Es wäre ein weiterer Einsatz in der Medizin. Da kommt Material mit Gedächtnis längst nicht mehr nur bei Stents zum Einsatz, deren Drahtgeflecht sich im Körper verformt und so die Blutgefäße offen hält. Auch beim Bau von Handprothesen setzen Wissenschaftler wie Lars Oelschläger, Professor an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven, auf die cleveren Werkstoffe. Damit sollen Patienten etwa Tassen heben, ohne dass Elektromotoren unangenehm surren und Mitmenschen irritiert auf die Kunsthand starren. Zudem lassen sich die Prothesen kleiner als solche mit Motoren bauen, damit sie auch Kindern passen.
Gedächtnisfäden aus Metall übernehmen in der Kunsthand aber nicht nur die Rolle der Muskeln. Denn weil ihr elektrischer Widerstand nicht nur von der Temperatur, sondern auch von der Form bestimmt wird, eignen sie sich auch für eine rudimentäre Art des Fühlens. Über die Messung des Widerstandes lässt sich so etwa die Position der Finger ermitteln.
Zusammen mit Drucksensoren können die Forscher die Kunsthand dann so steuern, dass sie ein rohes Ei anfasst, ohne es zu zerbrechen. Noch allerdings ist Oelschlägers Prothese ein Prototyp, wie auch ein vergleichbares Fraunhofer-System. Schon jetzt aber arbeiten in den künstlichen Gliedmaßen jeweils zwei der smarten Drähte – wie die Muskeln im menschlichen Körper – gegeneinander. Sie können sich nur in eine Richtung bewegen, so wie Beuger und Strecker im Oberarm.
Siegeszug des flexiblen Designs
In Autos oder Maschinen müssen Federn sie in die Ausgangsform zurückziehen. Viel praktischer wäre es daher, wenn ein Draht oder Bauteil seine Kräfte in beide Richtungen spielen lassen könnte.
Viele Unternehmen warteten schon lange auf Materialien mit solchen Eigenschaften, erzählt Marc Behl, Chemiker am Helmholtz-Zentrum Geesthacht in Teltow. Die dürften schon bald Realität werden.
2013 gelang Behl und seinem Chef Andreas Lendlein ein Durchbruch: Beide stellten erstmals einen Kunststoff vor, der sich zwischen zwei Formen hin- und herschalten lässt. Dazu nutzen sie eine Substanz, die Polyethylenvinylacetat heißt und auch in Klebstoffen oder Schuhsohlen steckt. Darin bauten sie zwei Typen von Molekülketten ein. Die einen verleihen ihm Stabilität, und die anderen sorgen dafür, dass er sich entlang vorgegebener Richtungen bewegt.
Während sich bei Gedächtnismaterialien die Form bisher oft bei einer definierten Temperatur ändert, passiert das beim neuen Kunststoff nach und nach in einem breiten Bereich zwischen 25 und 70 Grad Celsius. Behl und Lendlein haben eine Mini-Jalousie aus dem Material gebaut, deren Lamellen sich allmählich öffnen, je wärmer es wird – ganz ohne die sonst üblichen Rückholfedern. Und womöglich lässt sich die Technik sogar auf ganze Fassaden übertragen, bei denen sich Fenster je nach Sonnenstand öffnen und schließen.
„Bei uns haben sich viele Industrievertreter gemeldet“, sagt Behl. In zwei bis vier Jahren rechnet er mit ersten Produkten. Auf eines hofft der begeisterte Heimwerker ganz besonders: einen Dübel, der sich bequem aus dem Bohrloch ziehen lässt, weil er die Widerhaken einklappt, sobald man ihn erwärmt. Flexibles Design eben.