Dmitri Rogosin ist für seine aggressive Art berüchtigt. Dennoch sprengte das, was der Chef der staatlichen russischen Raumfahrtorganisation Roskosmos in den vergangenen Tagen von sich gab, das bekannte Maß. Die Urheber der US-Sanktionen gegen Russland, polterte Rogosin zunächst auf Twitter, sollten sich auf Alzheimer untersuchen lassen. Dann drohte er damit, die Internationale Raumstation ISS auf die Erde stürzen zu lassen, indem Russland aufhöre, die Bahn der Station mit seinen Triebwerken anzuheben. Schließlich tönte er im russischen Staatsfernsehen, Russland werde keine Raketentriebwerke mehr in die USA liefern – und höhnte: „Lasst sie auf ihren Besen ins All fliegen.“
Es ist ein neuer Tiefpunkt in der internationalen Zusammenarbeit im All. So viele Konflikte es zwischen den Nationen gab – hoch über der Erde arbeiteten Astronauten aus verschiedensten Ländern seit dem Ende des Kalten Krieges friedlich zusammen, die Raumstation ISS wurde gar als Friedensprojekt gefeiert. Und auch bei anderen Weltraummissionen gab es viele Kooperationen zwischen Russland und etwa den USA und Europa.
„Sollen Sie mit dem Trampolin ins All springen“
Und so sehr Rogosin auch poltern mag: Der Schaden dürfte für Russland selbst am größten sein. Nach dem Ende des Space Shuttles im Jahr 2011 war die russische Sojus-Rakete das einzige Vehikel, mit dem Astronauten ins All fliegen konnten. Russland verdiente Geld mit den Sitzplätzen, die andere Länder in der Sojus-Kapsel buchten. Vor allem aber brachte die bemannte Raumfahrt Russland Renommee.
Im März 2021 flog Nasa-Astronaut Mark Vande Hei, der sich aktuell auf der Station befindet, in einer russischen Sojus-Kapsel zur Raumstation. Ende März soll er zusammen mit zwei russischen Kosmonauten in einer Sojus-Fährte zur Erde zurückfliegen. Der Flug für ihn ist von Russland bisher nicht abgesagt worden.
Schon nach der Annexion der Krim durch Russland und folgenden US-Sanktionen hatte Roskosmos-Chef Rogosin gehöhnt, die Amerikaner sollten doch „mit dem Trampolin“ ins All fliegen. Doch der Hochmut trifft heute nicht mehr – die USA können sich inzwischen auf die Flüge des US-Unternehmens SpaceX mit seinem Raumschiff Crew Dragon verlassen. Ob die Nasa je wieder Sojus-Flüge buchen wird, ist daher mehr als fraglich.
Zusätzlich hat der US-Konzern Boeing eine Raumfähre in Arbeit. Und obendrein fördert die US-Behörde Nasa Start-ups, die an neuen, privaten Raumstationen arbeiten, wodurch sie sich langfristig von der ISS und Russland als Partner unabhängig machen könnte.
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Stärker treffen die Einschränkungen Europa. Seine Sojus-Raketenflüge für Satelliten hat Russland eingestellt, Roskosmos zog sein Team auch aus dem Raumfahrtzentrum in Französisch-Guayana ab. Betroffen davon sind vermutlich zwei Satelliten für das europäische Navigationssystem Galileo, die am 6. April mit einer Sojus-Rakete starten sollten. Sie könnten, jedoch erst mit zeitlicher Verzögerung, stattdessen in einer europäischen Ariane-Rakete abheben.
Dutzende Satelliten bleiben am Boden
Am Boden bleiben auch dutzende Satelliten des britischen Anbieters OneWeb aus London. Am 5. März sollte eine Sojus-Rakete 36 von ihnen ins All bringen um dort mit Elon Musks Starlink-Konstellation konkurrieren. Doch dann drohte Russland, nur zu fliegen, wenn der britische Staat seine Anteile am Unternehmen OneWeb verkaufe und wenn die Satelliten nicht für militärische Zwecke genutzt würden.
Am Donnerstagmittag teilte OneWeb mit, alle künftigen Starts mit Sojus-Raketen auszusetzen. So ärgerlich die Umorganisation für OneWeb sein mag: Russland dürfte Schwierigkeiten bekommen, künftig noch Kunden für seine Raketenflüge zu bekommen.
Das gleiche gilt für russische Raketenmotoren. Wie Roskosmos-Chef Rogosin am Donnerstag bekannt gab, werde Russland keine Triebwerke vom Typ RD-180 mehr an den US-Anbieter United Launch Alliance (ULA) liefern, der sie in seinen Atlas-Raketen verwendet. Auch die Lieferungen von RD-181-Motoren an den Raumfahrtkonzern Northrop Grumman in den USA für seine Antares-Rakete werden eingestellt.
Geplatzte Träume von russischen Mondmissionen
Da die Atlas-Rakete ohnehin ein Auslaufmodell ist, seien keine weiteren Motoren aus Russland mehr nötig, hieß es jedoch bei ULA. Für die Antares-Rakete wird es hingegen etwas komplizierter. Und damit auch für die Flüge des Raumtransporters Cygnus, der mit dem Schub der Antares-Rakete Fracht zur ISS bringt. Northrop Grumman muss seine Rakete nun vielleicht umbauen – oder versuchen, seine Cygnus-Starts mit anderen Raketen zu ermöglichen.
Die Europäische Weltraumorganisation Esa unterdessen geht davon aus, das ihre Marsmission ExoMars dieses Jahr angesichts der Russland-Sanktionen nicht mehr wie geplant starten wird. Russland ist dabei unter anderem für den Bau der Landplattform verantwortlich, von der aus ein Rover auf den Mars rollen sollte. Ob daraus jemals etwas wird, ist nun unklar. Mitte März will die Esa-Führungsspitze bei einem Treffen die Zukunft ihrer Raumfahrtprogramme erörtern.
Am Donnerstag gab das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bekannt, die Zusammenarbeit mit russischen Institutionen bei laufenden oder in Planung befindlichen Projekten werde gestoppt. Das soll auch für die Zukunft gelten: „Es wird keine neuen Projekte oder Initiativen mit Institutionen in Russland geben“, heißt es beim DLR.
Der Ruf von Russlands Raumfahrtindustrie ist an einem Tiefpunkt angekommen. Schon im November hatte Russland mit einen Antisatellitentest die Empörung weiter Teile der Raumfahrtszene auf sich gezogen. Nun könnten sich auch die Sanktionen und die ökonomische Talfahrt Russlands auf das Budget der russischen Raumfahrtbehörde negativ auswirken.
Träume von einer eigenen Raumstation und russischen Missionen zum Mond wird Roskosmos-Chef Rogosin darum wohl erst einmal ad acta legen müssen. Ob China Russlands neuer starker Verbündeter im All wird, ist offen. Schon vor ein paar Tagen ließ Rogosin jedenfalls Fahnen internationaler Partner von der Sojus-Rakete, die die OneWeb-Satelliten transportieren sollten, demonstrativ entfernen. Ein Bild, das passt: In der Raumfahrt steht Russland international weitestgehend isoliert da.
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