Als Kommissar Felix Murot den Olymp des deutschen Fernsehkrimis – den Tatort – erklimmt, ist er todkrank. Ein haselnussgroßer Krebstumor sitzt in seinem Gehirn. Weil der von Ulrich Tukur gespielte Ermittler Angst vor einer Operation hat, ermittelt er zwei Folgen lang mit der Wucherung im Kopf.
Doch Murot – die Buchstaben seines Namens ergeben neu gemischt das Wort Tumor – hat Glück im Unglück: Die lebensgefährliche Geschwulst verhilft ihm zu geradezu hellseherischen Einsichten, mit deren Hilfe er die Täter zur Strecke bringt.
Formen der Krebs-Therapie
Bei einer Operation wird der Tumor entfernt, häufig auch die umliegenden Lymphknoten um eine Streuung zu vermeiden. Eine Operation allein reicht meist nicht aus.
Quelle: Bayerische Krebsgesellschaft
Dabei kommen bestimmte Medikamente, sogenannte Zytostatika, zum Einsatz. Sie können bösartige Tumoren zerstören oder zumindest ein weiteres Wachstum verhindern. Die Medikamente greifen in den Zell-Stoffwechsel ein. Weil sie aber nicht zwischen gesunden Zellen und Tumorgewebe unterscheiden können, kommt es zu Nebenwirkungen, etwa Haarausfall, Erbrechen, Immunschwäche. Weil sich das Normalgewebe aber schneller regeneriert, wirkt die Chemotherapie auf Krebszellen stärker.
Der Tumor wird vor, nach oder anstelle einer Entfernung mit energiereicher Strahlung beschossen. Die Bestrahlung kommt nur lokal zum Einsatz und kann das Wachstum des Tumors bremsen, indem die Tumorzellen zerstört werden.
Es handelt sich um einen jungen Therapieansatz, auch "targeted therapy" (zielgerichtete Therapie) genannt. Hierunter fällt die in der US-Studie erforschte Blockierung des Ral-Proteins. Spezifische Wirkstoffe sollen zielgenau die Krebszellen angreifen.
Hierbei werden Antihormone gegeben. Sie können vor allem Tumoren der Geschlechtsorgane und Brustkrebs im Wachstum stoppen oder verlangsamen.
Hierunter versteht man die Überwärmung des Körpers oder einzelner Körperteile. Dies kommt beispielsweise ergänzend zu einer Strahlentherapie zum Einsatz, und kann ihre Wirkung verstärken.
Genau solche Erfolge wünschen sich auch die Mediziner im Kampf gegen einen der gefährlichsten Übeltäter im Körper, den Krebs. Denn die Zahl der Betroffenen wächst weltweit ungebremst. Laut einem aktuellen Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO wird die Zahl der Krebsneuerkrankungen von 14 Millionen im Jahr 2012 auf 21,6 Millionen im Jahr 2030 steigen, die Zahl der Todesfälle von 8,2 auf 13 Millionen.
Krebs wird somit laut WHO in den Industrieländern weiterhin der Killer Nummer zwei bleiben. Nur Herz-Kreislauferkrankungen fordern mehr Todesopfer.
Zwar sind in den vergangenen Jahren viele neue, teure Medikamente auf den Markt gekommen, die klassische Chemotherapie, Bestrahlung und das chirurgische Entfernen von Tumoren ergänzen. Doch sie haben zu keiner Trendwende geführt.
Tumorzellen fallen durchs Muster
Das soll sich nun radikal ändern. Frei nach Sherlock Holmes stärken die Pharmaforscher die kriminalistischen Fähigkeiten der körpereigenen Abwehr, des Immunsystems. Denn die sonst bestens gerüstete Polizei des Körpers ist meist machtlos gegenüber der Mörderbande namens Krebs.
Fast jeden anderen Kriminellen – etwa Viren oder krank machende Bakterien – spürt sie auf, sobald diese den Körper entern. Doch die todbringenden Tumorzellen fallen meist durchs Fahndungsraster.
Der Grund: Sie stammen aus dem Körper selbst. Keine Immunzelle verfolgt und tötet sie, stattdessen treiben sie oft jahrelang ihr Unwesen. Die Übeltäter teilen sich endlos, wuchern zu riesigen Geschwulsten heran und breiten sich im gesamten Körper aus.
Und selbst wenn die Körper-Kommissare Murot, Schimanski oder Bienzle Verdacht schöpfen, verstehen es die Krebs-Mafiosi, sich virtuos zu tarnen. Doch die Pharmaentwickler haben es jetzt endlich geschafft, diese Strategie zu durchkreuzen.
