Raumfahrt Europa schickt eine Müllabfuhr ins Weltall

Dieses Bild der Esa zeigt die Verteilung von Weltraum-Schrott um die Erde. Quelle: ESA/ESOC/dpa

Millionen Trümmerteile von Satelliten und Raketen kreisen um die Erde – werden es noch mehr, könnte der Weg ins All schlimmstenfalls blockiert sein. Jetzt soll eine erste Mission im Orbit aufräumen.

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Mitte September schlägt die Weltraumorganisation Nasa Alarm: Die Internationale Raumstation ISS ist auf einem möglichen Kollisionskurs mit einem Teil einer ausgedienten japanischen Rakete. Zügig steigen die Astronauten ins angedockte Sojus-Raumschiff, um notfalls davonfliegen zu können. Die Raumstation zündet zeitgleich ihre Triebwerke, um dem Trümmerstück auszuweichen.

Mit solch heiklen Situationen muss die Crew der Raumstation inzwischen regelmäßig umgehen. Denn über die Jahre haben sich immer mehr Schrottteile im Erdorbit angesammelt: Raketenstufen, die nach getaner Arbeit im All verbleiben; Satelliten, die den Kontakt zur Bodenstation verloren haben; abgebrochene Solarzellen und verlorene Schraubenzieher.

Die Raumfahrt hat ein Müllproblem – 8500 Tonnen Material haben sich inzwischen im Orbit angesammelt. Das mag wenig klingen im Vergleich zu irdischen Müllhalden und der Weite des Weltraums. Aber im All sind die Teile mit einem Tempo von mehr als sieben Kilometern pro Sekunde unterwegs. Ein fingernagelgroßes Stück Metall hat damit so viel Wucht, dass es einen Satelliten zerlegen kann.

Sorge vor dem Schrott-Inferno

Schlimmstenfalls könnte sich eine Müll-Kollision so ähnlich abspielen wie im Kinofilm Gravity: Ein Satellit wird zerstört, zahllose Bruchstücke rasen auf die ISS zu, zerfetzen die Raumstation zu Schrott. Und der wird wieder für andere Satelliten zur Gefahr. Eine Kettenreaktion entsteht, an deren Ende so viele Trümmer um die Erde kreisen, dass für Raketen kein sicheres Durchkommen mehr wäre. Die Menschheit wäre auf der Erde gefangen. GPS-Navigation, Satellitenfernsehen – alles außer Betrieb.

Kessler-Syndrom nennen Experten dieses Szenario. Um es zu vermeiden, startet die Europäische Weltraumorganisation Esa zusammen mit dem Schweizer Start-up ClearSpace jetzt eine nie dagewesene Mission: „Wir wollen der Welt zeigen, dass es möglich ist, Schrott im All zu beseitigen“, sagt Holger Krag, Leiter des Esa-Programms für Weltraumsicherheit.

In den nächsten Jahren will ClearSpace im Auftrag der Esa eine Raumsonde entwickeln – eine Art Müllwagen fürs All. 2025 soll sie mit einer Rakete wie ein Satellit ins All geschossen werden. Dann steuert sie mit eigenen Raketendüsen ihr erstes Ziel an: Einen konusförmigen Adapter, der übrig geblieben ist, als die Esa 2013 einen Satelliten namens Proba V ins All gebracht hat.

100 Kilogramm ist der Adapter schwer, in 700 Kilometern Höhe kreist er um die Erde. In dieser Höhe gibt es nur noch ein paar wenige  Luftteilchen, dass die das Objekt abbremsen.  Ohne äußere Eingriffe würde der Adapter, sich über Jahrzehnte in langsam kleiner werdenden Kreisen der Erde nähern, dabei die Umlaufbahn der ISS und tausender Satelliten kreuzen – um irgendwann in der Zukunft in der Erdatmosphäre verglühen.

Müll glüht wie ein Meteor 

Die ClearSpace-Mission soll diesen Prozess beschleunigen. Die Raumsonde soll sich dazu langsam dem Adapter nähern. Kameras und Radar sollen helfen, die Position des Schrottteils zentimetergenau zu vermessen. Wie eine Krake greift die ClearSpace-Sonde dann mit  vier Roboterarmen zu und krallt sich den Adapter.

ClearSpace-1 soll im Jahr 2025 starten. Quelle: ClearSpace

In der Raumfahrt nennt man solche Begegnungen zweier Raumfahrtsysteme ein Rendezvous. „Solche Manöver sind nie einfach“, sagt Esa-Wissenschaftler Krag. Damit es in diesem Fall gelingt, muss der Roboter sowohl die Rotation des Adapters als auch seine Position korrekt bestimmen.

Gelingt der Zugriff, bremst der kosmische Müllwagen die Drehung seines Fangs langsam ab und bringt ihn in eine stabile Position. Ist das geschafft, beginnt der Abstieg: Mit Raketendüsen bremst der Abschleppwagen ab, verliert dadurch an Höhe und steuert nach und nach auf die Erde zu. Auch hier kann vieles schief gehen – schlimmstenfalls flöge die Sonde hinauf ins All statt hinunter und würde selbst zu Weltraumschrott.

Sollte die Mission aber gelingen, dann würde die Raumsonde in gut 100 Kilometern Höhe zusammen mit ihrem Fang in der Luft verglühen: Gefahr gebannt. In Zukunft könnten solche Aufräum-Drohnen noch ein zweites Mal hinauffliegen und ein weiteres Schrottteil greifen, sagt Krag.


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86 Millionen Euro soll die erste Weltall-Müllsammelaktion der Geschichte kosten – erst einmal eine happige Summe. Doch aufbauend auf der Forschung der Schweizer zusammen mit der Esa könnten Aufräum-Missionen bald so preiswert werden, dass Unternehmen sie auch bezahlen könnten, sagt Krag. Satellitenbetreiber könnten dann gleich zusammen mit ihren Konstellationen eine ClearSpace-Sonde hinauf schicken – als Müllwagen in Wartestellung, der einen Satelliten, der plötzlich defekt ist, schnell beseitigen kann.

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