Wenn Stephen Hawking etwas sagte, lauschte die Welt. Jahrzehntelang konnte sich der schwer kranke Astrophysiker aus Großbritannien nur noch über einen Sprachcomputer mitteilen. Doch das hielt ihn von hochkomplexen Themen nicht ab: Gibt es einen Gott? Ist noch anderes Leben in den Weiten des Universums? Kann die Menschheit auf einen anderen Himmelskörper übersiedeln, wenn die Erde unbewohnbar wird? Was auch immer Hawking dazu meinte, wurde viel diskutiert. Jetzt ist das Genie im Alter von 76 Jahren in Cambridge gestorben.
Ärzte hatten Hawking bereits vor etwa einem halben Jahrhundert vorausgesagt, dass er an der Muskelschwäche Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sterben werde. Das hatte Folgen und trieb seinen Ehrgeiz noch an: Der Gedanke an den Tod habe ihn seit langem begleitet. Angst habe er davor nicht, hatte Hawking stets gesagt. Ein Jenseits allerdings hielt er für ausgeschlossen. „Ich sehe das Gehirn als einen Computer an, der aufhört zu arbeiten, wenn seine Einzelteile nicht mehr funktionieren“, sagte Hawking der britischen Zeitung „The Guardian“. „Es gibt kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer; das ist ein Märchen für Leute, die Angst im Dunkeln haben.“
Menschen mit funktionierender „Hardware“ sollten seiner Ansicht nach den größtmöglichen Wert aus ihren Taten schöpfen. Für Hawking selbst bedeutete das, Licht ins Dunkel des Universums und unserer Herkunft zu bringen. Schwierigste Theorien machte er Laien verständlich; sein Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ (1988) wurde zum Bestseller.
Bekannte Werke von Stephen Hawking
„Eine kurze Geschichte der Zeit“ (1988): Der Bestseller beschäftigt sich mit dem Ursprung des Universums und der Rolle der Zeit. Dabei erläutert Hawking Phänomene wie den Urknall und die Schwarzen Löcher. Am Fortsetzungsband „Die kürzeste Geschichte der Zeit“ (2005) wirkte sein US-Kollege Leonard Mlodinow mit.
„Das Universum in der Nussschale“ (2001): Hawking befasst sich in diesem Buch mit verschiedenen Theorien, die die Kräfte der Physik erklären. Der Text und viele Illustrationen zeigen, wie man sich das Weltall und seine Bausteine vorzustellen hat.
„Giganten des Wissens“ (2005): In einem Streifzug durch die Geschichte zeigte der Autor, wie Geistesgrößen von Nikolaus Kopernikus über Galileo Galilei bis Albert Einstein unsere Wahrnehmung der Welt seit Jahrhunderten geprägt und verändert haben.
„Der geheime Schlüssel zum Universum“ (2007): Das zusammen mit seiner Tochter Lucy verfasste Buch richtet sich an Kinder ab zehn Jahren. Es führt sie auf eine Abenteuerreise zu fernen Planeten.
„Die unglaubliche Reise ins Universum“ (2009): Im Fortsetzungsband der Hawkings zum „Geheimen Schlüssel“ geht es erneut um eine packende Reise ins Weltall, um Außerirdische und eine spannende Schatzsuche. Viele Bilder machen das Buch anschaulich.
„Der Große Entwurf“ (2010): Hawking und sein Kollege Mlodinow erläutern ihre Ansicht, dass Gott bei der Entstehung der Welt nicht beteiligt war. Sie habe sich nach den Gesetzen der Physik selbst erschaffen.
„Meine kurze Geschichte“ (2013): Mit Ironie und ohne jedes Selbstmitleid gewährt Hawking in der Autobiografie Einblicke in sein Privat- und Berufsleben.
In Wissenschaftskreisen fand seine Arbeit ebenfalls große Anerkennung, unter anderem hatte er 30 Jahre lang den berühmten Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Cambridge inne - und war damit ein Nachfolger Isaac Newtons. Zu seinen bedeutendsten Erfolgen gehörte, dass er Anfang der 70er Jahre voraussagte, dass Schwarze Löcher - riesige, extrem massereiche Objekte im Kosmos - unter bestimmten Umständen Energie verlieren. In Anlehnung an Albert Einstein war er jahrelang auf der Suche nach einer Formel, mit der sich die widerstreitenden Theorien über Relativität und Quantenphysik zusammenfügen ließen.
Was Hawking so faszinierend machte, war wohl nicht nur seine Schwäche für die großen Fragen der Menschheit und der Wunsch seiner Zeit, für sämtliche Phänomene eine naturwissenschaftlich fundierte Erklärung zu finden. Es scheint auch die Symbolik zu sein, die bei seinen Auftritten mitschwang: Er konnte nicht mehr ohne Hilfe schreiben, nicht sprechen - aber mit dem Kopf reiste er zu den Sternen.
