Novartis in der Kritik Deutschland geht der Grippe-Impfstoff aus

Gesundheitliche Folgen gibt es bislang keine, aber die politischen Nebenwirkungen sind heftig. Nach dem Rückruf von Grippeimpfstoffen des Schweizer Konzerns Novartis geraten Pharmafirmen und Krankenkassen in die Kritik.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Auslieferung von zwei Grippe-Impfstoffen des Schweizer Pharmakonzerns Novartis ist in mehreren Ländern wegen des Verdachts auf Verunreinigungen gestoppt worden. Quelle: dpa

Für kommende Woche wurde eine Krisensitzung einberufen: Vertreter des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), der Krankenkassen und der Pharmahersteller wollen sich zu Gesprächen über die Impfstoffversorgung an einen Tisch setzen, wie ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums am Freitag in Berlin ankündigte.
Obwohl bereits Patienten mit den zurückgerufenen Grippeimpfstoffen behandelt wurden, sind nach Angaben des PEI bislang keine Nebenwirkungen bekannt. „Zum Glück haben wir keine Meldungen erhalten der Art, die zu befürchten wäre, wenn Ausflockungen da wären“, sagte PEI-Präsident Prof. Klaus Cichutek am Freitag im ARD-Morgenmagazin. Das Institut im hessischen Langen hatte am Donnerstag fünf Chargen der Novartis-Impfstoffe Begripal und Fluad aus dem Verkehr gezogen.

Die hartnäckigsten Gesundheitsmythen
Eine junge Frau putzt sich mit einem Papiertaschentuch die Nase Quelle: dpa
Mann mit Rückenschmerzen sitzt im Büro Quelle: obs
In einer Zahnarztpraxis werden die Zähne eines Jungen untersucht Quelle: dpa
Ein Fieberthermometer liegt auf verschiedenen Arten und Formen von Tabletten Quelle: dpa
Ein Mann zieht an seinem Finger und erzeugt ein Knackgeräusch. Quelle: dpa
Angela Merkel hält ein Schnapsglas in der hand Quelle: AP
Ein Junge steht unter einer Dusche Quelle: dpa


Ausflockungen in den Spritzen waren in Italien entdeckt worden. Bei den in Deutschland ausgelieferten Impfstoffen sei dies bislang nicht beobachtet worden, erklärte Cichutek, wohl aber in Zwischenprodukten bei der Herstellung. Diese Chargen rief Novartis am Donnerstag zurück.


14,2 Millionen Impfstoffdosen aus dem Verkehr gezogen
Insgesamt hatte das PEI bisher 14,2 Millionen Impfstoffdosen freigegeben, auf die nun vorsorglich aus dem Verkehr gezogenen Chargen entfielen 750 000 Dosen, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Unklar ist aber, wie viele davon bereits verimpft wurden. Ob es nach dem Rückruf zu einem Engpass kommt, ließ das Ministerium offen. Der PEI-Chef sieht keine größeren Probleme: Es gebe eine ganze Reihe an Alternativen zu den beiden Produkten.

Flocken-Probleme schon wiederholt aufgetreten

Die Volkskrankheiten der Deutschen
AU-Bescheinigung Quelle: dpa
Gehirnansicht Quelle: dpa/dpaweb
Mammographie Quelle: dpa/dpaweb
Depressionen Quelle: dpa
Angststörungen Quelle: dpa
Raucherin Quelle: dpa
Fettleibigkeit Quelle: dpa

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht das anders. „Wir drohen, auf einen Engpass bei der Grippeschutzimpfung zumindest in Teilen Deutschlands zuzusteuern. Derzeit steht zu wenig Impfstoff zur Verfügung“, sagte KBV-Vorstandsmitglied Regina Feldmann am Freitag in Berlin. Sie machte dafür Vereinbarungen mitverantwortlich, „die einzelne Krankenkassen mit Anbietern geschlossen haben“.

