Sanierung maroder Infrastruktur „Es fehlen Experten, die die ganzen Baustellen abarbeiten“

Ein Schild mit einem traurigen Smiley informiert an der Autobahn 14 über den Beginn einer Baustelle. Quelle: dpa

Marco Götze ist Experte für Brücken- und Straßensanierung. Er fordert mehr Innovationswillen, um den Sanierungsstau im Verkehr aufzulösen - und mehr Personal. Denn das fehlt durch den Sparkurs der letzten Jahre.

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Herr Götze, mitten in der Sommerferien-Reisewelle sorgen bundesweit wieder reichlich Baustellen für Mammutstaus. Dabei sollte es doch eigentlich besser werden auf den Straßen, weil der Bundesetat für den Straßenverkehr nach Jahren der Unterfinanzierung so groß ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Demnächst sollen es bis zu knapp neun Milliarden Euro pro Jahr werden. Was läuft da schief?
So paradox das für viele Reisende aussehen mag: Dass mehr gebaut wird ist die Folge davon, dass jetzt mehr Geld da ist, um die drängendsten Problemstrecken und -bauten endlich anzugehen. In der Vergangenheit wurde alles, was nicht absolut dringend war, immer und immer wieder aufgeschoben.

Erleben wir also jetzt die ersehnte Trendwende? Ist Schluss mit dem fortschreitenden Verfall von Straßen und Autobahnen?
Es wird sicher besser, und wahrscheinlich sogar dauerhaft. Aber schnell ganz sicher nicht. Jahrelang wurde beim Erhalt der Straßen und Brücken gespart, wurden Unterhalt und Sanierung zurückgefahren. Und weil das Geld für die Projekte fehlte, wurde überall massiv Personal abgebaut. Die Leute fehlen nun in jeder Ebene. Jetzt haben wir zwar die finanziellen Mittel, aber wir können gar nicht umfassend investieren, weil die Fachleute dafür fehlen.

Dabei hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer doch gerade erst sein neues „Planungsbeschleunigungsgesetz“ angekündigt. Er versprach, „Planungs- und Genehmigungsverfahren werden einfacher, effizienter, transparenter und schneller.“
Es gibt einiges zu tun: Klagewege verkürzen und die Bevölkerung trotzdem bei Planungen besser informieren. Insofern geht Scheuers Plan in die richtige Richtung. Aber in der Praxis fehlen überall Experten, die all die offenen Baustellen auch im übertragenen Sinn abarbeiten können – auf Bundes- und Länderebene, in den Ingenieursbüros, bei den Unternehmen, in der Bauaufsicht und auch bei den Fachkräften, die das umsetzen können.

Den Mangel an Fachkräften beklagen doch alle Branchen.
Aber gerade beim Erhalt und in der Sanierung von Verkehrswegen ist es doppelt problematisch. Es fehlen nicht bloß Leute, es fehlt auch an Innovationskraft und -willen. Jetzt rächt sich, dass seit Jahren viel zu wenig Leute mit frischen Ideen in Behörden und Unternehmen gekommen sind.
Warum?
Es hat sich jede Menge Innovatives beim Bau und beim Erhalt von Straßen und Brücken getan. Heute gibt es neue effizientere Ansätze, um etwa Brücken so nachzurüsten, dass sie deutlich höhere Lasten tragen und damit auch steigende Verkehrsmengen aushalten können. Bloß, wenn man die nicht kennt als Verantwortlicher für eine Sanierung, dann nimmt man sie nicht in seine Ausschreibung auf. Oder man berücksichtigt sie nicht, wenn sie ein Unternehmen in sein Angebot schreibt.

