Medizintechnik Wenn der Maschinen-Mensch die Natur übertrumpft

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High-Tech-Prothesen

Sportler wie Oscar Pistorius nutzen leichte Karbonfedern für die Beine - und erreichen damit Spitzenzeiten. Quelle: dpa

Etwa beim weltweit führenden Prothesenhersteller Otto Bock aus Duderstadt bei Göttingen. Dessen Kunstarme und -beine stellen technologisch derzeit die Spitze der Technik dar: Sie stecken voller Elektronik, steuern in Millisekunden zum Beispiel die Position eines Kunstbeins beim Gehen, Rennen oder Treppensteigen. „Wir sind froh, wenn wir Menschen so die verlorenen Funktionen teilweise wiedergeben können“, sagt Neurotechnik-Forschungschef Bernhard Graimann.

30.000 bis 40.000 Euro kosten solche High-Tech-Beine inklusive Behandlung – pro Stück. Und bisher sehen sie normalen Beinen noch sehr ähnlich. Doch auch bei Otto Bock hat der Trend zur Optimierung Einzug gehalten: So gibt es für Handwerker spezielle zangenartige, robuste Arbeitsaufsätze als Alternative zur naturgetreuen Greifprothese. Und Sportler nutzen superleichte Karbonfedern für die Beine.

Pistorius weist Bolt-Vergleich zurück

Der südafrikanische Olympionike Oscar Pistorius trug solch einen Fußersatz vergangenes Jahr bei den Sommerspielen in London – und musste vorher nachweisen, dass die Federn ihm – wegen der größeren Schnellkraft – gegenüber nicht behinderten Sportlern keine Vorteile verschaffen. Auch die US-Sportlerin Aimee Mullins schätzt solche Federbeine. Schon 1996 stellte sie mit ersten Prototypen bei den Paralympics in Atlanta zwei Sprint-Weltrekorde über 100 und 200 Meter auf.

Schöner als das Original

Die Leichtathletin und Schauspielerin Aimee Mullins kam wie Pistorius ohne Wadenbeine auf die Welt. Sie trägt Prothesen, seit sie zwei Jahre alt ist. Von den Kunstbeinen hat sie heute mehr als ein Dutzend, die sie beim Sport, auf dem Laufsteg und vor der Kamera ganz offen zeigt. Ein Teil glänzt nämlich weniger mit aufwendigem High-Tech-Innenleben, sondern vor allem mit auffallender Optik: etwa ein Paar handgeschnitzte Holzstiefel, mit denen Mullins 1990 auf dem Laufsteg für heftige Diskussionen sorgte. Und in ihrer Rolle im Film „Cremaster 3“ trägt sie Beine, die wie Gepardenläufe mit Pfoten gefertigt sind.

Für ihre Arbeit als Model hat sich die 37-Jährige in London jüngst ein Paar Prothesen anfertigen lassen, das sie 15 Zentimeter größer macht. Die superlangen Beine kommen auf dem Laufsteg gut an. Die in New York lebende Schauspielerin trägt sie aber auch in ihrer Freizeit, etwa wenn sie in Manhattan auf Partys geht. Als sie einer Freundin dabei erstmals in Langform begegnete, berichtet Mullins, habe sich die allen Ernstes über den ungleichen Wettbewerb beklagt: „Es ist einfach nicht fair, dass du diese Wahlmöglichkeiten hast.“

Gerade dass sie sich ihre Beine je nach Gusto aussuchen könne, sei ein Grund dafür, das sie sich nicht im Geringsten behindert, sondern geradezu im Vorteil fühle, sagt Mullins. „Was bedeutet es eigentlich, eine Behinderung zu haben?“, fragt sie und verweist auf Pamela Anderson. Die habe jede Menge Prothesen im Körper: „Aber niemand würde sie deshalb als behindert bezeichnen.“

Umso mehr, als der Körper sein Potenzial oftmals gar nicht ausschöpft. Etwa bei den Augen: Deren Farb- und Helligkeitsrezeptoren könnten theoretisch etwa doppelt so gut sehen, wie sie es tatsächlich tun, sagt der Kölner Augenchirurg Omid Kermani. Doch das Adler-Potenzial im Augeninneren bleibt ungenutzt, weil die vor die Netzhaut geschaltete Augenlinse und die Hornhaut zu viele bauliche Fehler haben.

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