Risiken und Nebenwirkungen der Statistik Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet

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Systematische Desinformation: Ursachen der Krebsgefahr

Und dann geht sogar in diesen hohen Altersklassen das Todesrisiko Krebs zurück! Es bleibt zwar absolut gesehen hoch, war aber früher höher. Nun zeigt diese Tabelle nur die an Krebs Verstorbenen, nicht die an Krebs Erkrankten. Nach dem Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch Institut ist die Zahl der Krebsneuerkrankungen zwischen 2000 und 2010 bei Männern um 21 Prozent und bei Frauen um 14 Prozent angestiegen.

Doch auch diese Zunahme ist überwiegend mit unserer zunehmenden Alterung zu erklären. Die um Alterseffekte korrigierten, sogenannten altersstandardisierten Erkrankungsraten haben sich bei Männern nicht verändert und sind bei Frauen nur leicht angestiegen (7 Prozent). Und dieser Anstieg ist, so das Robert Koch Institut, vor allem auf das Mammografie-Screening zurückzuführen.

In diesen Regionen ist das Krebsrisiko am höchsten
Die Anzahl der Todesfälle durch bösartige Tumore ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. 2011 sind 852.328 Deutsche an Krebs gestorben. Damit bleibt die Krankheit nach den Herz- und Kreislauferkrankungen zwar die zweithäufigste Todesursache, allerdings ist der Anteil an allen Todesfällen in den letzten 30 Jahren um fast 25 Prozent gestiegen. Am häufigsten starben Männern und Frauen im Jahr 2011 an Krebs im Bereich der Verdauungsorgane. 38.531 Männer (32 Prozent) und 31.694 Frauen (30 Prozent) waren betroffen. Am zweithäufigsten traten bei den Männern Todesfälle aufgrund von Lungen- und Bronchialkrebs mit 31.293 Sterbefällen auf (Anteil von 26 Prozent). Bei den Frauen liegt Brustkrebs an zweiter Stelle mit 17.815 Sterbefällen (Anteil von knapp 18 Prozent). Außerdem sind in Deutschland nach einer Prognose des Berliner Robert Koch-Instituts mehr Menschen neu an Krebs erkrankt als in den Vorjahren. Der Krebsatlas der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (GEKID), zeigt allerdings, dass es sowohl bei den Krebsarten als auch bei der Häufigkeit der Erkrankungen regionale Unterschiede gibt. Quelle: dpa
Ost- und WestdeutschlandSo tritt in den neuen Bundesländern beispielsweise deutlich seltener Brustkrebs auf. Im Osten ist sowohl die Erkrankungs- als auch die Sterblichkeitsrate um 20 bis 30 Prozent geringer als in Westdeutschland. Laut Einschätzung von GEKID kann das darin begründet sein, dass Frauen in der ehemaligen DDR weniger Hormone nahmen, als die Frauen im Westen. Außerdem bekamen die Frauen im Osten früher Kinder und stillten sie länger. Das reduziert die Gefahr, an Brustkrebs zu erkranken. Quelle: dpa
SüddeutschlandAuch zwischen Nord und Süd gibt es Unterschiede: So treten in Bayern und Baden-Württemberg weniger Brustkrebsfälle auf als im Nordwesten Deutschlands. Insgesamt erkrankten in Bayern und Baden-Württemberg im Jahr 2010 67.138 Menschen an Krebs. Quelle: dpa
NorddeutschlandIm Norden dagegen sind die Zahlen der Prostatakrebserkrankungen höher. Besonders viele Patienten gibt es in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Das könne laut GEKID zwar auch daran liegen, dass in diesen Ländern mehr Männer die PSA-Früherkennungs-Tests nutzen und somit einfach mehr Zahlen vorliegen. Allerdings sei im Norden auch die Sterblichkeitsrate für Prostatakrebs etwas höher als im Rest von Deutschland. Quelle: dpa
StadtstaatenIn Bremen, Hamburg und Berlin ist das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, am höchsten. Besonders Frauen bekommen in den Stadtstaaten überproportional häufig Tumore in der Lunge. Das kann zum Teil am Smog liegen, zum anderen Teil daran, dass immer mehr Frauen rauchen. Lungenkrebs ist in Deutschland die dritthäufigste Krebserkrankung – sowohl bei Männern als auch Frauen. Quelle: dpa
KüstenregionenAußerdem geht aus dem Krebsatlas von GEDIK hervor, dass es an der Nord- und Ostsee deutlich weniger Fälle von Schilddrüsenkrebs gibt, als in Süddeutschland. Das könnte daran liegen, dass die Menschen in den Regionen an der Küste besser mit Jod versorgt sind, als im Süden. Menschen mit chronischem Jodmangel haben ein höheres Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Quelle: dpa
OstdeutschlandIm Osten Deutschlands erkranken deutlich mehr Menschen an Magenkrebs, als im Rest der Republik. Besonders viele Neuerkrankungen gibt es in Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Woher der Unterschied kommt, ist unklar. Quelle: ZB

