Nobelpreis Entscheidung mit Fragezeichen

Es ist gut, dass ein Verhaltensökonom und kein verkappter Mathematiker den Ökonomie-Nobelpreis erhält. Trotzdem gibt es an der Wahl von Richard Thaler Einiges zu hinterfragen.

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Die Wirtschaftsnobelpreis-Sieger seit 2001
2001George Arthur Akerlof (geboren am 17. Juni 1940 in New Haven, Connecticut) lehrt als Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of California, Berkeley. 2001 erhielt er zusammen mit Joseph E. Stiglitz und Michael Spence den Nobelpreis für seine Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten. Ende Oktober 2009 gründete Akerlof mit anderen das Institute for New Economic Thinking (INET) mit dem Ziel, neue Denkansätze für die Volkswirtschaftslehre zu entwickeln. Quelle: AP
2001Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stiglitz, geboren am 9. Februar 1943 in Gary, Indiana, wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch sein Buch "Die Schatten der Globalisierung" bekannt. Stiglitz gilt als scharfer Kritiker der Politik der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten. Quelle: dapd
2001Preisträger Andrew Michael Spence ist der Vater der sogenannten „Job Market Signaling“-Theorie, die sich allgemein mit dem Problem der asymmetrischen Information auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt. Der Ökonom wurde am 7. November 1943 in Montclair, New Jersey, geboren und ist Professor an der Harvard University, lehrt aber auch an der Business School der New York University. Quelle: AP
2002Daniel Kahneman (geboren am 5. März 1934 in Tel-Aviv) ist ein israelisch-US-amerikanischer Psychologe. Er erhielt 2002 zusammen mit Vernon L. Smith den Wirtschafts-Nobelpreis. Die zugrundeliegende Theorie – die „Prospect Theory“ – entwickelte der Wissenschaftler zusammen mit Amos Tversky. Die Theorie erlaubt es, die Entscheidungsfindung in Situationen der Unsicherheit zu beschreiben. Bekannt wurden vor allem Kahnemanns Arbeiten zu Urteilsheuristiken und kognitiven Verzerrungen. Er ist emeritierter Professor der Princeton University. Quelle: REUTERS
2002Der US-Amerikaner Vernon L. Smith gilt als der bedeutendste Vertreter der experimentellen Kapitalmarktforschung. Der 1927 in Wichita (Kansas) geborene Smith ist Professor für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und forscht unter anderem an der George Mason University in Arlington (Virginia). Quelle: AP
2003Sir Clive William John Granger (1934-2009) wurde für seine Arbeit an "Methoden zur Analyse ökonomischer Zeitreihen mit gemeinsam veränderlichen Trends (Kointegration)" ausgezeichnet. Beispiele hierfür sind der Zusammenhang zwischen Vermögen und Konsum, Wechselkursen und Preisniveau oder kurzfristigen und langfristigen Zinssätzen. Der Brite war zuletzt emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of California, San Diego, und lehrte in Nottingham. Quelle: REUTERS
2003Robert F. Engle III ist Professor für Management von Finanzdienstleistungen an der New York University. Engle wurde am 10. November 1942 in Syracuse/New York geboren. Geehrt wurde er für seine Verdienste hinsichtlich der Entwicklung von Methoden zur Analyse ökonomischer Zeitreihen mit zeitlich variabler Volatilität. Den Preis teilt er sich mit dem 2009 verstorbenen Clive W. J. Granger. Quelle: dpa

Ihn hatte keiner auf dem Radar. Als die WirtschaftsWoche im September führende Ökonomen in Deutschland befragte, wer in diesem Jahr den „Preis der Schwedischen Reichsbank zum Gedenken an Alfred Nobel“ erhalten solle, fielen große Namen der Zunft, von Robert Barro und John B. Taylor bis hin zu Paul Romer. Der Name des amerikanischen Verhaltensökonomen Richard Thaler von der Universität Chicago fiel nicht.

Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm hingegen sieht, wie wir seit heute wissen, den 72-Jährigen in diesem Jahr auf Platz 1. Der in New Jersey geborene Ökonom habe eine Brücke geschlagen zwischen den wirtschaftlichen und psychologischen Analysen der Entscheidungsprozesse von Individuen. Konkret habe Thaler gezeigt, dass begrenzte Rationalität, soziale Präferenzen und ein Mangel an Selbstbeherrschung systematisch Entscheidungen und Marktergebnisse beeinflussen.

Das Fazit des Nobelkomitees: „Seine empirischen Befunde und theoretischen Einsichten waren maßgeblich für die Schaffung des neuen und schnell wachsenden Gebiets der Verhaltensökonomie, die einen tiefgehenden Einfluss auf viele Bereiche der wirtschaftlichen Forschung und Politik gehabt hat." Dafür erhält der Ausgezeichnete nun neun Millionen schwedische Kronen, umgerechnet 940.000 Euro als Preisgeld.

Ist Thaler eine gute Wahl? Ja und nein. Zunächst mal ist es beruhigend, dass diesmal kein Vertreter aus dem Elfenbeinturm der Wirtschaftswissenschaft gewonnen hat, der die Ökonomie als Wurmfortsatz der Mathematik versteht und glaubt, einem Naturwissenschaftler gleich, das Weltgeschehen ausrechnen zu können.

Mit der Verhaltensökonomie wird eine immer wichtiger werdende Teildisziplin der VWL geehrt, die das Denkgebäude des Homo oeconomicus verlässt und sich in Feld-und Laborversuchen lieber mit realen Problemen auseinandersetzt anstatt sich in Formelakrobatik zu verlieren.

„Die Auszeichnung Richard Thalers ist eine kluge Wahl des Nobelpreiskomitees. Sie sollte auch den Wirtschaftswissenschaften in Deutschland als Signal dienen, sich von orthodoxen und rein theoretischen Arbeiten zu verabschieden und mehr Wert auf empirisch belastbare Ansätze zu legen“, sagte Marcel Fratzscher, Präsident der Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der WirtschaftsWoche. Die Auszeichnung für einen Wissenschaftler der Verhaltensökonomie belege „den großen Fortschritt der Wirtschaftswissenschaften in den vergangenen Jahren“. Thalers Forschung unterstreiche, „wieso menschliche Emotionen - Gefühle zu Fairness, Altruismus, Risikoaversion, aber auch Bedauern - das Handeln häufig bestimmen.“

Auch für Clemens Fuest, den Präsidenten des Münchner ifo Instituts, ist die Bewertung des neuen Preisträgers eindeutig: „Richard Thalers Forschung ist hochaktuell und bietet nicht nur neue Einsichten, sondern auch praktische Lebenshilfen. Er hat gezeigt, dass Menschen häufig nicht vollständig rational handeln, sondern eher einfachen Entscheidungsregeln folgen.“

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