New Horizons Von Pluto über die Erde lernen

Der Vorbeiflug der New Horizons an Pluto ist historisch für Raumfahrt und Forschung. Denn wir wissen sehr wenig über den Zwergplaneten, der so viel über unser Universum verraten könnte.

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Es ist ein Meilenstein in der Raumfahrtgeschichte: Pluto – bis 2006 der fernste Planet in unserem Sonnensystem – bekommt Besuch von der Erde. Als die Nasa-Sonde New Horizons vor mehr als neun Jahren im Januar 2006 gen Pluto startete, war dieser noch der neunte Planet. Nach der Degradierung durch die Internationale Astronomische Union (IAU) trägt er „nur noch“ die Bezeichnung Zwergplanet. Auf den ersten Blick scheint die Ersterkundung des Himmelskörpers an Prestige verloren zu haben, aber dem ist nicht so.

Denn die 720 Millionen Dollar teure New-Horizons-Mission zu Pluto ist viel mehr als nur die Reise zu einem Zwergplaneten. Es ist für Forscher eine riesige Entdeckungsreise und für die Raumfahrt eine historische Unternehmung. Denn New Horizons hat gleich mehrere Rekorde gebrochen. Kein Raumschiff ist bislang so schnell und keines länger und weiter gereist als die Nasa-Sonde: mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50.400 Kilometern pro Stunde, mehr als neun Jahren und einer Distanz von 4,8 Milliarden Kilometern.

Wenn New Horizons an Pluto vorbeifliegt, wird sie nur noch 12.500 Kilometer vom Zwergplaneten entfernt sein – im Vergleich zu bisherigen Aufnahmen bietet das eine Lupenperspektive.

Der Weg der Raumsonde New Horizons zum Pluto


Während der Vorbeiflugphase – dem Flyby – wurden von insgesamt sieben wissenschaftlichen Experimenten Fotos gemacht und Werte gemessen. Sie alle sollen etwa Oberflächentemperaturen, Atmosphäre oder die Masse von Pluto und seinem größten Mond Charon berechnen. „Das Grundwissen, das man über einen planetaren Körper haben möchte – angefangen mit Kennzahlen wie Masse, Radius, Dichte, Oberflächenbeschaffenheit, Temperatur, Atmosphäre oder Magnetfeld, das wollen wir erfahren“, erklärt Tilman Spohn, Leiter des Instituts für Planetenforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Größenunterschied im Blick: Diese Grafik der NASA zeigt, wie klein Pluto und sein Mond Charon im Vergleich zur Erde sind. Quelle: NASA

Was dabei herauskommt, kann entscheidend sein für die Vorstellung und weitere Erforschung unseres Sonnensystems, denn es ist die Ersterkundung des sogenannten Kuiper-Gürtels – einem Asteroidengürtel am äußersten Rand unseres Sonnensystems. Ein erster Blick in diese Ecke, die Forschern bislang nahezu unbekannt ist. „In diesem unerforschten Gebiet umkreisen eine Vielzahl von kleinen Eis- und Gesteinskörpern die Sonne“, so Spohn.

Pluto als der größte bekannte Körper des Kuiper-Gürtels errege schon deshalb wissenschaftliches Interesse. Ähnlich den Asteroiden und Kometen sind die sogenannten „Eiszwerge“, wie Pluto auch einer ist, seit ihrer Entstehung wahrscheinlich kaum durch geologische Prozesse verändert worden, sodass Pluto den Forschern also viel über die früheste Zeit des Sonnensystems verraten kann. „Es sind Bausteine, aus denen die Körper unseres Sonnensystems damals vor viereinhalb Milliarden Jahren gebaut worden sind“, erläutert Spohn.

