Ihn hatte keiner auf dem Radar. Als die WirtschaftsWoche im September führende Ökonomen in Deutschland befragte, wer in diesem Jahr den „Preis der Schwedischen Reichsbank zum Gedenken an Alfred Nobel“ erhalten solle, fielen große Namen der Zunft, von Robert Barro und John B. Taylor bis hin zu Paul Romer. Der Name des amerikanischen Verhaltensökonomen Richard Thaler von der Universität Chicago fiel nicht.
Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm hingegen sieht, wie wir seit heute wissen, den 72-Jährigen in diesem Jahr auf Platz 1. Der in New Jersey geborene Ökonom habe eine Brücke geschlagen zwischen den wirtschaftlichen und psychologischen Analysen der Entscheidungsprozesse von Individuen. Konkret habe Thaler gezeigt, dass begrenzte Rationalität, soziale Präferenzen und ein Mangel an Selbstbeherrschung systematisch Entscheidungen und Marktergebnisse beeinflussen.
Das Fazit des Nobelkomitees: „Seine empirischen Befunde und theoretischen Einsichten waren maßgeblich für die Schaffung des neuen und schnell wachsenden Gebiets der Verhaltensökonomie, die einen tiefgehenden Einfluss auf viele Bereiche der wirtschaftlichen Forschung und Politik gehabt hat." Dafür erhält der Ausgezeichnete nun neun Millionen schwedische Kronen, umgerechnet 940.000 Euro als Preisgeld.
Ist Thaler eine gute Wahl? Ja und nein. Zunächst mal ist es beruhigend, dass diesmal kein Vertreter aus dem Elfenbeinturm der Wirtschaftswissenschaft gewonnen hat, der die Ökonomie als Wurmfortsatz der Mathematik versteht und glaubt, einem Naturwissenschaftler gleich, das Weltgeschehen ausrechnen zu können.
Mit der Verhaltensökonomie wird eine immer wichtiger werdende Teildisziplin der VWL geehrt, die das Denkgebäude des Homo oeconomicus verlässt und sich in Feld-und Laborversuchen lieber mit realen Problemen auseinandersetzt anstatt sich in Formelakrobatik zu verlieren.
„Die Auszeichnung Richard Thalers ist eine kluge Wahl des Nobelpreiskomitees. Sie sollte auch den Wirtschaftswissenschaften in Deutschland als Signal dienen, sich von orthodoxen und rein theoretischen Arbeiten zu verabschieden und mehr Wert auf empirisch belastbare Ansätze zu legen“, sagte Marcel Fratzscher, Präsident der Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der WirtschaftsWoche. Die Auszeichnung für einen Wissenschaftler der Verhaltensökonomie belege „den großen Fortschritt der Wirtschaftswissenschaften in den vergangenen Jahren“. Thalers Forschung unterstreiche, „wieso menschliche Emotionen - Gefühle zu Fairness, Altruismus, Risikoaversion, aber auch Bedauern - das Handeln häufig bestimmen.“
Auch für Clemens Fuest, den Präsidenten des Münchner ifo Instituts, ist die Bewertung des neuen Preisträgers eindeutig: „Richard Thalers Forschung ist hochaktuell und bietet nicht nur neue Einsichten, sondern auch praktische Lebenshilfen. Er hat gezeigt, dass Menschen häufig nicht vollständig rational handeln, sondern eher einfachen Entscheidungsregeln folgen.“
Forderung nach politischem Signal
Gleichwohl ist Kritik an der Auswahl des Nobel-Komitees erlaubt. Mit Thaler gewinnt SCHON WIEDER ein Amerikaner - dabei stellten US-Ökonomen schon vorher über zwei Drittel aller Preisträger. Der Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte sieht die erneute Vergabe an einen US-Ökonomen sogar „als Warnzeichen für den Wissenschaftsstandort Deutschland.“
Zudem ist es SCHON WIEDER ein Mann. Seit die Schwedische Reichsbank 1969 den Preis stiftete, hat ihn erst ein einziges Mal eine Ökonomin erhalten, Elinor Ostrom im Jahr 2006. Den ersten Punkt mag man noch als logische Folge der US-Forschungsdominanz in den Wirtschaftswissenschaften interpretieren, für die das Nobelpreiskomitee nichts kann. Der zweite Punkt hingegen ist angesichts der vielen mittlerweile auf höchstem Niveau forschenden Ökonominnen ein Ärgernis.
Auch inhaltlich darf an der Wahl des Preiskomitees herumgemäkelt werden. Angesichts der weltweit zunehmenden politischen Attacken auf Markwirtschaft und offene Märkte wäre es ein starkes politisches Signal gewesen, entgegen dem Zeitgeist einen Vorkämpfer für wirtschaftliche Freiheit auszuzeichnen. Thaler gilt als Anhänger eines – wenn auch sanften - staatlichen Paternalismus. In seinem Buch „Nudge: Improving Decisions about Health, Wealth and Happiness“ entwickelte er 2008 mit seinem Kollegen Cass Sunstein das Konzept des „Nudging“, das in der Politik auf großes Interesse stieß. Es geht darum, wie man durch staatliche „Schubser“ die Menschen zu einem sozial, ökologisch oder politisch erwünschten Verhalten bringen kann.
An diesem Punkt geht dann auch ifo-Chef Fust ein Stückchen auf Distanz zum neuen Nobelpreisträger, denn er weiß: „Kritiker halten politische Eingriffe dieser Art für Bevormundung.“
Die Nobelpreisträger des Jahres 2017
Die internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung (Ican) unter anderem für ihre „bahnbrechenden Bemühungen um ein vertragliches Verbot“ von Atomwaffen.
Quelle: dpa
Der britische Schriftsteller Kazuo Ishiguro für Romane von starker emotionaler Kraft, in denen er „den Abgrund unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt“ offenlege.
Der Schweizer Jacques Dubochet, der Deutsch-Amerikaner Joachim Frank und der Brite Richard Henderson für die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie.
Die US-Amerikaner Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne für den Nachweis der Gravitationswellen.
Die US-Amerikaner Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für die Erforschung der Inneren Uhr.
Der US-Amerikaner Richard Thaler für seine Beiträge zur Verhaltensökonomie, die Wirtschaft menschlicher gemacht hätten.