Russland und der Westen „Sollen Sie mit dem Trampolin ins All springen“

Russische Sojus-Rakete am kasachischen Raumfahrtbahnhof Baikonur: Internationale Partner fliegen nicht mehr mit. Quelle: imago images/SNA

Raketenflüge werden abgesagt, Marsprojekte eingestellt: Infolge des Kriegs gegen die Ukraine verliert Russland weltweit Partner in der Raumfahrt oder stößt sie von sich. Kurzfristig wird das teuer für Europa und die USA – langfristig für Russland.

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Dmitri Rogosin ist für seine aggressive Art berüchtigt. Dennoch sprengte das, was der Chef der staatlichen russischen Raumfahrtorganisation Roskosmos in den vergangenen Tagen von sich gab, das bekannte Maß. Die Urheber der US-Sanktionen gegen Russland, polterte Rogosin zunächst auf Twitter, sollten sich auf Alzheimer untersuchen lassen. Dann drohte er damit, die Internationale Raumstation ISS auf die Erde stürzen zu lassen, indem Russland aufhöre, die Bahn der Station mit seinen Triebwerken anzuheben. Schließlich tönte er im russischen Staatsfernsehen, Russland werde keine Raketentriebwerke mehr in die USA liefern – und höhnte: „Lasst sie auf ihren Besen ins All fliegen.“

Es ist ein neuer Tiefpunkt in der internationalen Zusammenarbeit im All. So viele Konflikte es zwischen den Nationen gab – hoch über der Erde arbeiteten Astronauten aus verschiedensten Ländern seit dem Ende des Kalten Krieges friedlich zusammen, die Raumstation ISS wurde gar als Friedensprojekt gefeiert. Und auch bei anderen Weltraummissionen gab es viele Kooperationen zwischen Russland und etwa den USA und Europa.

Doch der Krieg Russlands gegen die Ukraine trifft nun auch die Raumfahrt. Zahlreiche geplante Raumfahrtprojekte werden auf Eis gelegt oder drohen ganz zu platzen. Satelliten gelangen nicht ins Weltall. Forschungsinstitute kappen die Verbindung nach Russland. 

„Sollen Sie mit dem Trampolin ins All springen“

Und so sehr Rogosin auch poltern mag: Der Schaden dürfte für Russland selbst am größten sein. Nach dem Ende des Space Shuttles im Jahr 2011 war die russische Sojus-Rakete das einzige Vehikel, mit dem Astronauten ins All fliegen konnten. Russland verdiente Geld mit den Sitzplätzen, die andere Länder in der Sojus-Kapsel buchten. Vor allem aber brachte die bemannte Raumfahrt Russland Renommee.

Im März 2021 flog Nasa-Astronaut Mark Vande Hei, der sich aktuell auf der Station befindet, in einer russischen Sojus-Kapsel zur Raumstation. Ende März soll er zusammen mit zwei russischen Kosmonauten in einer Sojus-Fährte zur Erde zurückfliegen. Der Flug für ihn ist von Russland bisher nicht abgesagt worden.

Schon nach der Annexion der Krim durch Russland und folgenden US-Sanktionen hatte Roskosmos-Chef Rogosin gehöhnt, die Amerikaner sollten doch „mit dem Trampolin“ ins All fliegen. Doch der Hochmut trifft heute nicht mehr – die USA können sich inzwischen auf die Flüge des US-Unternehmens SpaceX mit seinem Raumschiff Crew Dragon verlassen. Ob die Nasa je wieder Sojus-Flüge buchen wird, ist daher mehr als fraglich.

Zusätzlich hat der US-Konzern Boeing eine Raumfähre in Arbeit. Und obendrein fördert die US-Behörde Nasa Start-ups, die an neuen, privaten Raumstationen arbeiten, wodurch sie sich langfristig von der ISS und Russland als Partner unabhängig machen könnte.

