Nanotechnologie Zwerge mit Potenzial

Mit winzigen Partikeln die Welt verändern, das wollen Forscher und Unternehmer im Bereich der Nanotechnologie. Den Nanoteilchen wird ein Riesenpotenzial attestiert – doch ihre Risiken sind noch kaum erforscht.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Mit einem Transmissionselektronenmikroskop werden am Institut für Technische Chemie der Universität Leipzig Proben von Nano-Hohlkugeln aus Zirkonium untersucht. - Experten bescheinigen der Nanotechnologie eine große Zukunft. Quelle: dpa

Singapur Das Labor liegt versteckt in einem Parkhaus. Vor einer schweren Tür in der Betonwand steht ein mannshohes Poster: eine strahlende Schönheit lächelt darauf. Nur wer ganz nah herangeht, sieht, dass sich auf ihren makellosen Zähnen eine fast unsichtbare Zahnspange befindet. Hinter der Tür wird geforscht.

Spezialisten in weißen Kitteln, mit Haarnetz, Mundschutz und Handschuhen inspizieren, bündeln, kleben, zwirbeln und formen hauchdünne Mikrofasern. Dentaltechnikerinnen montieren die so hergestellten durchsichtigen Drähte auf Gebissmodelle. Das Material ist völlig neu. Die erste voll durchsichtige, festsitzende Zahnspange - Nanotechnologie macht sie möglich.

Das Labor gehört der jungen Firma BioMers, die weltweit den Zahnspangenmarkt aufmischen will. Studenten und Dozenten der Nationaluniversität von Singapur haben das Material mit neuen Verfahren, die Arbeit im Millionstel Millimeterbereich ermöglichen, aus superfeinem Granulat und hauchdünnen Fasern geschaffen. „Wir dachten gleich, dass durchsichtiger Draht perfekt für Zahnspangen ist - niemand will Drähte im Mund haben, die wie Bahngleise über den Zähne liegen“, sagt der Mikrobiologe George Aliphtiras, Mitbegründer von BioMers.

Viele Wissenschaftler und Unternehmer sehen in der Nanotechnologie revolutionäres Potenzial für neue Techniken und Verfahren: etwa Filtermaterial, um Deiche wasserdichter zu machen, schmutzabweisende Schutzschichten auf Maschinen und in Textilien, Wirkstofftransporter in der Medizin. „In den letzten fünf Jahren sind die Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet eskaliert“, sagt Professor Andy Hor, Direktor des Materialforschungsinstituts IMRE in Singapur. Auch IMRE arbeitet viel mit Nanotechnologie.

Nanos kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Zwerg“. Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter. „Man stelle sich eine Murmel im Verhältnis zur Erdkugel vor - das gibt eine Vorstellung davon, was ein Milliardstel Meter ist“, erklärt die Polytechnische Universität in Singapur. Nanotechnologie ist ein weiter Begriff, der sowohl die Verarbeitung von neuen Kleinstpartikeln beschreibt, als auch von herkömmlichen Fasern und Schichten, die sich neuerdings im Nanometerbereich produzieren lassen.


Im Nanobereich kann Material neue Eigenschaften zeigen

Ohne Risiken und Nebenwirkungen geht das nicht. „Die Wissenschaft dachte lange, wenn wir die chemische Natur eines Produkts kennen, wissen wir, wie es sich verhält“, sagt Hor. „Im Sinne von: Salz ist immer salzig, ob das Korn groß oder klein ist. Jetzt merken wir, dass die Größe eine Rolle spielt: Material kann ganz neue Eigenschaften entwickeln.“ So könnten Nanopartikel unerwartet leuchten oder hohe Magnetkraft entwickeln. Gerade im medizinischen Bereich, bei Cremes und Nahrungsmitteln müssen Gesundheitsrisiken abgewogen werden.

Schwedische Forscher schlossen beispielsweise aus einem Experiment, dass Nanopartikel aus dem Kunststoff Polystyrol im Futter bei Fischen den Fettstoffwechsel und die Energiereserven beeinflussen können. US-Forscher wiesen nach, dass solche Partikel bei Hühnern Auswirkungen auf die Eisenaufnahme im Magen und Darm haben können. „Es gibt viel, was wir noch nicht verstehen“, sagt Hor.

„Bei der Bewertung des gesundheitlichen Risikos von Nanopartikeln gibt es momentan noch viele offene Fragen“, heißt es auch beim Bundesinstitut für Risikoforschung. Bislang sei jedoch kein Fall bekannt, in dem Gesundheitsschäden nachweislich durch Nanopartikel oder Nanomaterialien ausgelöst wurden.

Eine absolute Nano-Horrorvision schuf der US-Ingenieur Eric Drexler Ende der 80er Jahre. In seinem Werk „Engines of Creation“ ist die Rede von reproduzierenden Nano-Robotern - Minipartikeln, die eines Tages wie „grauer Schlamm“ die ganze Erde bedecken. Forscher bis hin zu Nobelpreisträgern haben Drexlers Theorien von außer Kontrolle geratenden Nanomaschinen aber als Science Fiction abgetan.

