Dass der Sprung erst vom Montag auf den Dienstag, dann auf den Donnerstag und dann auf den heutigen Sonntag verschoben werden musste, liegt am Wetter. Doch noch gibt Felix Baumgartner nicht auf. Er will unbedingt springen. Sein Lebenstraum hängt ebenso wie sein Leben daran, ob die Meteorologen grünes Licht geben.
“Das Glück war nicht auf unserer Seite. Ich saß schon in meiner Kapsel und war bereit, als eine Staubböe den Ballon beschädigt hat”, wandte sich der Extremsportler über seine Facebook-Seite nach der abgesagten Aktion an seine Anhänger. “Aber wir fangen einfach noch mal von vorne an. Drückt die Daumen.” Über 220.000 Menschen folgen ihm auf Facebook.
Wer ist dieser Mann, der für den Versuch als erster Mensch der Welt nur mit einem Schutzanzug und Helm die Schallmauer zu durchbrechen, sein Leben riskiert? Der kleinste Fehler bedeutet für den 43-Jährigen das Aus. Bei einem Leck im Anzug, macht sich die Schwerelosigkeit breit und sein Blut gerät in Wallung. Außerdem darf sein Körper nicht in eine falsche Lage geraten. Käme Baumgartner bei einer Geschwindigkeit von bis zu 1100 Stundenkilometern ins Trudeln, würde sich sein Körper bis zu 120 Mal in der Minute um sich selbst drehen. Der Extremsportler würde sein Bewusstsein verlieren. Oder er könnte sich das Genick brechen.
Sprung durch Schallmauer vertagt
Für den normalen Menschen ist es kaum nachzuvollziehen, warum sich jemand diesen Gefahren aussetzt. Doch für den gelernten Maschinenschlosser Baumgartner ist es ein Traum, auf den er sein ganzes Erwachsenenleben hingearbeitet hat.
Mit 18 Jahren verpflichtete sich Felix Baumgartner beim österreichischen Bundesheer und wurde dort zunächst zum Panzerfahrer ausgebildet, später diente er unter anderem als Fallschirmspringer in Wien. Das war der Anfang. Furchtlos sprang er aus dem Flugzeug gen Erde, lernte die Grenzen seines Körpers kennen und zog immer später die Reißleine. Dennoch verließ er die Bundeswehr. Der “furchtlose Felix”, wie er bis heute genannt wird, war auch stur, hatte Probleme sich unterzuordnen. Er wurde als militärisch ungeeignet eingestuft und aus dem Militärdienst entlassen.
Bis an die Grenzen
Die Liebe zum Fallschirmspringen blieb - ebenso das Bedürfnis, die Grenzen immer weiter auszureizen. 1996, im Alter von 27 Jahren, stürzte sich der Österreicher erstmals von einem feststehenden Objekt. Er wählte dazu den Bridge Day. An jedem dritten Wochenende im Oktober kommen Basejumper aus aller Welt zur New River Gorge Bridge in West Virginia, um von der damals höchsten Bogenbrücke der Welt (heute die zweithöchste) zu springen. Bisher starben drei Extremsportler beim Sprung von der Brücke.
Seit Felix Baumgartners Sprung von der Stahlbrücke in den USA hat er über 2600 Fallschirmsprünge. Für über 130 davon wählte er feststehende Gebäude, Klippen oder Hänge. Er ist einer von etwa 1000 professionellen Basejumpern weltweit, die von Gebäuden, Antennen, Brücken und Klippen gesprungen sind. Seit 1997 wird er von dem Unternehmen Red Bull gesponsert, das immer wieder Extremsportler unter Vertrag nimmt.
Felix Baumgartner ist ein Athlet, wie er im Buche steht. Muskulös, braungebrannt, das Haar kurz geschnitten. Die markanten Gesichtszüge und der starke Blick, der seinen Facebook-Freunden entgegen blickt, sagt vor allem eines: Ich werde mein Ziel erreichen. Ich werde nicht aufgeben.
