Jeder kennt das: ständig Rückenschmerzen von den langen Stunden am Schreibtisch, ein paar Kilo zu viel auf den Hüften. So richtig können wir ja nichts dafür, meint George Church. „Wir sind schlecht angepasst an tagtägliches Sitzen und Berge von leckerem Essen“, verkündet der Biologe von der US-Eliteuniversität Harvard.
Der moderne Mensch ist ganz und gar nicht perfekt. Warum also nicht Schöpfung spielen und ihn mit ein paar heilsamen Genen tunen? Und wenn wir schon dabei sind, könnten wir gleich das perfekte Designerbaby erschaffen, mit den passenden Erbanlagen geschützt vor Krebs, Diabetes und Mundgeruch. Oder dem Wunderkind stabilere Knochen bescheren und es weniger unter Schmerz leiden lassen. Die verantwortlichen Gene seien bekannt, sagt Church – und wirft bei Vorträgen gerne eine entsprechende Liste an die Wand.
Die Erbanlagen müssten nur vor der Befruchtung in Ei- oder Samenzelle eingebaut werden – und würden dann an alle Nachkommen weitergegeben. Doch so ein Eingriff in die menschliche Keimbahn ist verboten; der Versuch, die Menschheit nach eigenen Ideen zu optimieren, spätestens seit dem Nazi-Rassenwahn geächtet.
Manchmal will der Forscher Gott spielen
Trotzdem: Harvard-Forscher Church ist kein Spinner. Im Gegenteil. Er ist einer der einflussreichsten Vordenker der Biologenzunft, hat ein gutes Dutzend Biotechnikfirmen gegründet und hält über 60 Patente. Doch manchmal geht der Visionär mit ihm durch. Dann will er Gott spielen.
Früher hätten ihn seine Fachkollegen ausgelacht. Doch jetzt hören sie ihm zu, sehr genau sogar. Denn Church hat Ende 2013 das Start-up Editas Medicine mitgegründet, das Patente für die Anwendung genau der Technik besitzt, mit der sich das Versprechen vom neuen, genoptimierten Menschen einlösen lässt. Crispr-Cas9 heißt das Verfahren etwas umständlich, das gerade nicht weniger als ein neues Zeitalter der Biotechnik einleitet. Mit seiner Hilfe ist es so einfach wie nie zuvor, Gene hochpräzise ein- oder auszuschalten, zu reparieren oder umzuschreiben. Bei Affen, den engsten Verwandten des Menschen im Tierreich, klappt das schon.
Diese Start-ups arbeiten an Crispr-Cas9
Vier junge Unternehmen arbeiten bereits daran, Anwendungen der neuen Technologie zu vermarkten. Emmanuelle Charpentier veröffentlichte die erste Arbeit über das Genwerkzeug Crispr-Cas9 im März 2011. Der französischen Mikrobiologin war klar: „Das hat Folgen für fast jedes Feld der biologischen Forschung, auch auf die Entwicklung neuer Therapien.“
Welche vielversprechenden Start-ups Patente besitzen oder angemeldet haben.
Start: 2011 in Berkeley, USA
Strategie: Technikentwickler, setzt auf Tiermedizin sowie auf industrielle und grüne Gentechnik
Gründerin: Jennifer Doudna, Biologin, hat mit Charpentier wichtige Arbeiten zu Crispr-Cas9 veröffentlicht
Finanzierung: elf Millionen Dollar
Start: Ende 2013 in Cambridge, USA
Strategie: Therapien für genetisch bedingte Erkrankungen
Gründer: Harvard-Genforscher George Church, Jennifer Doudna, Crispr-Forscher Feng Zhang vom Broad Institute in Cambridge
Finanzierung: 43 Millionen Dollar
Start: April 2014 in Basel, Schweiz
Strategie: Therapien für genetisch bedingte Erkrankungen
Gründer: Emmanuelle Charpentier; Craig Mello, Nobelpreisträger aus den USA; Rodger Novak, Ex-Manager des Pharmakonzerns Sanofi
Finanzierung: 25 Millionen Dollar
Start: Ende 2014, Cambridge, USA (Ausgründung aus Caribou)
Strategie: Genetische Erkrankungen, Krebs-Gentherapie zusammen mit Pharmakonzern Novartis
Gründer: Caribou-Chefin Rachel Haurwitz, Crispr-Forscher Rodolphe Barrangou
Finanzierung: 15 Millionen Dollar
Dann sickerte in den vergangenen Wochen durch: Erste Forscher experimentieren bereits mit menschlichen Eizellen. Bis zum Designerbaby, aufgerüstet mit Genen, die klug, schön und gesund machen, scheint es nicht mehr weit zu sein.
Die Vorstellung schreckte die Wissenschaftlergemeinde gehörig auf. In parallelen Artikeln für die Top-Journale „Nature“ und Science“ forderten hochkarätige Forscher ein Moratorium, wenn es um Eingriffe in die menschliche Evolution geht. Auch Church gehörte zu den Unterzeichnern, wohl aus der Einsicht heraus, dass da gerade ein paar Dinge außer Kontrolle zu geraten drohen.