Die Anfänge der Nanotechnologie liegen mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Experten nennen einen Vortrag des US-Physikers Richard Feynman 1959 als Ausgangspunkt, in dem er Visionen von Arbeiten im Molekular- und Atombereich entwickelte. 1974 prägte der Japaner Norio Taniguchi den Begriff Nanotechnologie und beschrieb mögliche Anwendungen von Material in winzigen Größenordnungen. In den 80er Jahren kamen Mikroskope auf den Markt, die Atome sichtbar machen konnten, in den 90er Jahren folgte dann der Durchbruch in der Informationstechnologie, der die Verarbeitung riesiger Datenmengen möglich machte. Seitdem geht es unaufhaltsam voran.


50 Prozent weniger Material

Eine junge Nanotech-Firma ist auch Stella in Singapur. Sie bietet spezielle Chemiebäder, die Elektronikteile in Sekundenschnelle mit einer Schutzschicht von der „Dicke“ eines Moleküls benetzen und so vor Umwelteinflüssen schützen. Computerchips und Steckerverbindungen - etwa die Buchse am Handy, in die das Aufladekabel kommt - brauchen teure Edelmetalle, um Strom, Signale und Daten schnell leiten zu können.

„Mit unserem Schutzfilm kann das Edelmetall viel dünner aufgetragen werden, das spart 50 Prozent Material“, sagt Firmengründer Yin Xi Jiang. Die Innovation seien wasserlösliche Chemikalien, die die Umwelt nicht belasten und ein Prozess, der wenige Sekunden dauere. Stella steckt wie BioMers in den Anfangsschuhen. Die kleinen Büros liegen noch im Keller der Polytech-Universität.

Wie bei BioMers sind vorerst nur ein paar Angestellte am Start. Das Erfolgspotenzial ist jedoch groß. Davon sind die Experten der deutschen Beteiligungsgesellschaft Nanostart überzeugt, die finanzielle Starthilfe in Millionenhöhe gewährt haben und fest damit rechnen, ihre Beteiligung später mit sattem Gewinn zu veräußern. Stella hat schon Kunden in Südkorea, Japan, Taiwan, China.

Singapur hat sich zu einem Brutkasten für Nanotechnologie entwickelt. Der industrialisierte Stadtstaat breitet Jungunternehmern seit 2006 den roten Teppich aus. „Wir hatten 13 Unternehmen in dem Bereich, heute sind es 50“, sagt Yi-Hsen Gian, Direktor bei der Wirtschaftsentwicklungsbehörde EDB. Die Regierung hat die Forschungsmittel im Fünfjahresplan 2011 bis 2015 um fast 25 Prozent auf 16,1 Milliarden Singapur-Dollar (etwa zehn Milliarden Euro) erhöht. „Wir bieten Steueranreize, Entwicklungskredite oder schultern einen Teil des Geschäftsrisikos“, sagt Gian.

In Europa ist Deutschland in der Forschung mit den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft die Nummer eins, was die wirtschaftliche Umsetzung angeht. Weltweit liegt die Bundesrepublik auf Platz drei, hinter den USA und Japan. 950 Unternehmen entwickeln und vermarkten nanotechnologische Produkte und Verfahren, 60.000 Arbeitsplätze hängen daran, heißt es in der Hightech-Strategie der Bundesregierung. 


Mancher Nutzen zeigt sich erst in der Anwendung

Weil Materialien im Nanobereich neue Eigenschaften haben können, zeigt sich mancher Nutzen erst in der Anwendung. BioMers dachte bei seiner Geschäftsidee zunächst nur an die Ästhetik. Wie sich nach Langzeittests zeigte, ist der durchsichtige Draht aber durch seine Mikrofasern, den Glasfaserfüller und den patentierten Schmelzprozess sogar stärker als echter Draht.

Die Zahnspangen lassen einzelne Zähne gezielter richten, sind durch geringeren Druck schonender für das Gebiss und wahrscheinlich schneller im Ergebnis. „Das hat uns überrascht“, sagt Firmenchef David Edwards. Firmengründer Aliphtiras träumt schon von weiteren Anwendungen, etwa in der Orthopädie.

Professor Hors Institut hat schon Plastik entwickelt, das kaum noch blendet und sich etwa für Fernsehbildschirme eignet. Er arbeitet außerdem an Lebensmittelverpackungen, die auf den Säuregehalt und die Gasentwicklung im Verfallsprozess reagieren und dem Verbraucher durch Farbänderung signalisieren, wie frisch das Produkt ist.

Bei aller Euphorie bleibt Hor dennoch gerne auf dem Teppich. „Unsere Zukunft hängt sicher nicht gänzlich von Nanomaterialien ab. Ich würde sie noch nicht mal als Haupttreiber für den technologischen Fortschritt sehen“, sagt er. „Es gibt auch sehr vielversprechende Forschung auf anderen Gebieten, etwa der Biomedizin.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%