Wenn das Raumschiff auf einer Feuersäule gen Himmel steigt, wissen die Astronauten an Bord: Es gibt kein Zurück mehr. Noch ein Blick durchs Fenster, blaue Erdkugel vor schwarzem All – das wird das Letzte sein, was sie von ihrer Heimat zu sehen bekommen.
Denn das Ziel ihres Flugs, der im Jahr 2022 starten soll, ist der Mars – und dort sollen die Raumfahrer stranden wie Schiffbrüchige. Keine Rakete für die Heimkehr wartet im roten Sand, kein außerirdisches Cape Canaveral; bloß sechs Biwaks mit Sauerstoff und Wasser, Betten, Raumanzügen und Computern.
Die ersten Menschen, die lebend den Mars erreichen, bleiben, bis sie sterben.
Es wäre eine martialische Reise. Doch Bas Lansdorp glaubt, dass er Freiwillige findet, die sie antreten. Als Kind wollte der Niederländer selbst Astronaut werden. Heute, im Alter von 35 Jahren, will er Raumfahrtgeschichte schreiben: Sein Startup Mars One soll nicht nur die erste bemannte Marsmission starten, sondern gleich den roten Planeten besiedeln.
Marsbesiedelung mit Medienbegleitung
Und wenn es läuft wie geplant, wird die Welt am Fernseher zuschauen. Denn bei Lansdorps Planetenmission sollen Kameras die Astronauten begleiten - finanziert durch Sponsoren und Fernsehrechte. Am Mittwoch gab Mars One die ersten fünf Geldgeber bekannt. Darunter ist der niederländische Internetdienstanbieter Byte, die Anwaltskanzlei VBC Notarissen und das Internetportal Newenergy.tv. Keine Milliardenkonzerne, doch ihr Geld soll reichen, um detaillierte Designstudien für die Marsmission ausarbeiten zu lassen. Und die sollen große Medienkonzerne und Unternehmen überzeugen, sich an der Marsfernsehshow zu beteiligen. "Der Flug zum Mars", sagt der Gründer, "wird das größte Medienereignis aller Zeiten."
Wenn alles gutgeht. Denn Menschen auf den Mars zu bringen, ist ein Wahnsinnsprojekt. Es erscheint staatlichen Raumfahrtagenturen so schwierig, dass sie sich auf einen Startzeitpunkt vor dem Jahr 2030 gar nicht erst festlegen wollen. Eine Studie – noch im Auftrag von US-Präsident George Bush Senior – taxierte die Kosten gar auf 400 Milliarden Dollar: 21 Jahresbudgets der US-Raumfahrtbehörde Nasa.
Schneller, billiger
Lansdorp will nicht nur schneller als die Nasa dort sein, sondern auch billiger. Nur sechs Milliarden Dollar soll sein Planeten-Projekt kosten. "Das Konzept klingt nur verrückt, weil es noch niemand vorgeschlagen hat", sagt er, und meint es ernst.
Anfang 2011 verkaufte der Ingenieur Anteile an seinem ersten Unternehmen, dem niederländischen Windstrom-Startup Ampyx Power, und gründete Mars One. Er gewann drei ehrenamtliche Mitarbeiter sowie renommierte Botschafter: den niederländischen Physiknobelpreisträger Gerard ’t Hooft und den Miterfinder der TV-Show Big Brother, Paul Römer.
Zehn Jahre?
Wer Römers Containershow immer schon außerirdisch fand, den könnte die Realität bald einholen. Dem Medienguru gefällt die Idee einer interplanetarischen Fernsehshow. Er empfahl Lansdorp, Beweise für die technische Machbarkeit der Show zu liefern.
Also flog der Gründer um die Welt, traf die Ingenieure privater Raumfahrtunternehmen wie den US-Raketenhersteller SpaceX, den französischen Weltraum-Wohnungsbauer Thales Alenia Space und den britischen Satellitenfabrikanten Surrey Satellite Technology. Bei ihnen will Lansdorp zuerst Designstudien, später die Komponenten für Mars One bestellen.
Mit seinen Mars-Ambitionen ist er ohnehin nicht allein. SpaceX-Chef Elon Musk sagte unlängst dem US-Fernsehsender ABC, eine Reise zum Mars könne in 12 bis 15 Jahren starten. Der US-Raumfahrtingenieur Robert Zubrin unterbietet: zehn Jahre – und weniger als zehn Milliarden Dollar Kosten. Zubrin ist Gründer der Mars Society, einer Organisation, die sich für eine bemannte Mission zum Nachbarplaneten einsetzt. „Der Flug zum Mars ist heute technisch weitaus greifbarer, als es 1961 die Mondlandung gewesen ist“, sagt er. Apollo 11 landete acht Jahre nach dem Start des US-Mondprogramms.
