Raumfahrt Astronaut werden per TV-Voting

Ab 2024 soll es eine permanente, bemannte Station auf dem Mars geben. Die erste Auswahlrunde der Astronauten ist seit kurzem abgeschlossen, bewerben konnte sich fast jeder. Wer endgültig dahin darf, entscheiden der private Organisator - und die TV-Zuschauer.

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So könnten Astronauten und Rover bald auf dem Mars umhergehen. Quelle: AP

Der Mars: Seine Durchschnittstemperatur ähnelt sibirischen Wintern, flüssiges Wasser ist nicht vorhanden, Sandstürme, gefährliche Strahlungen und eine komplett fremde Atmosphäre machen den roten Nachbarn zu einem lebensfeindlichen Ort. Trotzdem wollen rund 200.000 Menschen unbedingt dorthin – für immer und ins Fernsehen. Denn für die niederländische Privatstiftung „Mars One“ ist die TV-Vermarktung ein essentieller Bestandteil ihres Raumfahrtprogramms.

Bis 2024 will Mars One dort eine Kolonie mit zunächst vier menschlichen Bewohnern auf dem Mars gründen, deren Bewohner aus über 140 Ländern gecastet werden. Im Laufe der Jahre sollen dann weitere Kolonisten folgen und das Marsdorf auf 24 Bewohner anwachsen. Jetzt hat die Organisation Mars One die zweite Runde im Auswahlverfahren eingeläutet und unter den Bewerbern kräftig ausgesiebt. Von den insgesamt 200.000 Pseudo-Astronauten haben jetzt nur noch 1.058 Anwärter eine Chance auf ihren Platz im Spaceshuttle. Gute Chancen berühmt zu werden, haben bereits jetzt alle verbliebenen Bewerber, denn Runde drei und vier des Castings sollen weltweit im Fernsehen und Internet übertragen werden. Und auch die ersten Schritte und Jahre der Entdecker auf dem Mars sollen, BigBrother-Formaten ähnlich, ausgestrahlt werden.

Nur rausgewählt werden kann dort niemand mehr, denn die Aussicht auf weltweit Glanz und Gloria hat einen hohen Preis: Für die Astronauten wird der Mars nicht bloß Ziel einer langen und exotischen Reise sein, sondern neue Heimat, Lebensabend - und vermutlich Grabstätte. Denn im Gegensatz zu staatlichen Weltraummissionen wie der NASA oder der europäischen ESA plant Mars One nicht mit Rücktransporten zur Erde, sondern mit einer permantenten, autarken, menschlichen Zivilisation auf dem Mars. „Im Gegensatz zu den Missionen der Raumfahrtagenturen ist das viel effizienter. Wenn die Menschen dort bleiben, kostet es viel weniger – und sie werden dort 40 oder 60 Jahre arbeiten können.“, sagte der Ingenieur und Gründer von Mars One, Bas Lansdorp im Gespräch mit der Start-up-Website gruenderszene.de.

Die Übertragung im Fernsehen dient der Organisation gleichzeitig mehreren Zwecken. Vordergründig spricht Mars One auf seiner Website von einer „humankind´s mission“, also einer Aufgabe der gesamten Menschheit, und möchte den Auswahlprozess der Astronautencrews dementsprechend zu einer „demokratischen Entscheidung“ machen. Zuschauervotings für oder gegen Astronautenteams sollen diesen Aspekt ermöglichen. Des Weiteren wird Mas Lansdorp nicht müde zu betonen, dass er mit seinen multikulturellen und multiethnischen Astronautenteams die „Menschen dieses Planeten in einer Zeit des Leidens ein bisschen näher zusammenrücken“ lassen will.