Eines hat der Harvard-Forscher auf jeden Fall erreicht: Schlagartig ist Crispr-Cas9 berühmt geworden. Das hätte die Methode aber auch ohne die aufgeregte Diskussion um die Schöpfung 2.0 verdient, denn die Anwendungsmöglichkeiten des Verfahrens sind enorm – und damit auch dessen wirtschaftliches Potenzial. Dabei ist die Methode so simpel wie elegant.
Crisps-Cas9 treibt die Forschung voran
Entdeckt hat den Molekülkomplex Crispr-Cas9 die französische Biologin Emmanuelle Charpentier, die heute in Braunschweig am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung arbeitet. Er kombiniert eine Genschere – ein Enzym namens Nuklease – mit einem hochpräzisen Navigationssystem fürs das Erbgut. Die Schere kann den Erbgutstrang, die DNA, an jeder beliebigen Stelle zertrennen. Und zwar exakt nur dort, wo sie das Navi hingelenkt hat.
Dem Navigationssystem ein Ziel einzuprogrammieren ist denkbar einfach und kostengünstig. Ein Forscher muss dafür nur einen kurzen Abschnitt Erbgut künstlich herstellen, der genau an die fragliche Stelle im Gen passt. „Solch eine Erkennungsregion ist innerhalb von Stunden zum Preis von wenigen Euro zusammengesetzt“, sagt Ümit Pul, der beim hessischen Biotech-Unternehmen Brain mit der Methode arbeitet.
Crispr-Cas9 „erleichtert die Arbeit von Forschern unglaublich und wird Forschung und Entwicklung enorm voranbringen“, sagt die Entdeckerin Charpentier in ihrem Labor in Braunschweig. Dabei hatte die 46-jährige Pariserin gar nicht nach einem solchen Werkzeug gesucht. Sie wollte vielmehr verstehen, wie sich ihre Forschungsobjekte – Bakterien – gegen Feinde zur Wehr setzen.
Die zierliche Forscherin erkannte schnell, dass diese Schere-Navi-Kombination auch außerhalb der Bakterienwelt enorme Bedeutung haben könnte. Um die exakte Funktionsweise von Crispr-Cas9 noch besser zu verstehen, bat sie die in Kalifornien arbeitende Jennifer Doudna um Hilfe bei der weiteren Analyse. Denn die aus Hawaii stammende, nur fünf Jahre ältere Doudna ist spezialisiert darauf, den räumlichen Aufbau von solchen Enzymen und deren Funktion zu ergründen.
Charpentier und Doudna sind nobelpreisverdächtig
Nachdem die beiden im August 2012 ihre Ergebnisse in „Science“ gemeinsam veröffentlichten, brach ein Sturm der Begeisterung los. Beide wurden in der Folge mit hochrangigen Forschungspreisen bedacht. So bekommt Charpentier dieser Tage in Genf den 700.000 Schweizer Franken schweren Louis-Jeantet-Preis für Biomedizin. Sie und Doudna gelten längst als Kandidatinnen für den Medizin-Nobelpreis.
Seit der ersten Publikation ist die Forscherwelt wie elektrisiert, jeder will mit dem neuen Gentech-Werkzeug arbeiten. So explodiert die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen förmlich. Jede neue Arbeit unterstreicht: Das System ist universell einsetzbar, es funktioniert bei allen Organismen.
Charpentier & Church - Die Eltern der Designerbabys
Institut: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig, Med. Hochschule Hannover
Forschung :Die Mikrobiologin untersuchte die Abwehrkräfte von Bakterien, fand dabei Crispr-Cas9
Institut: Harvard Medical School, Harvard University, Massachusetts Institute of Technology (MIT)
Forschung: Initiierte das Humangenomprojekt, versteht sich als Visionär des neuen Biozeitalters
Entsprechend breit sind die Anwendungen – von der industriellen Biotechnik über Medizin und Pflanzenzucht bis zur Lebensmittelbranche.
Dort – bei Joghurtkulturen – wurde Crispr zum ersten Mal genutzt. Beim damals noch dänischen Enzymhersteller Danisco, der heute zum US-Chemieriesen DuPont gehört, untersuchte Bioingenieur Rodolphe Barrangou 2007, wie sich Bakterien, die Milch in Speisejoghurt umwandeln sollten, vor krankmachenden Viren schützen ließen. Denn wenn die Bakterien kränkeln, klappt das mit dem Joghurt nicht.
Barrangou entwickelte eine Art Impfung nach dem Crispr-Prinzip, ohne damals dessen genaue Funktionsweise zu kennen. Mittlerweile impfen viele Lebensmittelkonzerne ihre Kulturorganismen auf diese Weise. „Wenn Sie Joghurt oder Käse essen, sind die Chancen sehr groß, dass sie Crispr-isierte Zellen verspeisen“, sagt Barrangou, der inzwischen an der North Carolina State University forscht und bei den Crispr-Firmen Caribou und Intellia engagiert ist.