Die Geschichte der Mars-Missionen
Dezember 1996 - Das US-Raumschiff „Pathfinder“ startet mit dem Marsrover „Sojourner“ zu unserem Nachbarplaneten. Nach mehreren Fehlversuchen landet mit „Sojourner“ erstmals 1997 ein ferngesteuertes Fahrzeug erfolgreich auf unserem Nachbarplaneten und sendet Daten zur Erde.
Juni 2003 - Der Mars-Landeroboter „Spirit“ der Nasa hebt vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral ab. Im Juli wird nach mehrfachen Startverschiebungen auch sein Zwilling „Opportunity“ losgeschickt.
Januar 2004 - Nach einer mehr als 480 Millionen Kilometer langen Reise setzt „Spirit“ sicher auf dem Mars auf. Das kleine Roboterfahrzeug soll nach Spuren von Leben suchen. Am 1. April findet „Spirit“ Hinweise auf früher existierendes Wasser. Drei Wochen nach „Spirit“ landet auch „Opportunity“ auf der anderen Seite des Planeten.
Mai 2009 - „Spirit“ bleibt im Marssand stecken. Alle Versuche der Nasa, ihn zu befreien, scheitern. Im Mai 2011- rund siebeneinhalb Jahre nach seiner Landung auf dem Mars - nimmt die Nasa Abschied von „Spirit“. Wie die Behörde mitteilt, wird sie ihre Versuche einstellen, Kontakt zu dem Roboterfahrzeug aufzunehmen. Die letzte Kommunikation gab es 14 Monate zuvor.
November 2011 - Der neue Rover „Curiosity“ wird auf die Reise zum Mars geschickt. Er soll sein Ziel am 6. August 2012 erreichen. Der Roboter soll dann nach organischen Materialien suchen und herausfinden, wie lebensfreundlich oder auch -feindlich der Planet einst war und ist.
Januar 2012 - „Opportunity“ ist bereits sensationelle acht Jahre auf dem Mars im Einsatz. Erwartet worden waren nur 90 Tage.
Februar 2012 - Nasa-Chef Charles Bolden gibt bekannt, dass die US-Weltraumbehörde aus Spargründen aus zwei gemeinsam mit der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa geplanten Marsmissionen aussteigt. Dazu gehört eine für 2018 geplante Landung eines Rovers auf dem Planeten, der Gesteine und Boden zur späteren Beförderung auf die Erde sammeln soll.
August 2012 - Im Kontrollzentrum in Kalifornien brachen Jubel und Applaus aus, als das unbemannte Erkundungsfahrzeug am 6. August um 7.32 Uhr (MESZ) im Gale-Krater nahe des Mars-Äquators aufsetzte. „Curiosity“ hat die Größe eines kleinen Autos und wiegt fast eine Tonne – viel mehr als „Spirit“ oder „Opportunity“. Daher gestaltete sich auch die Landung äußerst schwierig. Um die Wucht des Aufpralls abzufangen, wurde die Sonde von einer Art schwebendem, Raketen betriebenem Rucksack abgeseilt, die Halteseile bei der Landung gekappt und der Rucksack in einiger Entfernung zum Absturz gebracht.
Mehr Ingenieure
Noch operiert Lansdorp, der seine Doktorarbeit über Spannseile für Weltraumaufzüge schrieb, aus seinem Wohnzimmer im niederländischen Amersfoort: Ein Laptop auf dem Holztisch, ein Handy, und dahinter sitzt der drahtige Niederländer im blauen Polo-Shirt und erzählt einen Witz: Was braucht man, um ein Kilogramm Material in den Erdorbit zu bringen? Die Antwort: tausend Kilogramm Formulare.
Soll heißen: Behörden machen alles kompliziert und teuer. Das sieht die Nasa inzwischen selbst so – und beauftragt vermehrt Privatunternehmer. Menschen, wie Lansdorp einer sein will. „Ich bin gut darin, Dinge zu vereinfachen“, sagt er. Also: weniger Beamte, mehr Ingenieure. Und eine radikale Idee: Statt Raketen für den Rückflug mitzunehmen, sollen die Astronauten auf dem Mars bleiben. „Das macht die Mission leichter“, sagt Lansdorp – was wörtlich zu verstehen ist. Denn Raketenbauer, Flugzeughersteller und Fitnesstrainer haben den gleichen Feind: das Gewicht. Jedes Kilo mehr, das ins All muss, erzwingt größere Raketen, die mehr Treibstoff schlucken.
