Millionen ohne Strom Wie westliche Netzbetreiber die Energieversorgung in der Ukraine unterstützen

Die Ukraine ist nach den jüngsten Luftangriffen Russlands ohne Strom. Wie westliche Stromnetzbetreiber helfen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Schwere russische Raketenangriffe legen die ukrainische Energieversorgung immer wieder lahm. Was kaum jemand weiß: Seit März können die Ukrainer Stromhilfe aus dem Westen bekommen. Ganz risikolos ist die aber nicht.

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„Der Feind hat unseren Zorn noch verstärkt. Zorn gibt uns Kraft. Aber Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung geben uns auch Kraft.“ Mit diesen Worten bat der ukrainische Stromversorger Ukrenergo nach den jüngsten russischen Angriffen auf die Energienetze des Landes via Facebook um Nachsicht bei der Bevölkerung für die flächendeckenden Stromausfälle. Nach den Attacken waren teils mehr als zehn Millionen Menschen von der Energieversorgung abgeschnitten, berichtete Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft am Freitag. 

Allein bei den jüngsten Luftschlägen im Verlauf dieser Woche hatten Raketen 15 Standorte des Ukrenergo-Kernnetzes getroffen und schwere Schäden verursacht. Die Lage sei „kritisch“ kommentierte Kyrylo Tymoschenko, der Vizechef des Präsidentenbüros, die Situation wenig später.

Die Attacken lösten auch im rheinischen Örtchen Brauweiler bei Köln, rund 1600 Kilometer westlich der ukrainischen Hauptstadt gelegen, gespannte Aufmerksamkeit aus. Denn von dort aus, in der Hauptschaltleitung (HSL) des deutschen Übertragungsnetzbetreibers Amprion, steuert ein Team von Experten rund um die Uhr nicht bloß den reibungslosen Betrieb des eigenen Netzes. Amprions rheinischer Kontrollraum, groß wie drei Turnhallen, ist zugleich der Leitstand, der über die Stabilität der Energieversorgung von Paris bis Ostpolen und von Dänemark bis Norditalien wacht.

Wann immer in diesem Bereich Netztechnik versagt, es an Strom mangelt oder der Energieverbrauch hinter der Prognose zurückbleibt, müssten die Experten gegensteuern und das Netz stabilisieren. Auf der riesigen, 6 Meter hohen und 18 Meter breiten Monitorwand in der HSL können sie sekundengenau den Zustand der verschiedenen Netzebenen, die Stabilität der Netzfrequenz von 50 Hertz oder Schwankungen beim Stromangebot aus erneuerbaren Quellen verfolgen, Kraftwerke zu- oder große Verbraucher notfalls abschalten.

Und nicht bloß das: Seit diesem Frühjahr haben die Fachleute auf dem 110-Quadratmeter-Großbildschirm auch die Netzübergänge in die Ukraine im Blick. Wenn es dort, beispielsweise ausgelöst durch russischen Beschuss, zu massiven Störungen kommt, dann könnten die – zumindest theoretisch – auch die Netzstabilität im westlichen Energieverbund gefährden. 

Umgekehrt kann über diese Leitungsverbindungen auch Energie ins Ukrenergo-Netz eingespeist werden. Nach ukrainischen Angaben haben die Leitungen eine Übertragungskapazität von rund zwei Gigawatt maximal. Derzeit werden bis zu 300 Megawatt für Ex- und Importe genutzt. Das kann helfen Engpässe auszugleichen, wenn etwa Kraftwerke, wie der Atommeiler in Saporischschja, nach Attacken auf die Anlage oder deren Anschlussleitungen wieder einmal vom Netz getrennt werden.

Möglich macht den Austausch ein gemeinsamer Kraftakt von Ukrenergo und dem Verband der westeuropäischen Übertragungsnetzbetreiber Entso-e. Am 16. März nämlich hatten letztere, nur gut drei Wochen nach einer dringenden Bitte der Ukraine und der Republik Moldau, die Netze der osteuropäischen Nachbarn mit dem kontinentaleuropäischen Kernnetz zusammengeschaltet und synchronisiert. Zuvor hatte die Ukraine jahrzehntelang einen Netzverbund mit Russland und Belarus. Ein Szenario für die Stromversorgung, das nach dem Angriff der russischen Truppen nicht länger tragbar schien.

