Neue Immunmittel Start-Ups wecken Hoffnungen im Kampf gegen den Krebs

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Spürhunde auf der Hatz

Es geht um Hoffnung für Millionen Krebskranke, aber auch um ein Milliardengeschäft. Den potenziellen Gesamtmarkt der Immuntherapeutika gegen Krebs taxieren Analystenteams in zehn Jahren auf 35 Milliarden Dollar. Ein Paradebeispiel ist Yervoy. Der US-Konzern Bristol-Myers Squibb (BMS) brachte den Immunverstärker gegen Hautkrebs 2011 auf den Markt und setzte im vorigen Jahr damit 960 Millionen Dollar um.

Kein Wunder: Die Behandlung eines Patienten kostet im Schnitt 120.000 Dollar. Dem ähnlich wirkenden Krebsmittel Opdivo gegen Haut- und Lungenkrebs, das BMS gerade in Japan auf den Markt bringt, sagen Marktforscher 2,5 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2018 voraus.

Es klingt ein bisschen verrückt: Nanopartikel sollen durch unseren Körper patrouillieren und Krankheiten oder Krebszellen aufspüren. Doch genau daran arbeitet Googles Forschungslabor.

Viele Start-ups und Konzerne setzen auf eine von derzeit vier besonders vielversprechenden Methoden, um die sonst so gewieften Ermittler des Immunsystems doch noch auf die mafiösen Krebszellen zu hetzen und diese zur Strecke zu bringen.

Weiße Blutkörperchen sind die Scharfschützen des Immunsystems

Wer den Täter vor lauter Verdächtigen nicht sieht, braucht Hilfe. Das dachten jedenfalls Patrick Baeuerleund Gert Riethmüller, der mittlerweile emeritierten Chef des Instituts für Immunologie der Universität München. Riethmüller gründete 1993 das Biotechnikunternehmen Micromet, sein Schüler Bauerle stieß 1998 dazu. Ihre gemeinsam entwickelte Idee: der Körperpolizei mit einer Meute gut ausgebildeter Spürhunde zu helfen – speziell designten Antikörpern.

Natürlicherweise bildet das menschliche Immunsystem solche Megamoleküle selbst, um Krankheitserreger oder Giftstoffe zu erkennen. Die y-förmigen Proteine wittern eigentlich jeden Eindringling. Haben sie etwas entdeckt, schlagen sie an und rufen so Hilfe herbei, etwa die T-Zellen. Diese spezialisierten weißen Blutkörperchen sind die Scharfschützen des Immunsystems.

Wenn allerdings Krebsgeschwüre den Menschen befallen, verschlafen die T-Zellen ihren Einsatz. Sie wandern zwar in das Tumorgewebe ein. Doch statt die Krebszellen zu zerstören, hebt das Spezialkommando nicht einmal die Waffen.

Den Grund kennt Baeuerle ganz genau: „Krebszellen schütten Stoffe aus, die T-Zellen außer Gefecht setzen.“ Der Forscher hat deshalb ein Verfahren entwickelt, mit dem er die T-Zellen mit im Labor hergestellten Antikörpern wieder alarmieren kann, sodass sie die Krebszellen mit gezielten Schüssen niederstrecken.

Früherkennungsangebote der gesetzlichen Krankenkasse

Der Trick: Die Micromet-Wissenschaftler gaben ihren Antikörpern eine besondere Struktur, die Killer- und Tumorzellen so nahe aneinander bringt, „dass es wieder funkt“, wie es Baeuerle beschreibt. Die Spürhunde stoßen die trägen Ermittler quasi mit der Nase auf die bisher übersehenen Indizien und Beweise, sodass die ihre Scharfschützen endlich wachrütteln.

Erfolg gegen Blutkrebs

Weil diese Technik weltweit nahezu einzigartig ist, sicherte sich der kalifornische Biotech-Konzern Amgen vor knapp drei Jahren den Zugriff auf die Patente und kaufte Micromet für 1,2 Milliarden Dollar. Baeuerle blieb Chef der in Amgen Research umbenannten, weiterhin gut 200 Wissenschaftler großen Forschungseinheit in München.

Mithilfe des finanzstarken Biotech-Konzerns durchlief ein erster speziell designter Antikörper aus München inzwischen alle Studienphasen am Menschen – mit großem Erfolg. Bei drei Viertel der Patienten bildete sich eine besonders aggressive Blutkrebsart zurück: Es waren keinerlei Krebszellen mehr nachweisbar.

Vor wenigen Wochen beantragte Amgen die Zulassung für diesen Blinatumomab genannten Spürhund gegen Blutkrebs bei der EU-Medizinagentur EMA und ihrem US-amerikanischen Pendant FDA. Zumindest die stufte die neue Immuntherapie als bahnbrechend ein und erteilte gerade in einem besonders beschleunigten Verfahren die Zulassung. „Wir hoffen auch in Europa auf eine Zulassung innerhalb der kommenden Monate“, sagt Baeuerle.

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