Aber selbst ein „echter“ Anstieg der um Alterseffekte korrigierten Zahl der Krebsneuerkrankungen wäre immer noch kein Grund zur Panik. Wie man etwa aus Autopsie-Studien weiß, leidet einer von fünf 50-jahrigen Männern in den USA an einer Form von Prostatakrebs. Wenn diese Männer zehn Jahre langer leben, sind es schon zwei von fünf. Werden sie über 70 Jahre alt, dann sind es drei von fünf. Und falls diese Männer über 80 Jahre alt werden, sind es sogar vier von fünf. Aber sterben tun daran nur etwa 3 Prozent. Das heißt, wenn ein Mann das Glück hat, lange zu leben, dann muss er damit rechnen, eine Form von Prostatakrebs zu bekommen. Nur wird er wahrscheinlich mit dem Krebs sterben und nicht am Krebs.

Eine weitere systematische Desinformation, ob aus Absicht oder Schlamperei, erleben wir auch zu den Ursachen von Krebs. Denn natürlich ist ein hohes Lebensalter als solches keine Krebsursache, es erleichtert nur den wahren Ursachen, ihre Wirkung zu entfalten. Und da gibt es keinen Mangel an Kandidaten.

Die Eingabe des Stichworts „krebserregend“ bei Google etwa liefert die folgende beeindruckende Liste von Feinden unseres Lebens (nur Auszüge, alphabetisch sortiert): Ablagerungen in Kaffeebohnen, aggressive Cholesterol-Senkung, Alkohol, Ameisensäure, Anilin, Aroma-Chemikalien, Arsensaure, Asbest, Babyschnuller, Benzol, Blaugel, Blei, Buchenstaub, Cannabis, Chlor, Cobalt, Computermonitore, Deosprays, Dieselmotor-Emissionen, Dioxin, Duftbäume im Auto.

Energiesparlampen, fernöstliche Kräutermischungen, Formaldehyd, gegrillte Mettwürstchen, Glasfasern, Handystrahlung, Holzstaub, Heizöl, HP-Viren, Kartoffelchips, keramische Mineralfasern, Klapprechner, Kohlenmonoxid, Kondome, Laserdrucker, Lebensmittelzusatzstoffe, Linkshändigkeit, Luftballons, Mineralwolle, Neurodermitis-Salben, Nickel, Oralsex, Ostzonensuppenwürfel („Ostzonensuppenwürfel machen Krebs“ – das war tatsächlich einmal eine Schlagzeile in der Bild), Ozon, Passivrauchen, Parfüm, PCB, Pommes frites.

Quarz, Rapsöl-Abgase, rohes Rindfleisch, Rohöl, scharf angebratenes Fleisch, Schichtarbeit, Schimmelpilze, Schminke, Sojabohnen, Speckstein, Stammzellen, Tabakrauch, Tätowierungen, Tupperware, Übergewicht, zu viel UV-Strahlen, zu wenig UV-Strahlen, Venylacetat, WLAN-Anlagen, Zigaretten-Zusatzstoffe, Zimtsterne und Zitronensäure.

Es scheint heute fast nichts mehr zu geben, was wir anfassen, tun und lassen, essen oder anziehen, das nicht im Zweifelfall auch Krebs erzeugt.

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