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Stärker treffen die Einschränkungen Europa. Seine Sojus-Raketenflüge für Satelliten hat Russland eingestellt, Roskosmos zog sein Team auch aus dem Raumfahrtzentrum in Französisch-Guayana ab. Betroffen davon sind vermutlich zwei Satelliten für das europäische Navigationssystem Galileo, die am 6. April mit einer Sojus-Rakete starten sollten. Sie könnten, jedoch erst mit zeitlicher Verzögerung, stattdessen in einer europäischen Ariane-Rakete abheben.

Dutzende Satelliten bleiben am Boden

Am Boden bleiben auch dutzende Satelliten des britischen Anbieters OneWeb aus London. Am 5. März sollte eine Sojus-Rakete 36 von ihnen ins All bringen um dort mit Elon Musks Starlink-Konstellation konkurrieren. Doch dann drohte Russland, nur zu fliegen, wenn der britische Staat seine Anteile am Unternehmen OneWeb verkaufe und wenn die Satelliten nicht für militärische Zwecke genutzt würden. 

Diese Unternehmen wenden sich von Russland ab
LindeAngesichts der Sanktionen gegen Russland stehen beim Gasekonzern Linde Anlagenbau-Projekte im Volumen von bis zu zwei Milliarden Dollar zur Disposition. Per Ende März habe Linde Verträge in dieser Höhe, etwa für Anlagen zur Gasverflüssigung, in Russland in den Büchern gehabt, teilte der amerikanisch-deutsche Konzern am 28. April bei Vorlage der Quartalszahlen mit. Von Sanktionen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine seien im ersten Quartal bereits Projekte im Volumen von rund 350 Millionen Dollar betroffen gewesen oder seien voraussichtlich betroffen. Linde hatte das Neugeschäft in Russland gestoppt und ist dabei, die Aktivitäten dort nach und nach zurückzufahren: Bestimmte Kunden würden nicht mehr beliefert, zumindest von einem Teil der Anlagen wolle man sich trennen. Für das zweite Halbjahr hat Linde keine Umsätze aus Russland mehr in seinen Planungen berücksichtigt. Quelle: dpa
BASFDer Chemiekonzern BASF stoppt wegen des Krieges in der Ukraine seine Aktivitäten in Russland und Belarus. Eine Ausnahme sei das Geschäft zur Unterstützung der Nahrungsmittelproduktion, teilte der Ludwigshafener Konzern am 27. April mit. Seit März schließt BASF bereits keine neuen Geschäfte mehr in den Ländern ab. Wegen der jüngsten Entwicklungen in dem Krieg und den von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland habe der Konzern nun entschieden, auch die bestehenden Aktivitäten in Russland und Belarus bis Anfang Juli einzustellen. Derzeit hat BASF 684 Beschäftigte in den beiden Ländern, diese sollen bis zum Jahresende weiter unterstützt werden. Die Geschäfte in Russland und Belarus machten im vergangenen Jahr rund ein Prozent des Konzernumsatzes aus, in der Ukraine waren es 0,2 Prozent.Mehr dazu lesen Sie hier: BASF stoppt Neugeschäft in Russland. Quelle: dpa
SAPDer Softwarekonzern gab am 19. April bekannt, den russischen Markt endgültig zu verlassen. Das Unternehmen kündigte zwei weitere Schritte „für den geordneten Ausstieg aus unserem Geschäft in Russland“ an. Hinsichtlich seiner Cloud-Dienste hatte SAP nicht von Sanktionen betroffene Unternehmen bereits vor die Wahl gestellt, Daten löschen zu lassen, diese in Eigenregie zu übernehmen oder sie in ein Rechenzentrum außerhalb von Russland zu überführen. SAP kündigte nun an, die Verträge russischer Firmen, die sich für eine Migration der Daten ins Ausland entschieden hätten, nach Ablauf der Abonnementlaufzeit nicht zu verlängern. Zudem beabsichtige SAP, den Support und die Wartung für Produkte, die auf lokalen Servern in Russland installiert sind (On-Premise), einzustellen. „Wir prüfen derzeit verschiedene Optionen, wie sich diese Entscheidung umsetzen lässt“, teilte das Unternehmen mit. Das Hauptaugenmerk liege darauf, den rechtlichen Verpflichtungen gegenüber nicht-sanktionierten Kunden weiter