Das ist die Krankheit ALS
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) führt zu zerstörten Nerven und fortschreitender Muskellähmung. Die Betroffenen können sich im Verlauf der Erkrankung nicht mehr bewegen, sie haben Schwierigkeiten beim Schlucken, Sprechen und Atmen. Das Bewusstsein und der Intellekt bleiben aber in der Regel intakt. Etwa die Hälfte der Patienten stirbt innerhalb der ersten drei Jahre. Nur in Ausnahmefällen leben sie länger als ein Jahrzehnt mit der unheilbaren Krankheit - bei Stephen Hawking war es sogar mehr als ein halbes Jahrhundert. „Es gibt unterschiedliche Formen von ALS“, sagt der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (Freiburg), Horst Ganter. „Bei Stephen Hawking stellte sich heraus, dass er eine extrem seltene, langsam verlaufende Form hatte.“
Die Todesursache ist meist Atemlähmung. Über die genauen Ursachen und Mechanismen der Nervenkrankheit ist wenig bekannt. Die meisten Fälle treten spontan auf, nur bis zu zehn Prozent sind familiär gehäuft. Am häufigsten erkranken Menschen im Alter von 50 bis 70 Jahren, Männer häufiger als Frauen. In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge rund 6000 ALS-Patienten. Auch der Künstler Jörg Immendorff starb 2007 an dieser Nervenkrankheit.
„Ich bin der Archetypus eines behinderten Genies“, sagte Hawking in einem Interview mit der BBC. „Die Menschen sind fasziniert von dem Gegensatz zwischen meinen extrem eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten und den gewaltigen Ausmaßen des Universums, mit dem ich mich beschäftige.“ Sein ungewöhnliches Leben wurde verfilmt: Der Brite Eddie Redmayne verkörperte das Genie in dem Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ - und bekam dafür 2015 einen Oscar.
Popstar der Wissenschaft
In seinen letzten Jahren wurde Hawking immer mehr zum Mahner: Er warnte die Menschheit vor einem selbst verschuldeten Untergang, etwa durch die Erderwärmung oder künstliche Viren. Auch Maschinen traute er nicht - sie könnten eines Tages klüger werden als ihre Schöpfer. Hawking entwickelte Ideen für eine Übersiedlung der Menschheit auf andere Himmelskörper. „Früher oder später müssen wir zu den Sternen schauen.“ Gemeinsam mit dem russischen Milliardär Jurij Milner wollte er eine Armee winziger Raumfähren auf eine 20-jährige Reise schicken, um das Sternsystem Alpha Centauri auszukundschaften.
Das Weltall zog Hawking, der am 8. Januar 1942 genau 300 Jahre nach dem Tod von Galileo Galilei geboren wurde, seit seiner frühesten Jugend an. Schon in der Schule hatte er den Spitznamen „Einstein“. Nach dem Abschluss studierte er ein paar Semester Physik in Oxford, dann entschied er sich für ein Studium der Kosmologie in Cambridge.
Er war Anfang 20, als Ärzte bei ihm die ALS-Krankheit feststellten. Drei Jahre gaben sie ihm noch. Damals - so Hawking - sei ihm klar geworden, dass er mit seinem Leben noch einiges anfangen könne. Im Rekordtempo legte er eine wissenschaftliche Karriere hin, heiratete, gründete eine Familie. Nebenbei wurde er eine Art Popstar der Wissenschaft, spielte sich selbst bei einem Auftritt in einer Folge von „Raumschiff Enterprise“ und wirkte in der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ mit. Sein Privatleben war in seiner Heimat immer mal wieder auch für bisschen Klatsch und Tratsch gut. 30 Jahre lang war er mit seiner Jugendliebe Jane verheiratet, mit ihr hatte er zwei Söhne und eine Tochter. Nach der Scheidung brachte sie Ende der 90er Jahre ein Buch heraus, in dem sie ihn als Haustyrannen beschrieb, den sie gelegentlich daran erinnern musste, dass er nicht Gott sei.
Berühmte Zitate von Stephen Hawking
„Wir alle sind nur eine weiterentwickelte Art von Affen, auf einem unbedeutenden Planeten eines sehr durchschnittlichen Sterns. Aber wir können das Universum verstehen. Das macht uns zu etwas sehr Besonderem.“
„Das Leben wäre tragisch, wenn es nicht lustig wäre.“
„Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein.“
„Mein Ziel ist einfach. Es ist das vollständige Verstehen des Universums - warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.“
„Auch wenn ich mich nicht bewegen kann und ich durch einen Computer sprechen muss, in meinem Kopf bin ich frei.“
„Wenn Aliens uns jemals besuchen sollten, denke ich, ist das Ergebnis so wie bei Christopher Columbus und seiner ersten Ankunft in Amerika - was nicht sonderlich gut für die amerikanischen Ureinwohner ausgegangen ist.“
1995 heiratete Hawking seine ehemalige Pflegerin. Die Ehe hielt bis 2006. In einem Interview mit der Zeitschrift „New Scientist“ sagte er auf die Frage, worüber er jeden Tag am meisten nachdenke: „Frauen. Sie sind ein komplettes Rätsel.“ In seiner Autobiografie „Meine kurze Geschichte“ kam Hawking 2013 zu dem Schluss, dass er trotz seiner Krankheit ein gutes Leben gehabt habe. „Ich war zweimal verheiratet und habe drei wundervolle, großartige Kinder.“ Als Forscher sei er sehr erfolgreich gewesen. Dass er den Nobelpreis - für den es experimenteller Nachweise bedarf - nicht bekam, fand Hawking zwar schade. Wichtiger war ihm aber der Fundamental Physics Prize - und den hatte er längst eingeheimst.