Die Technik des Marsrovers "Curiosity"
Rund zehnmal so viele technische Geräte wie vorherige Marsmissionen hat der Nasa-Rover „Curiosity“ an Bord. Einiges davon haben deutsche Ingenieure beigesteuert. Die Firma Sensitec aus dem hessischen Lahnau rüstete das Erkundungsgerät mit Sensoren zur Fahrwerkssteuerung aus.
Ein Gerät zur Strahlenmessung - entwickelt unter anderem von Forschern der Universität Kiel und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) - überprüfte bereits die Strahlung beim Flug durch das All und soll auch auf dem Roten Planeten weitermachen. So soll herausgefunden werden, ob es Leben auf dem Mars gegeben hat oder geben kann. Auch für eine mögliche bemannte Mars-Mission sind die Daten wichtig. Auf der Marsoberfläche werden mit dem Kieler Gerät zum ersten Mal Strahlungswerte gemessen. Der rund 1,3 Millionen Euro teure sogenannte Radiation Assessment Detector (Rad) ist nur etwa so groß wie eine Kaffeekanne und wiegt rund 1,5 Kilogramm.
Siemens hat die Software mitgeschrieben, mit der die Nasa das Gefährt konstruiert und getestet hat. Es handelt sich um sogenannte PLM-Software (Product Lifecycle Management), die auch beim Bau von Autos, Flugzeugen oder Maschinen eingesetzt wird. Sie ist eine Art elektronisches Reißbrett, mit dem der Marsrover digital entworfen wurde und seine Funktionen schon vor dem Bau simuliert werden konnten. Siemens zählt zu den drei großen Anbietern von PLM-Software - zusammen mit dem Nasa-Hauslieferanten PTC und der französischen Dassault. Weltraumprojekte sind die Königsdisziplin. Hier wird zwar nicht viel verdient, aber sie sind gut fürs Renommee.
Der Rover wird mit einer Atombatterie betrieben: „Curiositys“ Strom wird von einem Radioisotopen-Generator erzeugt, der die Hitze beim Zerfall von Plutonium 238 nutzt. Dadurch wurden zum Zeitpunkt des Starts etwa 110 Watt produziert. Um die erwarteten Temperaturen von bis zu minus 90 Grad auf dem Mars zu überstehen, werden auch Flüssigkeiten mit Hilfe des Generators erwärmt und durch den Rover gepumpt, um die richtige Betriebstemperatur etwa für die Elektrik des Roboters zu gewährleisten.
Etwa zwei Meter über dem Marsboden trägt er zwei Kameras an einem Mast. Sie können sowohl den Nahbereich als auch die Ferne überblicken. Die „ChemCam“ besitzt unter anderem einen starken Laser und ein kleines Teleskop. Beide werden auf einen Stein oder den Boden im Umkreis von sieben Metern gerichtet. Ein Laserpuls hoher Energie lässt am Stein eine Plasmawolke entstehen. Das ausgesendete Licht empfängt das Teleskop und leitet es an ein Spektrometer weiter. Dessen Daten ermöglichen Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Probe. Hinzu kommt das „APXS“ („Alpha-Particle X-ray Spectrometer“), ein Röntgenspektrometer.
Am Ende des Roboterarms ist der „Mars Hand Lens Imager“ („Mahli“) angeschraubt. Diese Kamera liefert Bilder aus dem Nahbereich und kann die Kristallzusammensetzung von Bodenproben zeigen. Die Bilder helfen besonders den Mars-Geologen. Diese profitieren auch vom „CheMin“, einem Röntgenspektroskop. Pulverisierte Proben werden dort durchleuchtet, um die exakte Zusammensetzung zu bestimmen. Das hilft auch dabei, die Frage zu klären, ob der Mars einst eine geeignete Umgebung für Leben war.
Hinzu kommt das Gerät „Sample Analysis at Mars“ („Sam“), unter anderem ist das ein Massenspektrometer mit aufwendiger Probenvorbereitung. Bodenproben werden in einem Mini-Ofen erhitzt, sie verdampfen Inhaltsstoffe, die dann ins Massenspektrometer strömen. Unter anderem werden damit Methan, Edelgase, Wasser oder Kohlendioxid aufgespürt.
Science-Fiction-Literatur
Eine Einwegmission durchbricht diesen Teufelskreis. Weil kein Shuttle für den Rückflug vorgesehen ist, lässt sich so eine Mission billiger durchführen. Darum plädiert auch der Apollo-Astronaut Buzz Aldrin für eine Marskolonie, ebenso Dirk Schulze-Makuch, Astrobiologe und Professor an der Washington State University. „Es ist kein Selbstmordkommando“, sagt Schulze-Makuch, „sondern eine Expedition von Pionieren.“ Viele Polizisten, Fallschirmspringer, Soldaten lebten riskanter als Siedler auf den Mars.