Ganz vorne mischen dabei deutsche Biotech-Unternehmen mit. Hierzulande haben mehrere hochkarätige Wissenschaftler an den Universitäten in München, Tübingen und Mainz im Detail erforscht, wie sich die Immunkräfte doch gegen den Krebs richten lassen. Einige der von ihnen gegründeten Biotech-Unternehmen stehen mit ihren innovativen Therapien nun kurz vor der Zulassung.
Die Hoffnung: „Damit könnte der Massenmörder Krebs endlich beherrschbar und zu einer chronischen Erkrankung wie Diabetes werden“, sagt Harpreet Singh, der Forschungschef der Tübinger Krebs-Impfungs-Firma Immatics Biotechnologies.
Spürhunde auf der Hatz
Es geht um Hoffnung für Millionen Krebskranke, aber auch um ein Milliardengeschäft. Den potenziellen Gesamtmarkt der Immuntherapeutika gegen Krebs taxieren Analystenteams in zehn Jahren auf 35 Milliarden Dollar. Ein Paradebeispiel ist Yervoy. Der US-Konzern Bristol-Myers Squibb (BMS) brachte den Immunverstärker gegen Hautkrebs 2011 auf den Markt und setzte im vorigen Jahr damit 960 Millionen Dollar um.
Kein Wunder: Die Behandlung eines Patienten kostet im Schnitt 120.000 Dollar. Dem ähnlich wirkenden Krebsmittel Opdivo gegen Haut- und Lungenkrebs, das BMS gerade in Japan auf den Markt bringt, sagen Marktforscher 2,5 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2018 voraus.
Viele Start-ups und Konzerne setzen auf eine von derzeit vier besonders vielversprechenden Methoden, um die sonst so gewieften Ermittler des Immunsystems doch noch auf die mafiösen Krebszellen zu hetzen und diese zur Strecke zu bringen.
Weiße Blutkörperchen sind die Scharfschützen des Immunsystems
Wer den Täter vor lauter Verdächtigen nicht sieht, braucht Hilfe. Das dachten jedenfalls Patrick Baeuerleund Gert Riethmüller, der mittlerweile emeritierten Chef des Instituts für Immunologie der Universität München. Riethmüller gründete 1993 das Biotechnikunternehmen Micromet, sein Schüler Bauerle stieß 1998 dazu. Ihre gemeinsam entwickelte Idee: der Körperpolizei mit einer Meute gut ausgebildeter Spürhunde zu helfen – speziell designten Antikörpern.
Natürlicherweise bildet das menschliche Immunsystem solche Megamoleküle selbst, um Krankheitserreger oder Giftstoffe zu erkennen. Die y-förmigen Proteine wittern eigentlich jeden Eindringling. Haben sie etwas entdeckt, schlagen sie an und rufen so Hilfe herbei, etwa die T-Zellen. Diese spezialisierten weißen Blutkörperchen sind die Scharfschützen des Immunsystems.
Wenn allerdings Krebsgeschwüre den Menschen befallen, verschlafen die T-Zellen ihren Einsatz. Sie wandern zwar in das Tumorgewebe ein. Doch statt die Krebszellen zu zerstören, hebt das Spezialkommando nicht einmal die Waffen.
Den Grund kennt Baeuerle ganz genau: „Krebszellen schütten Stoffe aus, die T-Zellen außer Gefecht setzen.“ Der Forscher hat deshalb ein Verfahren entwickelt, mit dem er die T-Zellen mit im Labor hergestellten Antikörpern wieder alarmieren kann, sodass sie die Krebszellen mit gezielten Schüssen niederstrecken.