Welche Verfahren bleiben so außen vor?
Ein Beispiel ist der Ansatz, Beton – statt wie eh und je mit Stahlträgern – mithilfe von speziellen Textilgeweben aus Karbonfasern zu verstärken. Das ist lange erforscht, extrem leistungsfähig und inzwischen auch für den Einsatz an Verkehrswegen zugelassen. Drei bis vier Millimeter dicke Karbonschichten sind dabei so tragfähig wie 20 Millimeter dicke Stahleinlagen. Da profitiert man gleich dreifach: Zunächst, weil es weniger Beton benötigt, um den Stahl komplett zu umhüllen. Dann braucht man nochmal weniger Material, weil die Konstruktion selbst viel leichter ist. Und schließlich hat Karbon den immensen Vorteil, dass er nicht rostet, falls sich doch mal Risse im Beton bilden. An Hochschulen und bei jungen Absolventen ist das bekannt. Trotzdem kenne ich – abgesehen von zwei, drei Versuchsobjekten – keinen nennenswerten Fall, bei dem Textilbeton bisher für die Sanierung oder Verstärkung von Brücken eingesetzt worden wäre. „Das haben wir ja noch nie gemacht“, den Spruch kennt man auch in unserer Branche.

Wie rasch ändert sich das, wenn mit mehr Geld für die Straßen auch wieder mehr Leute für die Planung eingestellt werden?
Der Prozess ist extrem langwierig. Nehmen Sie den Einsatz von CFK-Kunststofflamellen, die sich wie eine Art Stützpflaster auf Betontragwerke aufkleben lassen. Auch die sind extrem leicht und machen Brücken trotzdem nach dem Einbau zwei- bis viermal tragfähiger als zuvor. Wenn man die gleiche Wirkung durch zusätzliche Lagen mit Stahleinlagen und Spritzbeton erreichen wollte, würden die Bauten so schwer, dass ein großer Teil der gewonnenen Tragfähigkeit durch die Last des Materials gleich wieder verloren ginge. Das Verfahren ist schon vor rund 25 Jahren für den Einsatz zugelassen worden und bis heute noch immer eine Nischenanwendung.

Woran liegt das?
Natürlich sind neue Technologien anfangs teurer, es fehlen Referenzen, wo die Technik erfolgreich und dauerhaft eingesetzt worden ist. Aber es fehlen – gerade in einer Zeit, in der beim Unterhalt nur noch der Rotstift regiert – eben auch die Leute, die neue Ideen wagen. Abgesehen davon, dass man solche Verfahren nur bei den Bauwerken anwenden kann, die in der Struktur gesund sind. Wenn der Beton aber wie an so vielen Stellen jahrelang nicht gepflegt und versiegelt wurde, wenn eh schon Wasser im Bauwerk ist oder das Material angegriffen ist, nützt es auch nichts mehr, da noch Kunststofflamellen drauf zu kleben.

Wenn die neuen Verfahren teurer sind, ist es doch nicht überraschend, dass sie keiner einsetzt.
Das ist eben ein Trugschluss. Zum einen sind sowohl CFK-Lamellen als auch Textilbeton inzwischen preislich konkurrenzfähig; speziell wenn man bedenkt, wie groß die Einsparungen bei Stahl und Beton sind. Zum anderen muss man die Kosten über die Lebenszeit betrachten: Dann geht die Rechnung noch viel mehr auf. Die so sanierten oder verstärkten Bauten sind wesentlich wartungsärmer und langlebiger als herkömmliche Konstruktionen.

Zumindest da bin ich zuversichtlich, dass die zusätzlichen Milliarden für Bau und Sanierung nun ein Umdenken ermöglichen. Bisher galt: Wenn Du eh an jedem Eckchen sparen musst, steckst Du kein Geld in Sanierungsverfahren oder Materialien, deren Einsatz sich erst nach fünf oder zehn Jahren rentiert – so nachhaltig die Strategie auch wäre. Da schaust Du bloß drauf, dass Du die drängendsten Probleme irgendwie gelöst bekommst – und dann nach mir die Sintflut. Das ändert sich nun hoffentlich und es macht sich wieder langfristiges Denken breit.

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