nachzukommen. Bereits Anfang März hatte SAP erklärt, sich den Sanktionen anzuschließen und das Neugeschäft in Russland wie auch Belarus einzustellen. Das beinhaltete allerdings nicht Dienstleistungen gegenüber Bestandskunden wie Wartungen oder Cloud-Dienste, die zunächst weiter angeboten wurden. Medienberichten zufolge soll diese Entscheidung intern von Mitarbeitern kritisiert worden sein. Mehr dazu lesen Sie hier. SAP macht nicht öffentlich, wie groß das Geschäft in Russland ist. Aus dem Integrierten Bericht 2019 – den letzten verfügbaren Daten – geht hervor, dass die russische Tochtergesellschaft unkonsolidiert im Jahr knapp 483 Millionen Euro umsetzte. Quelle: imago images/photothek
HenkelDer Konsumgüterkonzern gibt sein Russland-Geschäft nun doch auf. Das Unternehmen hinter Marken wie Persil, Schwarzkopf und Fa kündigte am 19. April an, es habe angesichts der aktuellen Entwicklung des Ukraine-Krieges beschlossen, seine Aktivitäten in dem Land einzustellen. „Der Umsetzungsprozess wird nun vorbereitet.“ Henkel werde mit seinen Teams in Russland an den Details arbeiten, um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten, hieß es. Währenddessen würden die 2500 Beschäftigten von Henkel in Russland weiterbeschäftigt und -bezahlt. Die mit der Entscheidung verbundenen finanziellen Auswirkungen des geplanten Ausstiegs für Henkel könnten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht näher quantifiziert werden. Henkel hatte mit dem Schritt lange gezögert. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar hatte der Konzern zwar entschieden, alle geplanten Investitionen in Russland zu stoppen sowie Werbung und Sponsoring einzustellen. Die dortige Produktion sollte jedoch weiterlaufen. Dafür gab es auf der Hauptversammlung Anfang April Kritik von Aktionären, die etwa einen Reputationsschaden für Henkel fürchteten. Quelle: REUTERS
Dr. OetkerAuch der Nahrungsmittelhersteller Dr. Oetker zieht sich wegen des Ukraine-Krieges komplett aus Russland zurück. Das Familienunternehmen teilte am 8. April mit, dass es alle Anteile an seiner Russlandtochter an die bisherigen russischen Geschäftsführer verkaufe und damit sämtliche Aktivitäten in dem Land beende. Das Unternehmen hatte bereits direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine alle Exporte nach Russland, alle Investitionen in die russische Schwestergesellschaft sowie sämtliche nationalen Marketingaktivitäten gestoppt. Das von Dr. Oetker in der Stadt Belgorod betriebene Nährmittelwerk produzierte seitdem nach Unternehmensangaben nur noch Grundnahrungsmittel wie Hefe und Backpulver für die russische Bevölkerung. Quelle: imago images
IntelDer Chip-Hersteller Intel stellt ab dem 6.April alle Geschäfte in Russland ein. Es seien Vorkehrungen getroffen worden, dass das weltweite Geschäft dadurch so gering wie möglich beeinträchtigt werde, teilt der Chip-Hersteller mit. Quelle: dpa
DecathlonDer französische Sportausrüster Decathlon stellt sein Geschäft in Russland ein. Das teilte das Unternehmen am 29. März mit. Die Lieferbedingungen unter strikter Beachtung der internationalen Sanktionen ließen eine Fortsetzung der Aktivitäten nicht mehr zu, teilt der Konzern mit. Decathlon ist im Besitz der französischen Unternehmerfamilie Mulliez, der unter anderem auch die Supermarktkette Auchan gehört. Zuletzt war der Druck auf die Familie gewachsen, ihre Geschäfte in Russland einzustellen. Auchan erklärte jedoch kürzlich, dort präsent zu bleiben. Andernfalls würden ein Verlust von Vermögenswerten und juristische Probleme für Auchan-Manager befürchtet. Auchan hat rund 30.000 Angestellte in Russland, Decathlon etwa 2500. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte heimische Konzerne vor Reputationsschäden gewarnt, wenn sie in Russland bleiben. Quelle: imago images