Die Science-Fiction-Literatur hat das Szenario schon durchgespielt, etwa die Mars-Trilogie des US-Autors Kim Stanley Robinson, die auch in Lansdorps Wohnzimmerschrank steht. In dem Roman landen 100 Erdlinge für ihr restliches Leben auf dem roten Planeten.
Mut, Intelligenz, Gesundheit
Für viele ist die Vorstellung unerträglich. Für Entdecker wie Lansdorp ist sie ein Lebenstraum. Seit er im Juni eine Web-Seite gestartet hat, sind Hunderte Bewerbungen bei ihm eingegangen: handgeschriebene Briefe von zwölfjährigen Schülerinnen, aber auch zweiseitige Gesuche promovierter Ingenieure. „Wenn das Casting beginnt, erhalten wir Millionen Bewerbungen“, glaubt Lansdorp. „Aber wir nehmen nur die Besten.“
Die Kandidaten von Mars One sollen sich, anders als beim Vorbild Big Brother, weniger durch Sprachfehler und Fortpflanzungsdrang auszeichnen als durch Mut, Intelligenz und Gesundheit.
Mithilfe von Psychologen stellt Mars One mehrere Viererteams zusammen. Jahrelang trainieren sie vor laufender Kamera für ihr neues Leben. Auf dem Mars treffen derweil ein Rover ein, eine Wasser- und Treibstofffabrik, ein 50-Quadratmeter-Treibhaus für den Gemüseanbau sowie Solarzellen und Wohnkapseln. „Wenn die Astronauten 2023 mit der achten Rakete auf dem Mars landen“, sagt der Gründer, „steht alles für ein Leben dort bereit.“ Auch HD-Kameras, die die Besiedlung des Sonnensystems zur Prime Time ausstrahlen.
Welche Vierergruppe zuerst fliegt, entscheidet das Publikum. Alle zwei Jahre folgen weitere Teams und Habitate.
Es klingt tollkühn. Aber seit Langem bereiten Forscher die nötigen Techniken vor. Nasa-Experten komponieren vegetarische Menüs für die Marsküche, testen 3-D-Drucker, mit denen Kolonisten dereinst Ersatzteile fabrizieren, und bauen Maschinen, die Eis zu Wasser, Luft und Sprit machen. Auch die menschliche Psyche haben Experten unter Extremzuständen inspiziert: 520 Tage lang sperrten Forscher in Russland sechs Freiwillige in Biwaks ein. Der befürchtete Psychokoller blieb aus.
Allein in der Sandwüste
Dennoch überträfe eine Besiedlung des Mars alles, was Menschen je versucht haben. 400 Millionen Kilometer muss eine Rakete dorthin zurücklegen. Ein Auto wäre 380 Jahre unterwegs, ein Raumschiff sechs bis acht Monate. So lange sind die Astronauten in einer Stahlbüchse gefangen.
Schwer vorzustellen, wie es erst auf dem Mars sein muss: zu viert in einer Sandwüste, die Luft eiskalt und aus Kohlendioxid, und der ganze Planet, halb so groß wie die Erde, dafür menschenleer. Die Unterkunft: ein paar Kapseln, viereinhalb Meter hoch, mit insgesamt gerade mal 200 Quadratmetern Platz. Ein Funkspruch nach Holland dauert je nach Distanz zwischen Mars und Erde mindestens vier, manchmal auch 22 Minuten. Und die Antwort genauso lang. Videofilme und Internet-Seiten von der Erde müssen die Kolonisten vor dem Anschauen auf ihre Rechner laden.
Draußen tragen die Marsianer Raumanzüge. Und über ihnen leuchtet nachts die Erde als winzige, ewig unerreichbare Stecknadel am Firmament.
Rückflugticket
Warum das Ganze? „Es ist ein faszinierendes Ingenieurprojekt“, sagt Lansdorp. „Wir werden ausgerottet wie die Dinosaurier, wenn wir uns nicht im All ausbreiten“, sagt Astrobiologe Schulze-Makuch. „Astronauten könnten Leben auf dem Mars finden“, sagt Thomas Reiter, Direktor für bemannte Raumfahrt bei der Europäischen Raumfahrtagentur Esa.
Aber Reiter will ein Rückflugticket: „Sie können die Menschen dort nicht ihrem Schicksal überlassen“, sagt er. Und eine privat finanzierte Marsmission? „Kann ich mir heute noch nicht vorstellen.“
Lansdorp kann. Schon oft sei viel Geld in Großevents geflossen – erst neulich zahlte der US-Fernsehsender NBC 4,4 Milliarden Dollar für zwölf Wochen Olympische Spiele. Lansdorp bietet 15 Jahre Marsmission. Und den Astronauten Abenteuer, Ruhm – und Geld, das sie im Leben nicht ausgeben können.