Medizintechnik Herzinfarkte aus den Arterien bürsten

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Europa lässt neue Medizinprodukte schnell zu

Arzt hält Stethoskop in den Händen. Quelle: dpa

Bevor die LSP-Manager übrigens Geld in das Unternehmen steckten, befragten sie einen ihrer Fonds-Investoren, die größte niederländische Krankenversicherung Achmea. Die LSP-Leute wollten wissen, welche Technologien die Kasse auch erstatten würde – und erhielten für die Knochenheiltechnik grünes Licht. Denn würden alle Knochenbrüche so behandelt, läge die eingesparte Summe allein in den Niederlanden bei 50 Millionen Euro, errechnete LSP-Fondsmanager Rudy Dekeyser zusammen mit der Achmea. Auf Deutschland übertragen, kommt er sogar auf 250 Millionen Euro Sparpotenzial. IlluminOSS ist allerdings ein US-Unternehmen. Dass die Technik trotzdem zuerst deutschen und holländischen Patienten zugute kommt, haben diese den hohen Zulassungshürden in den USA zu verdanken. Weil das Verfahren dort noch Jahre bis zur Zulassung braucht, hat LSP das Produkt ganz gezielt nach Europa geholt. Hier ist es seit Ende 2012 in Deutschland, den Niederlanden, der Türkei und Italien zugelassen.

Operationen sicherer zu machen und notwendige Schnitte klein zu halten – dabei sind große deutsche Firmen weltweit spitze. Etwa der Hersteller optischer Geräte Carl Zeiss Meditec im thüringischen Jena oder die auf minimalinvasive Eingriffe spezialisierten Unternehmen Aesculap und Karl Storz im schwäbischen Tuttlingen. Doch auch kleine Firmen haben gute Chancen, mit ihren Produkten erfolgreich zu sein. Etwa das Hamburger Unternehmen Spiegelberg: Es hat hoch spezialisierte Katheter und Messsonden entwickelt, die Ärzte bei neurochirurgischen Operationen im Gehirn anwenden. Sie sind mit einer antimikrobiellen Silberschicht überzogen. Diese tötet Keime ab, und es entstehen weniger gefährliche Infektionen. Die 2005 in Bochum gegründete Phenox hat – ebenfalls fürs Gehirn – Mikrobürsten konstruiert, die bei Schlaganfällen zum Einsatz kommen. Denn hat sich in einer Ader des Gehirns ein Pfropf gebildet, lässt er sich nicht immer mit Medikamenten auflösen. Dann kann der Arzt zu dem zwei bis vier Millimeter dicken Adern-Putzer greifen: Er schiebt ihn per Katheter bis zur verstopften Stelle und löst den Pfropf mit der Drahtbürste. Dann fängt er ihn mit dem Bürstchen ein und zieht ihn heraus.

Ebenfalls auf Adern spezialisiert ist das fünf Jahre alte österreichische Unternehmen Miracor Medical Systems aus Wien. Es hat eine spezielle Technik ersonnen, wie Adern mithilfe eines kleinen Ballons nach einem Infarkt nicht nur geöffnet, sondern auch besonders schonend und gleichmäßig wieder mit Blut geflutet werden können. Das bisherige Problem: Ist das Gerinnsel entfernt, das den Infarkt verursachte, schießt das Blut mit voller Wucht in die Blutbahn. Dabei gehen oft viele Adern kaputt, wissen Herzspezialisten. Der Effekt: Statt den vom Infarkt betroffenen Herzmuskel mit neuer Blutzufuhr wiederzubeleben, stirbt er nun gänzlich ab. Viele Patienten überleben das nicht.

Der Ballon, den Miracor durch den Katheter in die Ader schiebt, bläst sich dagegen in den ersten Stunden nach dem Eingriff immer wieder ein wenig auf und lässt nur wenig Blut hindurch, sodass die Adern sich wieder an den Blutdruck gewöhnen können. Erste Studien zeigen: So lassen sich viel mehr Herzinfarktpatienten retten. Eine neue Methode für Herzen mit Rhythmusstörungen hat Afreeze aus Innsbruck entwickelt. Gegen die störenden Kriechströme, die das Herz aus dem Takt bringen, soll eine Art Kälteschlaufe fürs Herz helfen. CoolLoop, so der Name des Kälteschockers, legt eine Metall-Lassoschlinge von minus 40 Grad Celsius um den aus dem Takt gekommenen Bereich auf dem Herzmuskel. Die Kälte verödet das Gewebe. Das funktioniert laut Afreeze besser als alle bisherigen Methoden. Es ist wichtig, den Nutzen all dieser Techniken in gründlichen Studien weiter zu erforschen. Doch es wäre falsch, ihre Zulassung unnötig zu verkomplizieren. Patienten, denen sie womöglich das Leben retten, würden das nicht verstehen.

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