Auch der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn zeigte sich besorgt: Der Vorgang sei „fatal für die Impfbereitschaft in Deutschland. Das muss schnellstens geklärt werden“, sagte er der dpa. Auch für den Vorsitzenden des Verbandes der niedergelassenen Ärzte, Dirk Heinrich, sind Rückrufaktion und „Rabattschlacht der Kassen um die günstigsten Impfstoffe (...) ein schwerer Rückschlag für die Präventionsbemühungen in Deutschland“. Seit etwa drei Jahren seien die Impfraten gegen die Influenza schon um rund 30 Prozent gesunken.

"Schwere Lokalreaktionen" beobachtet
Probleme mit Flocken in Grippeimpfstoffen sind nicht neu: Auch in vorherigen Jahren habe es solche Verunreinigungen gegeben, sagte PEI-Präsident Cichutek. Auch damals seien die Impfstoffe vom Markt genommen worden. Damals habe man bei Menschen, die damit geimpft wurden, „schwere Lokalreaktionen“ beobachtet bis hin zu „schweren allergieähnlichen Schockzuständen“. Diese Nebenwirkungen träten innerhalb von Stunden nach der Impfung auf.
Zu den Ursachen sagte Cichutek: „Wir haben hier zusammen mit der Firma die Vermutung, dass die Auswirkung von einem neuen Antigen herrührt“. Die Herstellung von Grippeimpfstoffen sei „durchaus komplex“, es komme dabei immer mal wieder zu Unregelmäßigkeiten.

Impfstoff muss jedes Jahr neu produziert werden

Die am häufigsten falsch behandelten Krankheiten
Platz 10: Uterus myomatosusKnapp zwei Drittel aller Fehler, die von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer 2011 anerkannt wurden, ereigneten sich in Krankenhäusern. Auf Platz 10 der dort am häufigsten fehlbehandelten Krankheiten ist Uterus mymatosus. Dahinter verbergen sich Myome der Gebärmutter, die am häufigsten gutartigen Tumore bei Frauen. 21 Mal behandelten Krankenhaus-Ärzte diese Krankheit vergangenes Jahr falsch.Woran die zahlreichen Fehler in Krankenhäusern liegen, hat die WirtschaftsWoche bereits im April analysiert. Quelle: Fotolia
Platz 9: Gallenstein23 Mal wurden in Krankenhäusern vergangenes Jahr Gallensteine, also Cholelithiasis, falsch behandelt. Quelle: Fotolia
Platz 8: Oberflächliche VerletzungenWunden und Schrammen wurden 2011 in deutschen Krankenhäusern 26 mal falsch behandelt – womit sie auf Platz 8 landen. Bei Fehlbehandlungen in Arztpraxen erreichen oberflächliche Verletzungen Platz 10. Niedergelassene Ärzte behandelten sie nur zehn Mal falsch. Quelle: REUTERS
Platz 7: HandfrakturKnochenbrüche an der Hand behandelten Krankenhausärzte vergangenes Jahr 30 Mal falsch. Damit erreichen Handfrakturen Platz 7. Bei Fehlbehandlungen durch niedergelassene Ärzte erreichen Handfrakturen Platz 8. Sie behandelten diese Knochenbrüche 12 Mal falsch. Quelle: dapd
Platz 6: Schulter- und OberarmfrakturNur einmal mehr pfuschten Krankenhaus-Ärzte bei Brüchen an Schulter und Oberarm: Hier gab es 31 Fehlbehandlungen im Jahr 2011. Bei niedergelassenen Ärzten kommen Pfuschereien in diesem Bereich gar nicht in den Top 10 vor. Quelle: Fotolia
Platz 5: Unterschenkel- und SprunggelenkfrakturGanze 21 Mal häufiger wurden Brüche an Unterschenkel- und Sprunggelenken falsch therapiert. Hier gab es 2011 in deutschen Krankenhäusern 52 Fehlbehandlungen. In Praxen gab es bei Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen sogar mit 15 Fällen die zweithäufigsten Fehlbehandlungen. Quelle: dpa-tmn
Platz 4: OberschenkelfrakturMit 63 Pfuschereien in Krankenhäusern landen Oberschenkelfrakturen auf Platz 4. In niedergelassenen Praxen kommen Oberschenkelfrakturen nicht in den Top 10 der Fehlbehandlungen vor. Quelle: dpa

