
Die beiden Physiker haben unabhängig voneinander im Jahr 1964 durch theoretische Überlegungen und höhere Mathematik ein Problem gelöst, das noch heute als zentrale Antwort auf die Fragen zum Zusammenhalt der Welt und des Universums gilt. Deshalb wird das Higgs-Teilchen gern als Gottesteilchen bezeichnet: Weil es dafür sorgt, dass die Atome, die Grundbausteine des Lebens, existieren können und nicht mit Lichtgeschwindigkeit auseinander driften. Die Physiker meiden zwar das Wort Gottesteilchen, aber sie räumen gern ein, dass das derzeitig gültige Theoriegebäude für den Aufbau der Materie ohne die Existenz des Higgs-Teilchens komplett einstürzen würde.
Einige Beobachter hatten erwartet, dass nicht nur die Vordenker des Higgs-Teilchens mit dem Nobelpreis ausgezeichnet würden, sondern auch die Forscher am europäischen Teilchenbeschleuniger CERN in Genf, wo im Juli 2012 mit dem größten je von Menschenhand gebautem Experiment erstmals der Nachweis des Higgs-Teilchens gelang. Mehr als 5000 Forscher jagten in einer 27 Kilometer langen Röhre Teilchen mit fast Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu. In den Trümmern des Zusammenpralls wurden tatsächlich Higgs-Teilchen gefunden, die nach nur wenigen Bruchstücken einer Sekunde bereits wieder zerfallen waren. Aber es gehört zu den Regeln des Nobel-Komitees, dass nur neue Entdeckungen ausgezeichnet werden, nicht aber der Beweis oder die Verwendung von bereits bestehenden Theorien. Am CERN wurde trotzdem gefeiert.
Die Physik-Nobelpreisträger der vergangenen zehn Jahre
John Mather und George Smoot, beide USA - für die Untersuchung der kosmischen Hintergrundstrahlung.
Peter Grünberg, Deutschland und Albert Fert, Frankreich - für die Entdeckung des Riesenmagnetwiderstands (GMR).
Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa, beide Japan - für die Entdeckung des Ursprungs des gebrochenen Symmetrie, welche die Existenz von mindestens drei Quarkfamilien voraussagt.
Yoichiro Nambu, USA - für die Entdeckung des Mechanismus der spontanen Symmetriebrechung in der Elementarteilchenphysik.
Charles Kuen Kao, USA/Großbritannien - für seine Erfolge auf dem Gebiet der Lichtleitung mittels Fiberoptik für optische Kommunikation.
Willard Sterling Boyle, USA/Kanada; George Elwood Smith, USA - für die Erfindung des CCD-Sensors.
Andre Geim, Niederlande und Konstatin Nowoselow, Großbritannien/Russland - für grundlegende Experimente mit dem zweidimensionalen Material Graphen.
Saul Perlmutter, USA, Brian Schmidt, Australien und Adam Riess, USA - für die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums durch Beobachtungen weit entfernter Supernovae.
Serge Haroche aus Frankreich und David Wineland, beide USA - für Fallen, mit denen sich geladene Teilchen (Ionen) und Licht (Photonen) einfangen lassen. Sie schufen damit Grundlagen für genauere Uhren und grundsätzlich neue Computer.
Der Belgier François Englert und der Brite Peter Higgs für die Vorhersage des Higgs-Teilchens.
Die gebürtigen Japaner Isamu Akasaki, Hiroshi Amano und Shuji Nakamura für die Erfindung hocheffizienter Lichtquellen. Die blau leuchtenden Dioden ermöglichen helle und energiesparende LEDs.
Der Japaner Takaaki Kajita und der Kanadier Arthur McDonald. Sie hatten nachgewiesen, dass Neutrinos eine Masse besitzen. Die winzigen neutralen Elementarteilchen durchströmen das All und selbst Mauern.
Die gebürtigen Briten David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz. Sie haben exotische Zustände beschrieben, die eine Relevanz für Quantencomputer und neue Materialien haben könnten.
Seit diesem 4. Juli 2012 war klar, dass der Physik-Nobelpreis nur an Peter Higgs gehen konnte, einem bescheidenen schottischen Forscher, der fast 50 Jahre warten musste, bis sein Geistesblitz auch experimentell als richtig nachgewiesen werden konnte. Higgs ist mittlerweile 84 Jahre alt, Englert schon 81. Robert Brout, der mit Englert in Brüssel zusammenarbeitete, starb 2011 - sonst wäre er heute auch ausgezeichnet worden. Higgs konnte sich also lange auf diesen Tag vorbereiten, und deshalb fuhr er in Urlaub, wie die Uni Edinburgh mitteilt. Eine schwere Bronchitis und ein Sturz vor der Haustür seien gerade erst überstanden, der Professor wolle den Rummel um seine Person nicht.