Vom guten Zweck zum baren Geld

Bevor die erste bemannte Marsmission aufbrechen soll, will Mars One zunächst einen Kommunikationssatelliten im All stationieren. Quelle: dpa

Trotz dieser noblen Absichten dürfte derzeit ein anderer, banalerer Grund der TV-Umsetzung überwiegen: das Geld. Mars Ones Plan sieht Ausgaben für Auswahl, Ausrüstung und Durchführung des ersten Mars-Abenteuers in einer Höhe von rund sechs Milliarden Dollar vor. Verglichen mit dem Jahresbudget der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA von rund 17 Milliarden Dollar wirkt diese Summe äußerst optimistisch (oder spartanisch) kalkuliert. Bas Lansdorp erklärt die niedrigen Kosten unter anderem mit den wegfallenden Ausgaben für den teuren Rücktransport sowie der unbürokratischeren und effizienteren Arbeitsweise seiner Organisation im Vergleich zur NASA: „Unsere Astronauten werden in den ersten zwei Jahren nicht duschen können – das ist ein Zugeständnis, das man machen muss, um die Dinge so einfach wie möglich zu halten. Das würde bei einer NASA-Mission nie akzeptiert werden.“ Sechs Milliarden Dollar bleiben für eine private, unkommerzielle Stiftung dennoch eine Summe, die nicht ohne Weiteres zu stemmen ist. Einnahmen und Vermarktungsrechte für ein globales, jahrelanges Fernsehspektakel ohne Gleichen kämen da sehr gelegen.

Und auch im Hinblick auf das Marketing, die Bekanntheit und Popularität des Projekts würde Mars One von der Fernsehproduktion in barer Münze profitieren. Denn neben den TV-Einnahmen hofft sich die Organisation durch Sponsoren, Spenden und Crowdfunding zu finanzieren. Alles externe Einnahmequellen, die durch die Fernsehausstrahlung ebenfalls angekurbelt werden könnten.  Noch befindet sich Mars One allerdings erst in Verhandlungen mit TV-Anstalten, konkrete Verträge wurden anscheinend noch nicht geschlossen.

Seit Sommer 2012 hatten Interessenten auf der ganzen Welt die Möglichkeit sich per E-Mail bei Mars One zu bewerben. Das Anforderungsprofil erscheint zunächst überraschend übersichtlich, von tiefgehenden Kenntnissen in naheliegenden Bereichen wie etwa Raumfahrttechnik, Geologie, Medizin oder Ingenieurswissenschaft ist keine Rede. Voraussetzungen für die Marsmission sind nur ein Mindestalter von 18 Jahren, eine gute körperliche und geistige Fitness, sowie soziale Kompetenzen und Englischkenntnisse. Trotzdem hat Mars One höchste Ansprüche an seine Astronauten: „Es ist nicht schwierig, Ingenieure oder Ärzte zu finden. Sondern vier Menschen, die es auf so kleinen Raum 32 Monate lang aushalten, bevor die zweite Crew ankommt. Wir müssen vier Nelson Mandelas finden.“, sagte Mars One-Gründer Bas Lansdorp. Nach Informationen des US-Fernsehsenders CBS kommen die meisten der noch verbliebenden Kandidaten aus den USA (297), gefolgt von Kanada (75), Indien (62) und Russland (52). Insgesamt sind noch Bewerber aus über 100 Ländern im Rennen.

Die Bewerber sollen zunächst in der dritten Runde in regional unterschiedlichen Ausscheidungswettbewerben von je 20 bis 40 Teilnehmern antreten müssen. Die Gewinner dieser dritten Runde und einige von Mars One exklusiv ausgewählte Kandidaten werden dann durch Experten zu sechs Gruppen mit je vier Astronauten zusammengestellt. Als Kriterien bei der Gruppenkomposition zählen dabei die Fähigkeiten der einzelnen Persönlichkeiten, aber vor allem die Chemie der Mitglieder untereinander – schließlich sollen sie womöglich bis zu ihrem Tod eine Einheit bilden. In jahrelangem Vollzeit-Training sollen die 24 Teilnehmer auf ihre Mission vorbereitet werden, sowohl technisch als auch persönlich geschult werden. In jedem Vierer-Team sollen möglichst viele Kompetenzen erlernt werden. Dazu zählen zum Beispiel medizinische, biologische und geologische Kenntnisse, die Fähigkeit sämtliche Ausrüstungsteile eigenständig reparieren zu können und mentale Stärke um fernab der Erde überleben zu können.

