstein im kalifornischen Palo Alto entwickeln, weckte erst die Fantasien von Luftfahrt-Fans – und nun auch von Anlegern.

Denn Archer Aviation, das Start-up der beiden Luftfahrtpioniere, geht jetzt an die Börse. Unter dem Börsenmantel Atlas Crest Investment betreten die Kalifornier das Parkett. Man wolle ein führendes Unternehmen im Bereich urbaner Luftmobilität werden, ließ Archer verlauten.

Flugtaxis, vor Kurzem noch von vielen belächelt, sind das nächste große Ding in der Luftfahrtbranche. Sie fliegen meist elektrisch, heben senkrecht auch von Hausdächern ab und können Strecken binnen Minuten bewältigen, auf denen Autos länger brauchen oder oft im Stau stehen. Besonders euphorisch schätzen die Analysten der US-Großbank von Morgan Stanley das Marktpotenzial ein: gigantische 1,5 Billionen Dollar im Jahr 2040.

Auch der vielversprechende amerikanische Flugtaxi-Entwickler Joby Aviation hat sich am Mittwoch frisches Kapital beschafft. Das Unternehmen schließt sich mit einem sogenannten Spac zusammen, einer börsennotierten Mantelgesellschaft.

Käufer ist Reinvent Technology Partners (RTP), eine Gesellschaft des LinkedIn-Mitgründers Reid Hoffman. Durch die Transaktion wird Joby Aviation nun mit stolzen 6,6 Milliarden US-Dollar bewertet. Die Übernahme spült Joby Aviation Bruttoerlöse von rund 1,6 Milliarden Dollar in die Kassen, inklusive einer direkten Finanzspritze über 835 Millionen US-Dollar. Hinter dieser Zusatzzahlung stehen strategische und institutionelle Investoren wie zum Beispiel der Mobilitätsdienstleister Uber und The Baupost Group.

Anflug auf die Börse, Abstürze inbegriffen

Mehr als 100 Start-ups weltweit arbeiten an Flugtaxis, in der Branche auch EVotl genannt, kurz für Electric vertical takeoff and landing. Autokonzerne, Airlines und Beteiligungsunternehmen haben mehrere Milliarden Dollar in die jungen Unternehmen gesteckt. 

Im Podcast erklärt Volocopter-Chef Florian Reuter, wie er sich eine Zukunft mit Flugtaxis vorstellt, ob sein Service zum Spielzeug für Reiche wird und wieso er selbst noch nie mit dem „Volocity“ abgehoben ist.
von Beat Balzli

Das aber reicht lange nicht, um den Weg bis zur Marktreife zu finanzieren. Branchenexperten rechnen mit einer Milliarde Dollar und mehr, die für den Aufbau eines Lufttaxi-Unternehmens nötig sind. Dieser enorme Kapitalbedarf lockt die Gründer nun vermehrt an die Börse. 

Dort aber erlebten Aktionäre des chinesischen Flugtaxi-Unternehmens EHang am Dienstag einen Schock. Monatelang war die EHang-Aktie von einem Hoch zum nächsten geklettert, binnen drei Wochen stieg sie Anfang des Jahres fast um 300 Prozent. Nach dem kritischen Bericht eines Shortsellers stürzte die Aktie aber Anfang der Woche um mehr als 60 Prozent ab. Seitdem versucht EHang, die Scherben aufzukehren – durchaus mit Erfolg. Der Kurs legte am Mittwoch immerhin um fast 50 Prozent zu. 

Sind Flugtaxi-Aktien also die nächsten Trend-Investments nach Wasserstoff-Aktien? Steht der jungen Branche ein Mega-Boom bevor? Oder sind die Bewertungen von EHang und Co. jetzt schon überhitzt – wie das Skeptiker auch bei den meisten Wasserstoff-Titeln so sehen?

Per Blankoscheck an die Aktienmärkte

Um schnell an die Aktienmärkte zu gelangen, nutzen die Flugtaxi-Start-ups nicht den klassischen Börsengang – sondern so genannte SPACs. Ein SPAC, die Abkürzung steht für Special Purpose Acquisition Company, ist eine Mantelgesellschaft, die erst Kapital über einen Börsengang einsammelt, um damit in einem zweiten Schritt die Übernahme eines Unternehmens zu finanzieren. Die Käufer eines SPACs stellen also Blankoschecks aus, ohne überhaupt zu wissen, wann welches Unternehmen zu welchem Preis gekauft wird.

In den USA boomen spezielle Anlagevehikel, über die Firmen durch die Hintertür an die Börse kommen. Nun will Rocket Internet mit so einem Börsenmantel Hunderte Millionen einsammeln. Anleger kaufen eine Blackbox.
von Matthias Hohensee, Christof Schürmann

Fast 50 Milliarden Dollar frisches Kapital haben SPACs in den USA aufgenommen – allein seit Jahresanfang. Das ist nach wenigen Wochen in diesem Jahr schon mehr als die Hälfte des gesamten Vorjahresvolumens. Einige Anleger wissen jetzt, dass ihr Geld in Lufttaxi-Unternehmen investiert wird: Neben Archer Aviation stehen mit Blade Urban Air Mobility noch weitere Branchenvertreter unmittelbar vor der Fusion mit einem SPAC. 

Auch die deutschen Hoffnungsträger Volocopter und Lilium werden inzwischen mit SPACs in Verbindung gebracht. Auch wenn die Unternehmen sich nicht in die Karten schauen lassen: „Über Finanzierungsrunden sprechen wird grundsätzlich nur, wenn es so weit ist“, heißt es bei Lilium auf Anfrage.

Volocopter hat jüngst weitere 200 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt. Mit dem frischen Geld solle die Zulassung des VoloCity, des elektrischen Flugtaxis für Städte, beschleunigt werden, kündigte das Unternehmen aus Bruchsal bei Karlsruhe am Mittwoch an.

„Durch unsere Partnerschaften können wir auf die notwendige Expertise zurückgreifen, um in den nächsten Jahren die ersten Strecken zu eröffnen“, sagte Firmenchef Florian Reuter. Angaben zur Firmenbewertung wurden nicht gemacht. Der Flugtaxi-Entwickler Lilium aus München wird inzwischen mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet.

Bisher war Volocopter mit insgesamt 122 Millionen Euro finanziert. Alle bestehenden Investoren wie unter anderem die Logistiktochter der Deutschen Bahn, Intel, Daimler und Geely beteiligten sich an der neuen Finanzierungsrunde.
Neu an Bord sind Continental AG, der Vermögensverwalter Blackrock, Avala Capital, Atlantia, NTT und Tokyo Century. „Unsere Gesellschafterstruktur bleibt mit einer weltweiten Mischung aus strategischen und Finanzinvestoren ausgewogen und damit ein Abbild unserer globalen Ambitionen“, sagte Finanzchef Rene Griemens.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%