Am Donnerstagmittag teilte OneWeb mit, alle künftigen Starts mit Sojus-Raketen auszusetzen. So ärgerlich die Umorganisation für OneWeb sein mag: Russland dürfte Schwierigkeiten bekommen, künftig noch Kunden für seine Raketenflüge zu bekommen.

Das gleiche gilt für russische Raketenmotoren. Wie Roskosmos-Chef Rogosin am Donnerstag bekannt gab, werde Russland keine Triebwerke vom Typ RD-180 mehr an den US-Anbieter United Launch Alliance (ULA) liefern, der sie in seinen Atlas-Raketen verwendet. Auch die Lieferungen von RD-181-Motoren an den Raumfahrtkonzern Northrop Grumman in den USA für seine Antares-Rakete werden eingestellt.

Geplatzte Träume von russischen Mondmissionen

Da die Atlas-Rakete ohnehin ein Auslaufmodell ist, seien keine weiteren Motoren aus Russland mehr nötig, hieß es jedoch bei ULA. Für die Antares-Rakete wird es hingegen etwas komplizierter. Und damit auch für die Flüge des Raumtransporters Cygnus, der mit dem Schub der Antares-Rakete Fracht zur ISS bringt. Northrop Grumman muss seine Rakete nun vielleicht umbauen – oder versuchen, seine Cygnus-Starts mit anderen Raketen zu ermöglichen.

Die Europäische Weltraumorganisation Esa unterdessen geht davon aus, das ihre Marsmission ExoMars dieses Jahr angesichts der Russland-Sanktionen nicht mehr wie geplant starten wird. Russland ist dabei unter anderem für den Bau der Landplattform verantwortlich, von der aus ein Rover auf den Mars rollen sollte. Ob daraus jemals etwas wird, ist nun unklar. Mitte März will die Esa-Führungsspitze bei einem Treffen die Zukunft ihrer Raumfahrtprogramme erörtern.

Am Donnerstag gab das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bekannt, die Zusammenarbeit mit russischen Institutionen bei laufenden oder in Planung befindlichen Projekten werde gestoppt. Das soll auch für die Zukunft gelten: „Es wird keine neuen Projekte oder Initiativen mit Institutionen in Russland geben“, heißt es beim DLR.

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Der Ruf von Russlands Raumfahrtindustrie ist an einem Tiefpunkt angekommen. Schon im November hatte Russland mit einen Antisatellitentest die Empörung weiter Teile der Raumfahrtszene auf sich gezogen. Nun könnten sich auch die Sanktionen und die ökonomische Talfahrt Russlands auf das Budget der russischen Raumfahrtbehörde negativ auswirken.

Träume von einer eigenen Raumstation und russischen Missionen zum Mond wird  Roskosmos-Chef Rogosin darum wohl erst einmal ad acta legen müssen. Ob China Russlands neuer starker Verbündeter im All wird, ist offen. Schon vor ein paar Tagen ließ Rogosin jedenfalls Fahnen internationaler Partner von der Sojus-Rakete, die die OneWeb-Satelliten transportieren sollten, demonstrativ entfernen. Ein Bild, das passt: In der Raumfahrt steht Russland international weitestgehend isoliert da.

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