
Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, Blutdruckstörungen, Schmerzen, Hautschäden, Verätzungen der Scheimhäute, Nierenversagen, Atemprobleme. Seit einigen Jahren werden solche Beschwerden aus dem In- und Ausland gemeldet - von Patienten, die das angebliche Wundermittel MMS eingenommen haben. Miracle Mineral Supplement (MMS) wird über das Internet feilgeboten - als Lösung oder als Kapseln. Und immer wieder gehen Verbraucher den Geschäftemachern und ihren Versprechungen auf den Leim - mit fatalen Folgen, auch bei Kindern.
In mehreren europäischen Ländern, Australien, Neuseeland, Kanada oder den USA warnen die Gesundheitsbehörden vor dem Mittel. Auch hierzulande mahnen viele Experten und auch die Bundesinstitute für Risikobewertung (BfR) und für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eindringlich: Hände weg von MMS. Denn das vermeintliche Heilmittel enthält tatsächlich gefährliche Chemikalien. Am Donnerstag unternahm das BfArM einen wichtigen Schritt, um Verbraucher besser zu schützen.
Die wichtigsten Antworten zu Nahrungsergänzungsmitteln
Im Gegensatz zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit nachgewiesener pharmakologischer Wirkung handelt es sich bei Nahrungsergänzungsmitteln (kurz: NEM) im Sinne des Gesetzes um Lebensmittel. Sie können eine breite Palette Stoffen enthalten, z.B. Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Ballaststoffe oder Kräuterextrakte. Sie werden als Tabletten, Pulver, Kapseln, Dragees oder Flüssigkeiten angeboten.
Derzeit gibt es keine verbindlichen Höchstmengen für die Inhaltsstoffe in NEM. Diese werden von Experten jedoch immer wieder gefordert. Es ist zumindest vorgesehen, auf europäischer Ebene Höchstmengen für Vitamine und essentielle Mineralien vorzuschreiben. NEM müssen derzeit nur einen Hinweis auf die empfohlene tägliche Verzehrmenge tragen sowie eine Warnung, dass diese Menge nicht überschritten werden darf.
Da NEM Lebensmittel sind, gelten die Bestimmungen des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches. Sie müssen beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit registriert sein, brauchen aber keine Zulassung. Das bedeutet, dass sie anders als Arzneimittel kein Verfahren durchlaufen, in dem die tatsächliche gesundheitliche Unbedenklichkeit nachgewiesen werden muss. Für die Sicherheit sind Hersteller, Importeur und Anbieter verantwortlich. Die Landesbehörden kontrollieren NEM, die im Handel angeboten werden, stichprobenartig auf ihre Übereinstimmung mit den Gesetzesvorschriften.
Generell bietet eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung dem gesunden Menschen alle essentiellen Nährstoffe. Eine einseitige oder mangelhafte Ernährung kann dazu führen, dass zu wenig Nährstoffe aufgenommen werden. So kann etwa bei alten oder chronisch kranken Menschen, Schwangeren und stillenden Frauen oder Menschen mit extremen Ernährungsformen ein erhöhter Bedarf an bestimmten Nährstoffen auftreten. Ob eine Nahrungsergänzung vorgenommen wird, sollte mit dem Arzt besprochen werden.
Inhaltsstoffe wie lebenswichtige Vitamine und Mineralstoffe, die sich in NEM finden, können auch in Arzneimitteln enthalten sein. Was ist also der Unterschied? Letztere unterliegen den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes und somit einer Zulassungspflicht. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Inhaltsstoffe müssen nachgewiesen werden. Nahrungsergänzungsmittel hingegen können auch in den Handel gelangen, wenn ihr ernährungsphysiologischer Wert fraglich ist (siehe Punkt 3).
Auf den ersten Blick könnte es widersprüchlich wirken, dass das BfArM einerseits von Produkten abrät, weil sie unvertretbare schädliche Wirkungen haben, diese aber zugleich als Arzneimittel bewertet. Doch genau diese Einstufung hilft beim Kampf gegen MMS: Hersteller brauchen nun zwingend eine behördliche Zulassung, um ihre Produkte als Heilmittel zu verkaufen. Dafür müssten sie die vorgegaukelte Wirkung gegen allerlei Krankheiten wie Krebs, Malaria oder Hepatits nachweisen - und auch die Unbedenklichkeit ihrer Produkte. Das halten Experten für ausgeschlossen.
Die Einstufung erleichtert den Landesbehörden die Kontrolle der Substanz. Wer nun im Internet oder auf einer Werbeveranstaltung MMS als gesundheitsförderndes, heilendes Präparat anbietet, muss sich vorsehen.
Und was steckt wirklich in dem Wundermittel? „Bei MMS handelt es sich um Chlordioxid, eine Bleich-Chemikalie“, erklärt Matthias Heuermann vom Landeszentrum Gesundheit (LZG) NRW und betont: „Jeder, der das Zeug verwendet, ist einer zu viel.“ Nach der Einnahme von MMS seien Patienten schon mit schweren Problemen in Arztpraxen, Kliniken oder bei Giftnotrufzentralen gelandet.
Entsetzen hatte im vorigen Sommer die TV-Sendung „Kontraste“ ausgelöst. Sie hatte auch von Einläufen bei Kindern berichtet. Der absurden MMS-Werbung zufolge sollen damit Darmparasiten abgetötet werden, die angeblich zu Autismus führen. Das ist nicht nur falsch, sondern den zitierten Experten zufolge Körperverletzung, weil Kindern Darm-Verätzungen zugefügt wurden.
Wie viele Menschen sich auf MMS einlassen, weiß niemand genau. Es gebe unzählige Vertreiber, ein enormes Angebot, sagt Heuermann. Aber da alles übers Internet laufe, sei die Zahl der Anwender nicht überschaubar. „Viele Leute, die an MMS glauben, nehmen die Nebenwirkungen billigend in Kauf.“ Wer dann wegen der Folgeschäden Hilfe suche, verschweige dem Arzt oft die ganze Wahrheit. „In der Praxis werden diffuse, unklare Beschwerden genannt, die Patienten verschleiern aber, dass sie vorher MMS genommen haben.“
Gegen die gefährlichen Präparate gibt es nun zwar eine scharfe Handhabe. Aber Schlupflöcher bleiben: Solange Produkte im Internet oder auf Werbeveranstaltungen getarnt nur zur Desinfektion oder Wasserreinigung angepriesen werden, können Kontrollbehörden nicht einschreiten. Letztlich geht es nicht ohne den gesunden Menschenverstand des Verbrauchers.