Erkenntnisse über Entstehung unseres Sonnensystems


Also Planet oder Zwergplanet – hin oder her! Der detaillierte Blick auf Pluto kann uns viel über das verraten, was Forscher bislang nur von pixeligen Aufnahmen des Hubble-Teleskops kannten, auf denen sich fast gar nichts erkennen ließ. „Hier kommt die Überlegenheit zum Tragen, dass ein Labor in einer Raumsonde zu seinem Ziel fliegt und vor der Haustür Fotos schießt“, sagt Martin Pätzold, Planetenforscher des Rheinischen Instituts für Umweltforschung an der Universität zu Köln.

Er ist live in der Schaltzentrale dabei, während New Horizons Fotos macht und Werte misst, denn der gehört zu dem deutschen Team, das die Mission am Applied Physics Laboratory (APL) der John-Hopkins-Universität in den USA begleitet und unterstützt. „Wir messen zum ersten Mal direkt die individuellen Massen von Pluto und Charon.“ Die Durchmesser werde dabei präzise ermittelt und die Dichte der Körper berechnet. „Die Dichte eines planetaren Körpers sagt sehr viel über den inneren Aufbau und damit letztlich auch über seine Entstehung und seine Evolution aus.“

Fakten zu Pluto


Die Eigenschaften Plutos können aber nicht nur wichtige Stichpunkte zur Entstehung des Planetensystems liefern, sondern insbesondere ein Phänomen unseres eigenen Planeten vielleicht besser erklären – das Erde-Mond-System. Denn der größte Mond Plutos, Charon, und der Zwergplanet scheinen in einem ähnlichen Verhältnis zueinander zu stehen, wie die Erde und ihr Mond. „Planetenforscher sprechen von Erde und Mond und Pluto und Charon gerne von Doppelplaneten, weil beide (Erde und Mond, Pluto und Charon) annähernd ähnliche Radien haben“, sagt Pätzold. Bei Jupiter und seinen Monden beispielsweise ist das anders, denn die Monde sind dort sehr viel kleiner als der Planet.

„Doppelplanetensysteme sind eher selten.“ In unserem Sonnensystem sind Forschern nur diese beiden bekannt: Erde und Mond, Pluto und Charon. Zwar kenne man das Erde-Mond-System mittlerweile recht gut, „der Vergleich mit Pluto-Charon kann aber helfen, noch verbliebene Fragen zu lösen“, so Pätzold. So können Forscher etwa den Mondeinfluss auf die Gezeiten vergleichen, die bei uns auf der Erde beispielsweise für Ebbe und Flut verantwortlich sind.

Auf dem Mars wiegen wir nur die Hälfte
Viele Menschen werden sich freuen: Auf dem Mars reduziert sich das Gewicht - wiegt also jemand 75 Kilo auf der Erde, so ist er auf dem Mars mit 28 Kilo ein Fliegengewicht. Quelle: Reuters
Aufgrund seiner Beschaffenheit würde der Saturn auf dem Wasser schwimmen. Er ist ein Gasplanet und besteht zu 96 Prozent aus Wasserstoff, deshalb weist er auch die geringste mittlere Dichte auf. Der Saturn war schon vor der Erfindung des Fernrohrs bekannt, weil er als äußerster Planet mit dem Auge problemlos zu erkennen ist. Quelle:
Die Mondlandung war ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer für die Menschheit: Insgesamt waren Astronauten bislang 300 Stunden auf dem Mond. Quelle: dpa
Der höchste Berg auf der Erde ist zweifelsohne der Mount Everest mit 8848 Metern. Er wird allerdings vom Olympus Mons auf dem Mars überragt, der 26 Kilometer zählt. Quelle: dapd
Angeblich soll es mehr Sterne geben als Sandkörner auf der Erde: Ein australischer Astronom geht davon aus, dass es etwa 70 Tausend Millionen Millionen Millionen Sterne gibt - und da sind nur die "gezählt", die mit modernen Teleskopen erkennbar sind. Quelle: dpa/dpaweb
Bis auf Merkur und Mars haben alle Planeten in unserem Sonnensystem Monde: Mit 67 Monden hat der Jupiter die meisten. Es folgt der Saturn mit 62 Monden. Quelle: REUTERS
Die Entfernung zwischen Mond und Erde beträgt 384.400 km: Das wird allerdings jedes Jahr ein bisschen mehr. Durchschnittlich in 27 Tagen und sieben Stunden umkreist der Mond die Erde. Quelle: dpa

