Mathe-Genie Grigori Perelman Der Mann, der die Million ausschlug

Das russische Zahlen-Genie Grigori Perelman hat eines der kniffligsten Probleme der Mathematik gelöst. Doch den millionenschweren Preis dafür lehnte er ab und zog sich völlig zurück. Jetzt wird das Phantom 50.

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Niemand weiß genau, was der russische Mathematiker heute tut oder welche Zukunftspläne er hat. Quelle: dpa

St. Petersburg Eine Million Dollar Preisgeld würden wenige Menschen einfach ausschlagen. Der russische Mathematiker Grigori Perelman ist so einer. Die Fachwelt feiert den Mann aus St. Petersburg dafür, dass er 2002 eines der größten Rätsel der Mathematik löste: Er bewies die sogenannte Poincaré-Vermutung.

Doch das Preisgeld dafür schlug er aus, denn Auszeichnungen lehnt er ebenso unerbittlich ab wie Interviews. Daher erwartet auch niemand ein rauschendes Fest zum 50. Geburtstag des wohl größten lebenden Mathe-Genies am kommenden Montag (13. Juni).

Ein Raunen ging durch die russische Öffentlichkeit, als Perelman 2006 die Fields-Medaille ablehnte, eine Art Nobelpreis in der Mathematik. Auch dass er vier Jahre später den mit einer Million Dollar dotierten Millennium-Preis des renommierten Clay-Instituts für Mathematik in den USA ausschlug, löste Staunen, aber auch Bewunderung aus.

Die Poincaré-Vermutung galt lange als eines der Jahrhunderträtsel der Mathematik, für deren Lösung das Clay-Institut in Cambridge ein Preisgeld ausgelobt hatte. Der Franzose Henri Poincaré (1854-1912) formulierte seine These zu den Eigenschaften dreidimensionaler Räume im Jahr 1904. Stark vereinfacht sagte er, dass jedes geometrische Objekt, das kein Loch hat, zu einer Kugel umgeformt werden könne. Fast 100 Jahre später veröffentlichte Perelman den Beweis.

Die weltweite Begeisterung war groß, es regnete Jobangebote. Doch der Mann mit Halbglatze, zerzaustem Haar darum und einem dichten dunklen Bart blieb eisern, lehnte ab, mied die Presse. Dies sei notwendig, um die Mutter pflegen zu können, hieß es.

Bei einem seiner wenigen Medienauftritte spricht Perelman 2010 über seine Gründe, den Preis abzulehnen. „Der Hauptgrund ist, kurz gesagt, meine Unzufriedenheit mit der Organisation der mathematischen Gemeinschaft“, sagte er damals der Agentur Interfax. „Mir gefallen deren Entscheidungen nicht, ich halte sie für ungerecht. Ich denke, dass der Beitrag des amerikanischen Mathematikers (Richard) Hamilton bei der Lösung des Rätsels nicht geringer war als meiner.“

Ein Genie, das der aus Sowjetzeiten erfolgsgetrimmten russischen Gesellschaft wenige Jahre nach dem Zerfall der UdSSR wieder zu Glanz und Ruhm verhilft und auf materielle Würdigung verzichtet – das kommt gut an. Russische Medien beschreiben den 1966 im damaligen Leningrad geborenen Perelman gerne als bescheiden, selbstlos, aber auch stolz.


Niemand weiß wirklich, was Perelman tut

Mythen ranken sich um den Jubilar. Seit Jahren lebt er ein Einsiedler-Dasein mit seiner Mutter in Kuptschino, einem typisch sowjetisch geprägten Wohnviertel am südlichen Rand von St. Petersburg. Wohnblocks aus den 1960er und 1970er Jahren mit acht und mehr Etagen reihen sich über Hunderte Meter monoton aneinander – ein klassisches „Schlafviertel“.

Früher belagerte die Presse Perelman regelrecht bei dem Versuch, die Rätsel um Russlands Rätsel-Löser zu lüften und ihn zum russischen Celebrity zu stilisieren. Das Ergebnis: Perelman gräbt sich nur noch weiter ein, kommt manchmal tagelang nicht aus seiner Wohnung.

Inzwischen hat der Rummel um den Zahlen-Jongleur nachgelassen. Doch zum 50. Geburtstag unternimmt das Boulevardblatt „Komsomolskaja Prawda“ einen neuen Kontaktversuch. Ohne Erfolg. Seinen Geburtstag wolle Perelman nicht feiern, will das Blatt vergangene Woche von engen Bekannten des Mathematikers erfahren haben.

Niemand kann mit Sicherheit sagen, was Perelman tut, ob er arbeitet und was seine Pläne sind. Seinen Job in einem Petersburger Institut hat er vor Jahren schon aufgegeben, die meisten sozialen Kontakte offenbar abgebrochen. Zwischenzeitlich rankten sich Gerüchte um eine Auswanderung nach Schweden. Angeblich kümmert er sich nicht mehr um mathematische Forschung. Der Olymp der Wissenschaften, der ihm durch seinen Beweis offenstand, scheint ihn nicht zu interessieren.

Die als kremlkritisch geltende Autorin Mascha Gessen veröffentlichte 2009 ein Buch über Perelman (deutscher Titel: „Der Beweis des Jahrhunderts“, 2013). Doch selbst sie sprach Perelman kein einziges Mal bei den Recherchen für ihr Werk, heißt es.

Gelegentlich kauft Perelman Berichten der Klatschpresse zufolge in einem Laden in der Nähe seiner Wohnung ein. Die Nahrung des Genies demnach: Kefir, Milch und Brötchen, manchmal auch Früchte. Aber genau weiß das eigentlich niemand – wie so vieles im Leben von Grigori Perelman.

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