Tatsächlich ist die Herstellung eines Grippeimpfstoffs jedes Jahr eine logistische Meisterleistung. Denn das Gros der weltweit pro Jahr hergestellten rund 300 Millionen Dosen Grippeimpfstoff wird in befruchteten Hühnereiern produziert - eine Verfahrenstechnik, die über 50 Jahre alt und störanfällig ist. Dazu müssen zehn bis elf Tage alte bebrütete, aber weitgehend keimfreie Eier von speziellen Züchtern nach einem exakten Zeitplan in den Impfstoffwerken angeliefert werden. Dort werden die sogenannten Saatviren in die Eier gespritzt, die sich innerhalb von drei Tagen in den Eiern vermehren. Anschließend werden die Grippeviren geerntet, abgetötet, gereinigt und zum Grippeimpfstoff verarbeitet. Der gesamte Prozess dauert mindestens 18 Wochen. Und pro Ei lässt sich nur eine einzige Impfration ernten.

Jede Grippesaison sieht anders aus

Dabei muss jedes Jahr neuer Impfstoff produziert werden, denn er sieht in jeder Grippesaison anders aus. Dabei ist der Zeitdruck groß: Aus den weltweit grassierenden unterschiedlichen Grippevirentypen wählt eine Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation erst jeweils im Februar für die Nordhalbkugel drei Kandidaten aus, die dort voraussichtlich auf die größten Probleme bereiten werden. Aus diesen drei Virentypen setzt sich später der Impfstoff zusammen. Doch erst wenn die WHO ihre Wahl getroffen hat, können die Impfstoffhersteller damit beginnen, die Saatviren für die Impfstoffproduktion zu züchten. Die Eier müssen dann schon längst bestellt sein.

Dass Probleme bei den saisonalen Grippe-Impfstoffen auftreten ist daher eher die Regel als die Ausnahme. Dennoch ist der Schweizer Pharmakonzern Novartis beim aktuellen Störfall von der Sicherheit all seiner Grippeimpfstoffe überzeugt. „Wir schätzen, dass in der aktuellen Saison rund eine Million Dosen von unseren saisonalen Grippeimpfstoffen in Europa vorhanden sind, bisher ist von keinen negativen Zwischenfällen berichtet worden“, teilte der Konzern am Freitag auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa mit.

Auch Spanien ist betroffen

Gesundheitliche Folgen gibt es bislang keine, aber die politischen Nebenwirkungen sind heftig. Nach dem Rückruf von Grippeimpfstoffen des Schweizer Konzerns Novartis geraten Pharmafirmen und Krankenkassen in die Kritik. Quelle: dpa


Auch in Spanien wurden inzwischen vorsorglich zwei Novartis-Impfstoffe aus dem Verkehr gezogen. Diese entsprechen nach Behördenangaben etwa 20 Prozent der in Spanien verwendeten Grippeimpfstoffe. Auch in diesem Land wurden bisher keine Nebenwirkungen gemeldet.

Zu spät gewarnt
Der italienische Gesundheitsminister Renato Balduzzi kritisierte unterdessen Novartis: Das Pharmaunternehmen habe zu spät vor Unregelmäßigkeiten bei Impfstoffen gewarnt. In einem Gespräch mit dem Minister hätten Vertreter des Konzerns eingeräumt, erst gar nicht und dann nur unvollständig über Kontrollen ihrer Produktion informiert zu haben, hielt das Ministerium fest. „Novartis wusste von den Anomalien in einigen Dosen seit dem 11. Juli“, schrieb die Mailänder Zeitung „Corriere della Sera“ am Freitag.

Das Unternehmen reagierte daraufhin mit indirekter Kritik. Novartis habe den italienischen Behörden bereits eine Bewertung vorgelegt, welche die Qualität und Sicherheit all seiner Impfstoffe beweise, so der Konzern am Freitag. Die Eiweißflocken seien ein normaler Bestandteil von Grippeimpfstoffen, die Charge damit sei nie in den Handel gelangt, so Novartis weiter. „Das Unternehmen wird weiterhin mit dem italienischen Gesundheitsministerium und der Pharmaziebehörde Aifa zusammenarbeiten, um die Gründe für ihre Entscheidung zu verstehen“, erklärte der Konzern.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%