„Die Synchronisation in so kurzer Zeit war eine immense Leistung“, sagt ein Infrastrukturspezialist eines Entso-e-Unternehmens. „Die Synchronisation war zwar schon länger geplant, war aber eigentlich erst für 2023 vorgesehen“, erläutert der Mann, dessen Arbeitgeber im Zusammenhang mit den Ukrainehilfen nicht genannt werden will.

Selbst nach schweren Attacken im Frühjahr und Sommer, bei denen es bereits zu regionalen Ausfällen der Stromversorgung gekommen sei, so eine deutsche Netzmanagerin „haben die Ukrainer ihre Infrastruktur binnen kürzester Zeit wieder im Griff gehabt“. Damals seien keine größeren grenzüberschreitenden Stromlieferungen aus dem Westen in die Ukraine nötig gewesen. Dabei ließen sie sich im Notfall binnen kurzer Zeit ausreichende Strommengen bereitstellen, um Hunderttausende Menschen zu versorgen. 

Ob das nach den jüngsten Angriffen erforderlich war, dazu schweigen sich alle Beteiligten aus und verweisen auf die sensible Sicherheitslage. „Jeder Hinweis auf detaillierte Auswirkungen der Attacken würde den Russen helfen, die Wirksamkeit ihrer Angriffe besser zu bewerten und dabei sogar mögliche Auswirkungen auf westliche Netze einzukalkulieren“, heißt es aus der Szene. 

Nach der Koppelung der Netze hatte der Vorstandschef von Ukrenergo, Volodymyr Kudrytskyi, sogar angeboten, mit Strom aus seinen Kraftwerken Versorgungslücken im Westen zu kompensieren. „Wir haben genügend Erzeugungskapazität, um die ukrainischen Verbraucher mit Strom zu versorgen und Überschüsse ins Ausland zu verkaufen“, so Kudrytski. „Auf lange Sicht wird die Ukraine natürlich ein Stromexporteur sein.“

Das aber scheine derzeit nicht mehr möglich zu sein, heißt es aus dem Entso-e-Umfeld. Angesichts der jüngsten russischen Angriffe geriete das ukrainische Netz selbst erkennbar an seine Grenzen. Um die Arbeit der Reparaturtrupps von Ukrenergo zu unterstützen, laufen zudem seit Wochen umfangreiche Hilfsaktionen der westlichen Netzbetreiber, die Werkzeuge, Technik und Gerät in die Ukraine bringen. 

Offizielle Informationen gibt es auch dazu kaum; ebenfalls unter Verweis auf die Vertraulichkeit der Unterstützung. Eine von ganz wenigen öffentlichen Aktionen, bei denen zwei gespendete Notstromaggregate aus Amprion-Umspannanlagen an den ukrainischen Netzbetreiber geliefert wurde, dokumentierte das Unternehmen im vergangenen Juli bei Twitter.

Zusätzliche Hilfen aus Deutschland sagte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch in Kiew Ende Oktober zu. Neben weiteren Waffenlieferungen sicherte Steinmeier der Ukraine ausdrücklich auch Unterstützung dabei zu, das Stromnetz in der Ukraine nach den russischen Raketenangriffen zu stabilisieren. 

Mit Aussagen zu konkreten Hilfen aber hält sich auch der Bund bedeckt. Bereits im Frühsommer hatte die Bundesregierung ein Hilfsprogramm von rund 185 Millionen Euro aufgelegt, mit dem unter anderem der Wiederaufbau der Stromversorgung unterstützt werden sollte.

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Bis es aber so weit ist, dürften noch Monate vergehen und nicht nur im Amprion-Leitstand der aufmerksame Blick der Netzexperten noch so manches Mal auf die Spannungs- und Frequenzanzeigen aus dem ukrainischen Stromnetz fallen. Bisher habe es noch keine Störungen gegeben, die sich grenzüberschreitend ausgewirkt hätten, heißt es aus der Branche. 

„Wir hoffen, dass es so bleibt“, sagt ein deutscher Netzverantwortlicher. Die Stromversorgung in Westeuropa stabil zu halten, werde im kommenden Winter auch so schon anspruchsvoll genug, so der Strommanager. „Da braucht es nicht auch noch zusätzliche Belastungen durch russische Attacken.“ 

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