Früherkennungsangebote der gesetzlichen Krankenkasse
Art der Untersuchung: Ganzkörperuntersuchung der Haut
Zielgruppe: Frauen und Männer ab 35 Jahren
Untersuchungsintervall: alle zwei Jahre
Möglichkeit 1
Art der Untersuchung: Stuhluntersuchung (Schnelltest auf verborgenes Blut im Stuhl)
Zielgruppe: Frauen und Männer von 50 bis 54 Jahren
Untersuchungsintervall: jährlich
Möglichkeit 2
Art der Untersuchung: Koloskopie (Darmspiegelung)
Zielgruppe: Frauen und Männer ab 55 Jahren
Untersuchungsintervall: zwei Koloskopien im Abstand von zehn Jahren
Art der Untersuchung: Abstrich am Gebärmutterhals
Zielgruppe: Frauen ab 20 Jahren
Untersuchungsintervall: jährlich
Möglichkeit 1
Art der Untersuchung: Abtasten der Brust
Zielgruppe: Frauen ab 30 Jahren
Untersuchungsintervall: jährlich
Möglichkeit 2
Art der Untersuchung: Mammographie im Rahmen des nationalen Mammographie-Screening-Programms
Zielgruppe: Frauen von 50 bis 69 Jahren
Untersuchungsintervall: alle zwei Jahre
Art der Untersuchung: Abtasten der Prostata (digitale rektale Untersuchung)
Zielgruppe: Männer ab 45 Jahren
Untersuchungsintervall: jährlich
Der Trick: Die Micromet-Wissenschaftler gaben ihren Antikörpern eine besondere Struktur, die Killer- und Tumorzellen so nahe aneinander bringt, „dass es wieder funkt“, wie es Baeuerle beschreibt. Die Spürhunde stoßen die trägen Ermittler quasi mit der Nase auf die bisher übersehenen Indizien und Beweise, sodass die ihre Scharfschützen endlich wachrütteln.
Erfolg gegen Blutkrebs
Weil diese Technik weltweit nahezu einzigartig ist, sicherte sich der kalifornische Biotech-Konzern Amgen vor knapp drei Jahren den Zugriff auf die Patente und kaufte Micromet für 1,2 Milliarden Dollar. Baeuerle blieb Chef der in Amgen Research umbenannten, weiterhin gut 200 Wissenschaftler großen Forschungseinheit in München.
Mithilfe des finanzstarken Biotech-Konzerns durchlief ein erster speziell designter Antikörper aus München inzwischen alle Studienphasen am Menschen – mit großem Erfolg. Bei drei Viertel der Patienten bildete sich eine besonders aggressive Blutkrebsart zurück: Es waren keinerlei Krebszellen mehr nachweisbar.
Vor wenigen Wochen beantragte Amgen die Zulassung für diesen Blinatumomab genannten Spürhund gegen Blutkrebs bei der EU-Medizinagentur EMA und ihrem US-amerikanischen Pendant FDA. Zumindest die stufte die neue Immuntherapie als bahnbrechend ein und erteilte gerade in einem besonders beschleunigten Verfahren die Zulassung. „Wir hoffen auch in Europa auf eine Zulassung innerhalb der kommenden Monate“, sagt Baeuerle.
Jagd mit Phantombildern
Ganz so weit ist die Mainzer Krebsforscherin Özlem Türeci noch nicht. Sie gründete 2001 die Biotech-Firma Ganymed Pharmaceuticals zusammen mit Christoph Huber, dem ebenfalls mittlerweile emeritierten Krebsimmunologen und Direktor einer der Mainzer Universitätskliniken. Auch sie will speziell abgerichtete Spürhunde in den Körper schicken, um die Körperpolizei zu unterstützen.
Türeci hat ein ganzes Set neuer Erkennungsregionen ausfindig gemacht, die ausschließlich auf Krebszellen vorkommen, aber auf keiner einzigen gesunden Zelle. Auf diese Erkennungsmuster trainiert sie ihre Antikörper-Spürhunde. Das 90 Mitarbeiter starke Unternehmen erprobt seine Fahndungs-Helfer gerade in einer zweiten klinischen Phase an 210 Menschen mit Magen- und Speiseröhrenkrebs.
So schnell und effektiv es ist, speziell trainierte Spürhunde anzufordern, so teuer ist es auch. Denn die extra designten Antikörper müssen die Forscher mithilfe gentechnisch aufgerüsteter Zellen in braukesselartigen Zuchtanlagen herstellen. Das ist aufwendig und entsprechend kostspielig.
Antikörper markieren den Tatort
Viel einfacher wäre es, die Körperpolizei vor Ort zu schulen – etwa mit großräumig verteilten Phantombildern der Übeltäter. Genau das versuchen viele Unternehmen, die therapeutische Impfungen entwickeln.
Bei klassischen, vorbeugenden Impfungen etwa gegen Grippe oder Tetanus spritzen Ärzte gesunden Menschen abgeschwächte oder abgetötete Krankheitserreger in den Körper. Die Körperpolizei stürzt sich darauf, registriert die Festgenommenen als fremd und lässt ihre eigenen Suchhunde an ihnen schnuppern. Der Körper entwickelt selbst Antikörper gegen den Krankheitserreger.
Die schwimmen dann durch die Lymphbahnen des Körpers und markieren den Tatort, wenn tatsächlich solch ein Erreger den Körper befällt. Die Abwehrreaktion geht nun viel schneller. T-Zellen – die Scharfschützen – eilen zu Hilfe und eliminieren die Erreger.
