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Medizin der Zukunft "Fit bis zum Schluss"

Elias Zerhouni, der Forschungschef von Sanofi-Aventis glaubt, dass wir vor einer völlig neuen Generation von Arzneimitteln stehen - und Krankheiten anders definieren müssen.

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Der Forschungschef von Sanofi-Aventis, Elias Zerhouni, im Interview mit Wirtschaftswoche. Quelle: Kai Jünnemann für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Zerhouni, die Pharmaforschung steckt in einer Krise: Sie wird laufend teurer, trotzdem kommen immer weniger innovative Medikamente dabei heraus. Sie kamen als Quereinsteiger zu Sanofi-Aventis. Wie wollen Sie Ihr Unternehmen wieder kreativer und produktiver machen?

Elias Zerhouni: Wir brauchen dringend Innovationen, vor allem bei chronischen Erkrankungen und Krankheiten des Alters. Sonst fressen uns die Gesundheitskosten auf. Sie steigen in unserer alternden Gesellschaft schneller als die Inflation. Dagegen müssen wir etwas tun. Es ist mein Ziel, die Medikamentenforschung in Zukunft zielgerichteter, effektiver und kostengünstiger zu machen.

Sie könnten Ihre Pillen billiger machen.

Nein, selbst wenn wir sie verschenken würden, wären wir in drei Jahren wieder beim selben Niveau der Ausgaben. Denn Medikamente machen nur einen kleinen Teil der Gesundheitskosten aus. In Deutschland sind es gerade einmal 17 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen. Mehr als die Hälfte der Kosten entfällt auf die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Versorgung.

Was gegen Erkältung hilft - und was nicht
Fast jedes dritte von rund 2000 überprüften rezeptfreien Medikamenten ist laut Stiftung Warentest wenig gegen Erkältungen geeignet. Darunter fallen bekannte Mittel gegen Erkältung, Schnupfen, Halsentzündung, Verstopfung, Durchfall oder Insektenstiche. Oft schneiden die Kombinationen verschiedener Wirkstoffe schlecht ab, etwa von Schmerzmitteln und anregenden Mitteln in Erkältungsmedikamenten. In anderen Fällen bemängeln die Tester hohen Alkoholgehalt etwa bei einem Erkältungsmittel für die Nacht oder ungeeignete Zusammenstellungen bei Tabletten gegen Halsinfektionen. Die 2000 rezeptfreien Medikamente sind Teil einer umfassenderen Datenbank von Stiftung Warentest mit Arzneimitteln. Quelle: dpa
Bei Erkältung und Grippe hat die Apotheke so einiges an rezeptfreien Mitteln zu bieten. Doch viele halten nicht, was sie versprechen. Aspirin Complex Granulat: Nicht sinnvolle Kombination aus einem Schmerzmittel und einem anregenden Mittel, das über die Blutbahn im ganzen Körper verteilt wird. Doregrippin Tabletten: Wie beim Aspirin Complex Granulat stuft die Stiftung Warentest die Kombination der Mittel als nicht sinnvoll ein. Grippostad C Kapseln: Enthält ein müde machendes Antihistaminikum, das über die Blutbahn im ganzen Körper verteilt wird. WICK DayMed und MediNait (Kapseln und Getränke): Nicht sinnvolle Kombination unter anderem aus einem Schmerzmittel, einem Hustenmittel und einem anregenden Mittel. Alternative: Die einzelnen Erkältungssymptome sollten besser getrennt behandelt werden. Gegen Schmerzen und Fieber reicht Parazetamol allein. Bei Schnupfen ist die kurzzeitige Anwendung von abschwellenden Nasentropfen verträglicher. Quelle: Fotolia
Schnupfen und AllergienRhinopront Kombi Tabletten: Wenig geeignet bei Schnupfen. Nicht sinnvolle Kombination an Mitteln. Reactine duo Retardtabletten: Hilft kaum bei allergischem Schnupfen. Wenig sinnvolle Kombination aus einem Antihistaminikum und einem anregenden Stoff, der über die Blutbahn im ganzen Körper verteilt wird und dabei auch die Schleimhäute abschwillt. Bei Daueranwendung kann es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen. Alternative: Tabletten, Tropfen oder Saft mit Cetirizin oder Loratadin sollen bei akuten Allergie-Beschwerden helfen. Cromoglizinsäure als Nasenspray zur Vorbeugung (früh genug mit der Behandlung beginnen, unkonservierte Präparate bevorzugen). Bei einem normalen Schnupfen ist die kurzzeitige Anwendung von abschwellenden Nasentropfen verträglicher. Quelle: dpa
Nahrungsergänzungsmittel mit Zink und Vitamin C sollen das Immunsystem unterstützen. Natürlich braucht der Körper bestimmte Nährstoffe, damit das Abwehrsystem gegen Bazillen und Viren funktioniert. Doch Vitamin C- und Zinktabletten können Erkältungen nicht heilen oder gar verhindern. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt es keine wissenschaftlichen Beweise für den Nutzen der bunten Pillen. Die Zufuhr ist normalerweise über die Ernährung sichergestellt, Mangelzustände an Vitamin C und Zink kommen in Deutschland nur selten vor. Gute Vitamin C-Lieferanten sind zum Beispiel Orangensaft, Brokkoli, Kiwi oder rote Paprika. Zink ist zum Beispiel in Fleisch, Ei, Vollkorn- und Milchprodukten enthalten. Die empfohlene Tagesdosis wird etwa bereits durch ein Stück Rindfleisch (150 Gramm) und ein Glas Milch gedeckt. Quelle: dpa
Doch nicht nur gegen Erkältungssymptome gibt es rezeptfreie Mittelchen, die leider nichts bewirken. Auch gegen andere Wehwehchen ist nutzloses Kraut gewachsen... Quelle: dpa
SchürfwundenBrand- und Wundgel Medice: Das Gel ist laut Stiftung Warentest wenig zur Wundpflege geeignet. Die therapeutische Wirksamkeit ist nicht ausreichend nachgewiesen. Zudem kann der Inhaltsstoff Benzethonium leicht Allergien auslösen. Alternative: Leichten Verbrennungen mit unverletzter Haut unter fließendem Wasser schnell kühlen. Offene Wunden sollten aber nicht selbst behandelt werden. Pyolysin Salbe: Auch diese Salbe für oberflächliche Wunden verfehlt ihre Wirkung. Alternative: Povidon-Jod-Lösung eignet sich zum Desinfizieren, Dexpanthenol-Salbe zur Pflege bei oberflächlichen Schürfwunden. Quelle: Fotolia
HalsschmerzenDobendan Strepsils Dolo bzw. Dolo-Dobendan Lutschtabletten: Die Kombination der Inhaltsstoffe ist nicht sinnvoll: Antiseptika wie Cetylpyridiniumchlorid sind gegen Viren nur lückenhaft oder gar nicht wirksam. Bakterien in tieferen Schleimhautschichten werden zudem nicht erreicht. Das schmerzstillende Benzokain kann leicht Allergien hervorrufen. Dorithricin Lutschtabletten/ Lemocin Lutschtabletten: Auch diese Tabletten helfen nicht wirklich gegen Entzündungen im Hals. Das Antibiotikum Tyrothrizin wirkt nur oberflächlich und erreicht Bakterien in tieferen Gewebeschichten nicht. Auch hier ist das schmerzstillende Benzokain enthalten, das leicht Allergien auslösen kann. Locabiosol 0,125 mg Spray: Die therapeutische Wirksamkeit des Antibiotikums Fusafungin bei Halsinfektionen ist nicht ausreichend nachgewiesen. Die Anwendung als Spray kann bei empfindlichen Personen zu Asthmaanfällen führen. Alternative: Halsentzündungen werden häufig durch Viren verursacht, bei denen Antibiotika nicht wirken. Zuckerfreie Halsbonbons befeuchten die Schleimhäute und  können Schluckbeschwerden lindern. Lutschtabletten mit Ambroxol oder Lidokain wirken schmerzstillend. Quelle: Fotolia