In einem letzten Schritt des Auswahlprozesses sollen die zukünftigen Astronauten dann nicht mehr individuell um ihren Platz kämpfen, sondern nur noch in ihren Gruppen – jetzt vor den Augen der weltweiten TV-Gemeinde. In lebensfeindlichen Simulationen der Marslandschaft  müssen sie ihre Fähigkeit demonstrieren, auf dem Mars leben zu können.

Technische und ethische Risiken

Bei dem Projekt will Mars One vor allem auf bereits bestehende Technologien zurückgreifen, beispielsweise beim Raketenstart oder der Ladung des Mars-Rovers. Quelle: dpa/dpaweb

Ab 2018 sollen dann die ersten Raketen die Erde verlassen. Zunächst allerdings nur um einen Kommunikationssatelliten im All zu stationieren und eine unbemannte Robotermission auf den Mars zu schicken. Diese soll bereits mit dem Aufbau der Station beginnen. Weitere sechs Jahre später soll dann laut Plan das erste Team den Mars erreichen – nach sieben Monaten Reise. Wer das sein wird, soll in der Hand der TV-Zuschauer liegen: Denn diese werden „demokratisch“ entscheiden, welches der sechs Vierer-Teams als erstes zum Mars aufbrechen wird. Ein einziges krankes, schwächelndes oder zweifelndes Teammitglied reicht, um die ganze Gruppe aus dem Projekt zu kegeln oder weit zurückfallen zu lassen. Eine reine Vorsichtmaßnahme – und nebenbei die perfekte Gruppendynamik für eine Fernsehshow mit Zuschauervoting.

Für die „preisgünstige“ Umsetzung mittels TV-Vermarktung haben Bas Lansdorp und Mars One bereits viel Spott geerntet. Aber auch das Konzept der dauerhaften Stationierung von Menschen auf dem Mars stößt auf Kritik. „Das ist eine schwachsinnige Idee. Allein schon vom Gesichtspunkt der Sicherheit her wird kein Experte einen solchen Flug je erlauben.“, so Sergej Krikaljow, immerhin Russlands oberster Kosmonauten-Ausbilder. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hält die Mission zwar für technisch machbar, warnt jedoch vor anderen Risiken:  „Es muss geklärt werden, wie man Ernährung und Sauerstoffversorgung durchgängig sichern will.“, fordert Sprecher Andreas Schütz. Und bereits zu Beginn der Bewerber-Ausschreibung im Sommer 2012 hat Ulrich Walther, Ex-Astronaut und Wissenschaftler der TU München der  “Welt” gegenüber ethische Bedenken geäußert: „Man muss sich nur einmal vorstellen, dass Menschen dort oben vor laufender Kamera sterben, und wir schauen ganz gemütlich zu.”

Trotz internationaler Kritik weiß Bas Lansdorp Nobelpreisträger, Unterstützer und Berater aus Forschung, Wirtschaft und Raumfahrt auf seiner Seite. Bei der Ausrüstung der Mission will Mars One auf bereits existierende Technologien setzen und hat kürzlich Verträge mit renommierten, weltraumerfahrenen Firmen abgeschlossen. So soll das wichtige Mars-Landegefährt von dem Rüstungs- und Technologiekonzern Lockheed Martin  geliefert werden. Lockheed Martin hat bereits zahlreichen NASA-Missionen zugeliefert und entwickelte unter anderem die Sonde „Phoenix“ mit, die bereits 2007 auf dem Mars landete. Der Kommunikationssatellit soll von Surrey Satellite Technology (SSTL), zusätzliches Know-How  von der niederländischen Universität Twente kommen und auch SpaceX, verantwortlich für Transporte zur Raumstation ISS, hat technische Hilfen in Aussicht gestellt.  

Viele Fragen bleiben allerdings noch offen. Beispielsweise was passiert, wenn Mars One während des Projektes pleite geht und Gruppen bereits auf dem Mars gelandet sind, was die langfristige Aufgabe der Mars-Bewohner nach der erfolgreichen Landung sein wird und was mit der Kolonie in ferner Zukunft geschehen soll. Fragen, die wohl auch Bas Landsdorp kaum beantworten kann.

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