Biotech-Unternehmen die an Krebs-Immuntherapien forschen
Krebsart: Leberkrebs, Lungenkrebs
Wirkprinzip: Checkpoint-Therapie
Stand der Entwicklung*: Phase II
Kooperationspartner: Yakult; Biontech
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Hirntumor
Wirkprinzip: Checkpoint-Therapie
Stand der Entwicklung*: Phase II
Kooperationspartner:
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Hautkrebs, Brustkrebs
Wirkprinzip: Individuelle RNAKrebs-Impfung
Stand der Entwicklung*: Phase I/II
Kooperationspartner: 4SC, Immatics, Ganymed
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Prostatakrebs, Lungenkrebs
Wirkprinzip: RNA-Krebsimpfung
Stand der Entwicklung*: Phase II
Kooperationspartner: Boehringer Ingelheim
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Magen- und Speiseröhrenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Eierstockkrebs
Wirkprinzip: T-Zell-Therapie
Stand der Entwicklung*: Phase II
Kooperationspartner: Biontech
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Nierenkrebs, Darmkrebs, Hirntumor
Wirkprinzip: Peptid-Krebsimpfung
Stand der Entwicklung*: Phase III
Kooperationspartner: Roche; Biontech
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Prostatakrebs, Blutkrebs
Wirkprinzip: T-Zell-Therapie, Krebsimpfung
Stand der Entwicklung*: Phase II
Kooperationspartner:
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Blutkrebs, Knochenkrebs, Prostatakrebs, Darmkrebs
Wirkprinzip: T-Zell-Therapie, spezielle Antikörper
Stand der Entwicklung*: Zur Zulassung eingereicht
Kooperationspartner: Bayer; Boehringer Ingelheim; AstraZeneca/Medimmune
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Nierenkrebs
Wirkprinzip: Checkpoint-Therapie
Stand der Entwicklung*: Phase I/II
Kooperationspartner: Merck, Merck (USA), Pfizer
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Krebsart: Hautkrebs, Prostatakrebs
Wirkprinzip: RNA-Krebsimpfung
Stand der Entwicklung*: Präklinik
Kooperationspartner:
* des jeweils am weitesten fortgeschrittenen Medikaments; zur Arzneimittel-Entwicklung gehören präklinische Studien wie Tierversuche und drei aufeinanderfolgende Testphasen (I–III) am Menschen
Quelle: eigene Recherchen, Unternehmensinformationen
Forscher der Tübinger Firmen Immatics und Curevac impfen dagegen Menschen, die an Krebs erkrankt sind. Beide Gründungsteams stammen aus den Tübinger Universitätslaboren des weltweit renommierten Immunologie-Professors Hans-Georg Rammensee. Sie wollen die körpereigenen Immuntruppen auf die Krebszellen aufmerksam machen, damit diese dann selbst aktiv werden. Der Impfstoff präsentiert das biologische Verbrecherporträt. Er hält den Murots, Schimanskis und Bienzles des Körpers ein gestochen scharfes Fahndungsfoto vor die Nase.
Das Ganze ist recht preiswert, weil diese biologischen Phantombilder oftmals nur aus winzigen Protein-Bruchstücken bestehen oder sogar nur aus einer genetischen Bauanleitung – dem sehr billig herstellbaren Erbgutmolekül RNA.
Genau auf diese Billigstrategie setzt Ugur Sahin mit seiner in Mainz 2008 gegründeten Firma Biontech. Er will sie aber noch einen entscheidenden Schritt weiterentwickeln: Sahin will das Phantombild immer wieder neu zeichnen, weil sich die Tumorzellen extrem schnell genetisch verändern, etwa wenn Ärzte einen Krebskranken mit einem klassischen Chemotherapeutikum behandeln: Kaum schneidet die Körperpolizei den Verbrechern den Fluchtweg ab, entdecken sie einen Rettungstunnel. Wenn sie daraus wieder auftauchen, sind sie so verdreckt und zerzaust, dass das Fahndungsfoto nicht mehr stimmt.
Gezielter Todesschuss
Sahin, der zuvor mit seiner Ehefrau Türeci Ganymed gegründet hat, will deshalb die Tumore der Patienten laufend überwachen, Gewebeproben entnehmen und sie einem Gencheck unterziehen. Auf dieser Basis stellen seine Forscher jeweils einen individuellen Impfcocktail her – das aktualisierte Fahndungsfoto.