Was ist der Grund?

Wir werden immer älter. Während man früher vielleicht mit 40 Jahren einen Herzinfarkt bekam und mit 50 tot war, nehmen Patienten heute viele Jahre lang sehr wirksame Medikamente ein, sodass sie über lange Zeit ein fast normales Leben führen können. Aber ganz am Ende, da überleben sie nur noch mit sehr aufwendigen Therapien und intensiver Pflege. Wir müssen also für die Alterserkrankungen neue Arzneimittel entwickeln, die die Menschen fit halten bis zum Schluss.

Und wie wollen Sie das schaffen?

Wir müssen bessere Medikamente entwickeln, die exakt in die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen der Krankheit eingreifen.

Warum gibt es die nicht längst?

Es gibt ja schon einige Präparate, die ganz spezifisch wirken, etwa bei rheumatoider Arthritis. Bei einigen Patienten fiel auf, dass ihr Körper vermehrt eine bestimmte Substanz produziert, die das Immunsystem so stark ankurbelt, dass es den eigenen Körper schädigt. Medikamente wie Remicade, Enbrel oder Humira blockieren die Herstellung dieser Substanz und halten so das Immunsystem davon ab, den eigenen Körper zu zerstören. Diese Medikamente haben das Leben von Rheuma-Kranken in den letzten zehn Jahren dramatisch verbessert. So müssen die Arzneimittel der Zukunft aussehen.

Helfen die Mittel allen Rheuma-Kranken?

Nein, sie wirken nur bei den Patienten, deren Körper zu viel von der Substanz produziert. Und das lässt sich vor der Behandlung genau feststellen. Dieser Biomarker gibt also Auskunft darüber, ob das Medikament dem Patienten helfen wird oder nicht. Das ist genau jene Präzisionsforschung, die ich meine. Sie macht zielgerichtete – personalisierte – Medikamente erst möglich.

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