„Wir würden natürlich auch gerne wissen, wie Charon entstanden ist. Wie kommt Pluto dazu, so einen großen Mond zu haben?“, fragt Spohn. Das sei auch ein Rätsel, das sogar für Erde und Mond noch nicht so ganz gelöst sei. „Es gibt mittlerweile einigermaßen eine Vorstellung, wie der Mond entstanden ist, aber es gibt immer noch ungeklärte Fragen und die Untersuchung eines vergleichbaren Systems könnte uns der Lösung näher bringen“, so Spohn.

Auch Pluto ist rot

Mit dem 14. Juli hat die Nasa übrigens einen besonderen Stichtag für Pluto getroffen: Auf den Tag genau vor 50 Jahren gelang es der Menschheit mit Nasas Mariner 4 erstmals den Mars zu erforschen – am 14. Juli 1965 flog die Mariner 4 an dem Roten Planeten vorbei – von dem es übrigens jetzt bekanntermaßen mehrere gibt. Denn wie New Horizons schon vor einer Woche beim Anflug auf Pluto durch Bilder bewies, ist auch Pluto rot.

Der Vorbeiflug in nächster Nähe kann nun viele weitere Beweise oder Überraschungen liefern. So fragen sich die Wissenschaftler etwa auch noch, ob Pluto einen unterirdischen Ozean aus flüssigem Wasser in sich verbirgt.

Während einige Forscher dies für möglich halten, ist Pätzold da kritisch, da sich die Oberflächentemperaturen auf Pluto um die -200 Grad Celsius bewegen. „Auch im Inneren dürften die Temperaturen nicht ausreichen. Pluto ist zu klein für eine derartige innere Wärmequelle, die signifikant hohe Temperaturen erzeugt, dass flüssiges Wasser unter der Oberfläche möglich wäre“, so Pätzold. Den Beweis kann aber nur New Horizons liefern.

Denn möglich ist vieles – und genau das macht Plutos Erforschung so spannend – trotz Zwergen-Status. Jetzt heißt es Bilder bestaunen und abwarten, was für Daten New Horizons der Menschheit liefern wird. Allerdings müssen Weltallbegeisterte und Experten sich abgesehen von den ersten Fotos wohl noch ein Weilchen gedulden, denn da das Signal im Funkverkehr mit der Sonde für die einfache Wegstrecke fast viereinhalb Stunden braucht, kann es über ein Jahr dauern bis alle wissenschaftlichen Aufzeichnungen des Bordcomputers die Erde erreicht haben.

Übrigens gab es vorher eine ganz große Sorge unter den Wissenschaftlern des New-Horizons-Projekts: „Dass wir zu spät ankommen (wegen der vielen Verzögerungen noch bei der Planung auf der Erde) und die Temperaturen mittlerweile so kalt geworden sind, dass die Stickstoff- und Methan-Atmosphäre ausgefroren ist“, sagt Pätzold. „Drücken wir die Daumen...“ Denn dann gäbe es deutlich weniger hilfreiche Messwerte. Aber die ersten Bilder scheinen dies nicht zu bestätigen. Und unter Raumfahrt-Laien bewirken sie aktuell wieder vor allem Eines: Begeisterung für den Weltraum.

Denn auch wenn Pluto nicht mehr zu unseren neun Planeten gehört, auf der Karte unseres Sonnensystems füllt New Horizons mit seinem Vorbeiflug an Pluto einen dunklen Fleck aus, liefert uns Wissen über unser Planetensystem, das uns sonst verborgen bliebe und schickt beeindruckende Bilder, die sonst nie ein Mensch gesehen hätte.

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