An sieben Patienten testen sie diese Strategie bereits. Und obwohl sie für jeden Erkrankten einen eigenen Impfstoff produzieren müssen, ist Sahin überzeugt, dass sich die Sache rechnen und vor allem für die Patienten lohnen wird: „Wir wollen den Tumorzellen einfach keine Schlupflöcher mehr lassen.“
Brustkrebs-Vorsorge
- Monatliche Selbstuntersuchung der Brust
- Halbjährliche Tastuntersuchung durch den Frauenarzt
- Halbjährlicher Brustultraschall
Jährliche Mammografie empfohlen
- Jährlich ein Brustultraschall
- Jährlich Mammografien in zwei Ebenen
Auch wenn die Wissenschaftler derzeit sehr optimistisch sind, räumen fast alle ein: Die von ihnen trickreich erdachten immuntherapeutischen Fallen werden vermutlich nur dann funktionieren, wenn sie diese miteinander oder auch mit klassischen Chemotherapien kombinieren. Denn wie echte Verbrecher hat auch die Krebs-Mafia noch ein weiteres Druckmittel in der Hand: Sie bedroht die Polizisten, sodass sie um ihr Leben fürchten – und die Ermittlungen schleifen lassen.
Tumorzellen bremsen das Abwehrsystem aus
So aktivieren Tumorzellen ganz gezielt Blockaden im Immunsystem. Kein Ermittler ist dann noch in der Lage, auf sie zu schießen, und sie können bei jeder Straßensperre oder Hausdurchsuchung ungehindert entkommen. Checkpoints heißen die biologischen Strukturen, die diese Kontrollfunktion im Körper übernehmen. Sie sind eigentlich dazu gedacht, eine Immunreaktion räumlich einzugrenzen und im Zaum zu halten, damit der Körper sich nicht selbst angreift.
Doch die kriminellen Tumorzellen aktivieren diese biologischen Schalter mit speziellen Molekülen und bremsen das Abwehrsystem damit komplett aus.
Ein Wirkstoff, der diese perfide Blockade durchbricht, ist der Kassenschlager Yervoy. Der Antikörper von BMS gegen Hautkrebs schafft es, die von den Tumoren verursachte Schreckstarre wieder zu lösen: Er bringt die Scharfschützen des Körpers auf Linie und erteilt ihnen sofortigen Schießbefehl.
Wie hoch gehandelt dieses Therapiekonzept derzeit ist, zeigt der knapp drei Milliarden Dollar schwere Kooperationsvertrag zwischen Pfizer und Merck in Darmstadt. Dabei befindet sich die teuer eingekaufte Substanz mit dem kaum aussprechbaren Namen MSB0010718C erst in der ersten Prüfungsphase am Menschen und kann auf dem Weg zur Zulassung noch grandios scheitern. Doch der Wirkstoff greift genau den gleichen Checkpoint-Mechanismus an wie Opdivo, der zweite verheißungsvolle Kandidat vom Konkurrenten BMS.
Lockvogel rüttelt Körperpolizei auf
Vielleicht lässt sich aber auch hier der gewünschte Effekt noch einfacher und preiswerter erreichen. Das hofft jedenfalls Christine Schuberth-Wagner, die vor wenigen Monaten das Start-up Rigontec in Siegburg gegründet hat – zusammen mit den Professoren Gunther Hartmann und Veit Hornung vom Universitätsklinikum Bonn, wo diese Klinische Chemie und Biochemie sowie Pharmakologie lehren. Ihr Ansatz: Auch mit einem vorgetäuschten Angriff mit einem Lockvogel lassen sich die Ermittler aufrütteln. Zumindest im Tierversuch klappt das schon perfekt.
Biologisch sieht Schuberths List so aus: Wie einen Lockvogel schleust sie Moleküle der Erbsubstanz RNA in den Körper. Die sollen der Körperpolizei vorgaukeln, dass eine heftige Virusinfektion vorliegt. Der Effekt: Das Immunsystem löst Großalarm aus und jagt die Abwehrzellen durch den gesamten Körper, um die vermeintliche Viren-Bande zu stellen. Obwohl diese keinerlei Phantombilder in der Hand halten, finden die derartig wachgerüttelten Kommissare nun auch die Verstecke der Krebs-Mafia und machen die Tumorzellen unschädlich.
So ähnlich wie beim Tatort-Kommissar Murot, bei dem der Gehirntumor die Sinne schärfte und ihn zu ganz neuen Einsichten brachte. Seit er sich zwischen Folge zwei und drei die Geschwulst chirurgisch hat entfernen lassen, gilt Murot zwar für die folgenden Serienteile als geheilt. Bisher jedenfalls. Mit den genialen Ermittlungsideen der TV-Figur ist seither allerdings ebenfalls Schluss.