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Robotik-Professor Martin Wijsse „Die Waschmaschine ist ein Geschenk an die Menschheit“

Martijn Wisse will Roboter besser und günstiger machen, indem er sich Dinge aus der Natur abschaut. Im Interview spricht er über Science Fiction, das niederländische RoboValley und wie Roboter den Alltag umwälzen werden.

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„Wir lassen uns in der Robotik von der Natur inspirieren.“ Quelle: Michiel Wijnbergh

Delft Martijn Wisse ist der erste Professor für Biorobotik in den Niederlanden. Der 41-Jährige forscht und lehrt am Robotics Institute der Technischen Universität Delft. Sein erklärtes Ziel: bessere, schnellere und günstigere Roboter für alle. Dabei schaut er sich vieles von der Natur von Mensch und Tier ab. Wisse hat bereits zwei Robotik-Spin-Offs mit aufgebaut.

Herr Wisse, warum sind Sie Robotik-Wissenschaftler geworden?
Als Kind hab ich viele Science-Fiction-Bücher gelesen, vor allem die von Isaac Asimov. Hinter all seinen Geschichten steckte immer dieselbe Vision. Nämlich die, dass Roboter grundsätzlich alles können: jeden Job, für jedermann, überall. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das in Zukunft nicht der Fall sein wird. Ich wollte Roboter bauen und begann Maschinenbau zu studieren. Ich konzentrierte mich also erst auf die Technik, später kam dann die Softwareentwicklung dazu. Die Software ist ja ein wichtiger Teil der Robotik, wenn nicht der wichtigste.

Sie sind der erste Professor für Biorobotik in den Niederlanden. Was genau verbirgt sich hinter diesem Fachbereich?
Es gibt keine allgemein gültige Definition. An der TU Delft verstehen wir darunter zwei Dinge. Erstens: Wir lassen uns in der Robotik von der Natur inspirieren, von Mensch und Tier. Das ist unser Vorbild. Und zweitens: Es geht um Maschinen für unser Lebensumfeld, zum Beispiel für die Ernte in der Landwirtschaft oder für die Arbeit mit Menschen, etwa in der Pflege.

Wie sind Sie auf die Idee für das RoboValley gekommen?
Ich habe mich länger mit der Geschichte des Silicon Valley beschäftigt – und alles begann mit der Stanford-Universität. Einer der Gründungsväter war Frederick Terman. Um 1920 gab es das Silicon Valley noch nicht und die Stanford-Universität war klein und unbedeutend. Dieser Mann hat es geschafft, dass die Universität mit ihren Professoren und Forschern und das Ökosystem aus Gründern, Unternehmen und Geldgebern Hand in Hand gewachsen sind. Wir wollten etwas Ähnliches aufbauen, speziell für Robotik.

Deswegen auch RoboValley?
Wir haben sehr lange nach einem geeigneten Namen gesucht und uns dann für RoboValley entschieden. Einerseits klingt das ein wenig abgedroschen, andererseits ist jedem sofort klar, was wir hier machen.

Was war anfangs die größte Herausforderung?
Wir mussten alles gleichzeitig machen: den Aufsichtsrat der Universität überzeugen, große Unternehmen als Partner gewinnen, die Marke bekannt machen. RoboValley existiert seit weniger als zwei Jahren und es ist schon sehr geläufig. Die Investition und der Kraftakt haben sich ausgezahlt.

Wo stehen wir in der Entwicklung der Robotik?
Wenn die x-Achse eine Zeitleiste ist und die y-Achse die Anzahl der Roboter darstellt, die in Gebrauch sind, dann verläuft diese Kurve lange auf einem sehr niedrigen Niveau bevor sie steil ansteigt. Und ich denke, wir sind genau an der Neigung der Kurve nach oben. Wir sehen aktuell in der Industrie und Landwirtschaft oder auch im Gesundheitswesen eine Menge Forschung und Innovationen in der Robotik. Technisch ist heute fast alles möglich. Es kommt aber darauf an, ob es das wert ist. Es kommt also auf das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen an. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, würden wir einfach die Gehälter erhöhen.


„Maschinen können so klug werden wie Menschen“

Werden Start-ups den Robotik-Markt dominieren oder große Konzerne?
Ein Roboter hat Hardware, also Motoren und Sensoren. Er lässt sich nicht so einfach entwickeln wie eine App. Und es braucht abhängig von der Anwendung ganz spezielles Wissen. Amazon zum Beispiel hat Kiva Systems für 775 Millionen Dollar gekauft. Das einzige, was diese orangenen Roboter können, ist im Lager die Regale zu den Mitarbeitern zu bringen, so dass diese nicht laufen müssen. Das ist nur ein kleiner Teil des gesamten Picking-Prozesses, also des Einsammelns der bestellten Ware, aber scheinbar war es Amazon das wert. Ein anderes Beispiel ist der Kuhmilch-Roboter von Lely. Oft ist eine einzelne Anwendung in einem eng definierten Bereich kostensparend und kommt zum Durchbruch.

Und dafür braucht es viele Unternehmen und Start-ups?
Genau. In meinen Science-Fiction-Büchern von früher gibt es diesen einen Giganten namens „US Robots and Mechanical Men, Incorporated“. Aber in der Realität werden wir in absehbarer Zeit kein Google für Robotik sehen. Viele Unternehmen werden aber wahrscheinlich eine gemeinsame Plattform für Künstliche Intelligenz nutzen, da könnte Google wiederum eine Rolle spielen.