Skydiver schafft Testsprung aus fast 30 Kilometern Höhe
Und Baumgartner ist ein Perfektionist. Er bereitet jeden seiner Sprünge gründlich vor - und bewegte sich dabei vor allem in den Anfangsjahren immer wieder in rechtlichen Grauzonen. 1999 sprang er aus dem 88. Stockwerk des Petronas Tower in Kuala Lumpur, Malaysia. Tagelang beobachtete er dafür das Gebäude. Dafür soll er in der Verkleidung eines Geschäftsmannes das Sicherheitspersonal ausgekundschaftet und später den Fallschirm in einem Aktenkoffer in das Gebäude geschmuggelt haben. Noch im selben Jahr sprang Baumgartner von der Christusstatue in Rio de Janeiro. Auch hier ließ er sich heimlich auf dem Gelände des Denkmals einschließen.
Sein bislang spektakulärstes Projekt war 2003 das Überfliegen des Ärmelkanals - im freien Fall. Zwei Meter breite Kunststoffflügel auf seinem Rücken halfen ihm dabei.
“Es gibt Leute, die besondere Extremleistungen vollbringen, die für einen hohen Adrenalinausstoß sorgen”, sagt der Sportmediziner Prof. Dr. Herbert Löllgen. Der massive Hormonausstoß kann süchtig machen. Allerdings vermutet der Mediziner, der viel mit Astronauten aus ganz Europa zusammengearbeitet hat, dass es den Sportlern um etwas anderes geht. “Die meisten, die so weit gehen, wollen aus der Masse der Sportler herausragen und etwas einzigartiges schaffen.”
Ausdauertraining ist für Baumgartner schädlich
Um Leistungen wie Baumgartner zu erreichen, ist eine körperliche Grundfitness und ein besonders zugeschnittenes Training wichtig. “Ausdauertraining ist für jemanden wie Felix Baumgartner eher schädlich”, erklärt Löllgen, “weil die Druckrezeptoren in den Halsgefäßen sich durch das Training verändern und der Blutdruck darauf empfindlich reagiert.” Felix Baumgartner setzt also vor allem auf ein Kraft- und Kopftraining. “Man wird so etwas wie Baumgartner nie schaffen, wenn man mental nicht fit ist.” Die Psyche lasse sich am besten dadurch trainieren, immer wieder seine Grenzen zu überwinden. “Ich habe Sportler erlebt, die vor kaum noch etwas Angst haben”, sagt Löllgen.
Auch Felix Baumgartner scheint seine Angst über die 2600 Fallschirmsprünge auf seine Art überwunden zu haben. „Da ist durchaus auch Furcht, wie vor jedem Absprung“, sagte er, als er sein Projekt, aus dem All auf die Erde zu springen, der Presse vorstellt. „Aber Springen ist mein Leben und von diesem, genau diesem Sprung, habe ich mein Leben lang geträumt. Die Furcht ist deshalb kein Hindernis, sie sorgt nur dafür, dass wir es richtig machen."
Seit über fünf Jahren arbeiten er und sein Team an dem Sprung aus der Stratosphäre, mit dem er vier Weltrekorde auf einmal knacken will: die höchste bemannte Ballonfahrt, der längste freie Fall, der höchste Absprung und das Durchbrechen der Schallmauer.
Gründliche Vorbereitung ist dabei alles für ihn. „Ich mag das Abenteuer. Aber ich bin keiner, der den Kick sucht“, sagt er. Entsprechend überlässt er nichts dem Zufall. Akribisch werden Fallschirm, Ballon, Schutzanzug und Co. überprüft. Nicht nur an seiner persönlichen Fitness, sondern an der gesamten Ausrüstung hängt sein Leben. “Es sind sehr viele Faktoren, die den Sprung beeinflussen”, sagt auch Herbert Löllgen. Er schätzt die Chance etwas besser als 50:50 ein, dass der Österreicher seinen Schallmauer-Sprung überlebt. Sollte die Aktion schief gehen, wäre es eine Tragödie, an der die Welt live beteiligt wäre. Der Sprung wird mit diversen Kameras aufgenommen und direkt ins Internet übertragen.
Schafft er es, geht Felix Baumgartner in die Geschichte ein. Mit dem Erreichen des Lebensziels, soll mit Baumgartners langer Karriere Schluss sein. Er hat bereits angekündigt, dass dieser extreme Basejump der letzte sein wird.