Was sind die größten Trends?
Im Moment reden viele über Cobots, also Roboter, die mit Menschen auf engstem Raum nebeneinander arbeiten können, ohne sie zu gefährden. Das spart Platz und erleichtert die Bedienung und Wartung. In der Industrie ist das wichtig. Eine größere Bedeutung in der gesamten Wirtschaft hat die Künstliche Intelligenz. Jede Revolution versucht, immer mehr zu automatisieren. Heute ist es die Mustererkennung. Maschinen werden immer besser darin. Das ist der viel größere Trend, denn er fördert die Interaktion zwischen Mensch und Maschine.

Wie intelligent kann eine Maschine werden?
Auch wenn ein Computer Jeopardy gewinnen und scheinbar sehr kluge Aufgaben übernehmen kann, sind wir noch weit davon entfernt, dass Maschinen wie Menschen denken und handeln. Roboter sind, was die Intelligenz angeht, auf einem Level mit Insekten und wir haben noch keine Ahnung, wie wir sie auf den Level einer Maus bringen. Und es stimmt, was Robotik-Forscher Rodney Brooks einmal sagte: Du erschaffst nicht versehentlich eine Super-Maschine, die die Welt erobert. Das wäre so wie wenn Du in Deinem Hinterhof rumbastelst und sagst: Oh, ich habe eine Boeing 767 erfunden!
Wie intelligent unsere Roboter werden, hängt davon ab, was wir bereit sind abzugeben. Aus meiner Sicht können Maschinen durchaus so klug werden wie Menschen. Das menschliche Gehirn sind streng genommen nur elektronische Signale. In der Theorie sind wir in der Lage, all das zu kopieren. Aber nicht mal eben zufällig.

Viele finden es unheimlich, dass Roboter immer intelligenter werden..
.. und deswegen verkauft sich das Thema so gut in den Medien. Es wird viel berichtet, dass Menschen fürchten, ihre Jobs zu verlieren, obwohl es keine belastbaren Zahlen gibt. Im Prinzip ist der Gedanke doch schon alt, dass Maschinen uns Arbeit abnehmen – und er ist immer noch richtig. Die Waschmaschine, das ist doch ein Geschenk an die Menschheit!


„Das Smartphone ist viel mächtiger als die meisten Roboter“

Auf der Webseite von Ihrem Spin-off Delft Robotics steht, dass die langweiligen, schmutzigen, schweren und gefährlichen Aufgaben Roboter übernehmen sollten. Das klingt für manchen Arbeiter wie eine Kampfansage.
Es ist ja nicht so, dass Jobs komplett wegfallen. Bestimmte Aufgaben erledigen künftig die Maschinen, wieder andere die Menschen. Ich glaube mittelfristig fest an ein Gleichgewicht, in dem die Beschäftigung genauso hoch bleibt, aber der Output größer ist. Allerdings kann es kurzfristige, in den Ländern gegenläufige Effekte geben. Wenn wir die Produktion stärker automatisieren, dann wird manuelle Arbeit aus China zurück nach Europa kommen, wo sie Maschinen übernehmen. China weiß das und ist deswegen einer der größten Investoren in Robotik.

Was halten Sie von der Robotersteuer, die Bill Gates vorgeschlagen hat?
Ich kann mir schwerlich vorstellen, wie das funktionieren soll. Aber grundsätzlich ist es schlecht für eine Gesellschaft, wenn es große Einkommensunterschiede gibt. Und Roboter können das verstärken. Das Geld sollte also besser verteilt werden. Dabei kann eine Robotersteuer helfen oder man macht es wie wir und bietet möglichst vielen Menschen Zugang zu der Technologie durch Open-Source- Software.

Wenn möglichst viele Menschen Zugang zu der Technologie haben, brauchen wir dann nicht ethische Standards für Robotik?
Ja, definitiv. Wir brauchen Diskussionen und Regeln. Auch wenn ich noch nicht ansatzweise weiß, wie diese aussehen könnten. Wir sollten Robotik-Technologie als Instrument betrachten, das jedem, der es nutzt, eine Menge Macht und Verantwortung verleihen.

Wie sieht unsere Zukunft mit Robotern in 20 Jahren aus?
Mikrowelle, Waschmaschine, Trockner – das sind alles Maschinen und Teil unseres täglichen Lebens, wir nehmen sie aber nicht als das wahr. In Zukunft werden wir wahrscheinlich mehr Roboter auf der Straße sehen, die kleine Aufgaben wie Müll sammeln oder die Straße fegen übernehmen oder etwas liefern. Auch werden sicherlich mehr Autos allein an uns vorbeifahren. Wir denken sehr viel über Roboter nach, aber weniger über den Super-Computer namens Smartphone, den wir alle haben. Der ist viel mächtiger als die meisten Roboter. In Asimovs Büchern füllen die Super-Computer immer ganze Gebäude, bei uns passen sie in die Tasche.

Haben Sie einen Traum, welchen Roboter Sie gern bauen würden?
Ich dachte früher immer, ich würde mich auf humanoide Roboter spezialisieren. Also solche, die aussehen wie Menschen. Aber nach einer Weile ist mir klar geworden, dass diese sich wirtschaftlich wohl niemals rechnen werden. Ich würde irgendwann einmal gerne einen Straßenreiniger-Roboter entwickeln, dann kann ich ihn vor meiner eigenen Haustür nutzen und die Nachbarn begeistern [lacht].

Herr Wisse, vielen Dank für das Interview.

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