Der Turbo für die Pillenforschung
Auch Pharmariesen sind bereits eingestiegen. So gab der schwedisch-britische Konzern AstraZeneca im Januar bekannt, ganz offensiv in die neue Technik zu investieren und eng mit Spitzenforschungsinstituten in Großbritannien und den USA zu kooperieren. Lorenz Mayr, im Konzern für die weltweite Entwicklung von biologischen Testsystemen zuständig, will zunächst Versuchstiere, in der Regel Mäuse, gentechnisch so verändern, dass sie als Modell für menschliche Krankheiten dienen können – und das viel schneller als bisher.
Heute dauert es zehn bis zwölf Monate, bis solch ein Tiermodell steht. „Mit Crispr-Cas9 schaffen wir das in einem Fünftel der Zeit“, sagt der Molekularbiologe. Je eher er und seine Kollegen wüssten, ob eine neue Substanz wirke, desto schneller könnten sie sich ganz auf die besten, vielversprechendsten Moleküle konzentrieren. Das ist Geld wert. Denn wenn ein Medikament nach Patentanmeldung früher auf den Markt kommt, genießt es länger den wertvollen Patentschutz. Während der läuft, dürfen Wettbewerber kein Nachahmerprodukt anbieten.
Die neue Art der Genchirurgie wird aber nicht nur die Produktionszyklen in der Pharmaindustrie beschleunigen. „Sie ermöglicht langfristig auch neue Therapieoptionen“, sagt Kemal Malik, der im Bayer-Vorstand für Innovationen zuständig ist. Etwa wenn krankmachende Gene korrigiert würden, wie etwa bei Blutern oder manchen Augenleiden.
An solchen Gentherapien arbeiten weltweit schon 181 Unternehmen, die Zahl der weltweiten Versuche liegt bei 2142 registrierten Studien. Mit Crispr-Cas9 könnte das Ganze noch einfacher werden. Denn die klassischen Gentherapeuten haben ein Problem: Sie können ihr Reparaturset nur rein zufällig irgendwo im Genom abladen. Crispr-Cas9 aber fährt exakt die Stelle an, die aus- oder angeschaltet, entfernt oder umgebaut werden soll.
Eine Hürde muss das Wunderwerkzeug aber noch nehmen. Da der Enzymkomplex ausschließlich im Inneren von Zellen und dort im Zellkern arbeitet, muss er im menschlichen Patienten erst einmal dort hingelangen. Anders als im Laborschälchen braucht Crispr-Cas9 eine Art Taxi, das es zum Beispiel zum betroffenen Organ und dann in dessen Zellen und deren Zellkerne bringt. Erst dort, inmitten des Erbguts, funktioniert das eigene Navi und zeigt der Schere, wo sie ihre Schnitte im Erbgut setzen soll.
Bei bisheriger Gentherapie klappt dieser Transport aber schon recht gut, mit speziellen Fähren – etwa mit für Menschen harmlosen Viren und Nanopartikeln.
Streit ums Patent
Solange der Weg in die Patientenzellen noch nicht geklärt ist, scheint die Strategie des Schweizer Pharmakonzerns Novartis sehr pfiffig. Dessen Forscher holen die entscheidenden Zellen, in diesem Fall solche des Immunsystems, einfach aus dem Körper heraus und rüsten sie dann gentherapeutisch gegen Tumore auf. Zurück im Körper, sollen sie Krebszellen töten. Nun legt Novartis offenbar mit Crispr-Cas9 den Turbogang ein: Im November beteiligten sich die Schweizer an der Gründung von Intellia, der Firma von Barrangou.
Intellia hat, sobald diese erteilt sind, Zugriff auf einen Teil der Patentrechte an der Technik. Der andere Teil, ebenfalls noch nicht erteilt, liegt bei Charpentier und ihrem Baseler Start-up Crispr Therapeutics. Beide Unternehmen dürften künftig weiter an der Bekämpfung von Krankheiten arbeiten, die genetische Ursachen haben – von Herz-Kreislauf-Leiden über Krebs und Diabetes bis hin zu Parkinson.
Durchbruch oder Effekthascherei?
George Church hat unterdessen einen veritablen Patentstreit angezettelt. Die von ihm und dem Forscher Feng Zhang mitgegründete Firma Editas trieb die Patentierung von Crispr-Cas9 voran – auf der Basis von Zhangs Arbeiten. Gegen diese schon erteilten Patente, auf die Editas zugreifen darf, hat Doudnas Universität jetzt Einspruch erhoben, weil sie ihre Anträge früher eingereicht hat.
Insidern zufolge wird es Jahre dauern, bis die Patentrechte geklärt sind. Das droht die kommerzielle Nutzung der Methode zu erschweren. Zumal Doudnas Ansprüche – und die von Charpentier – noch geprüft werden.
Was Church nicht hindert, sein Netzwerk in alle Richtungen auszubauen. So hat er auch noch das Unternehmen E-Genesis gegründet, das Crispr-Cas9 in der Tierzucht nutzen will. Die Firma kooperiert mit hochkarätigen Reproduktionsmedizinern in der Humanmedizin und Firmen wie dem Start-up OvaScience aus Cambridge. Sie soll eine Art von Eistammzellen vermarkten, die der Harvard-Forscher Jonathan Tilly gefunden haben will. Mit deren Hilfe will er erstmals befruchtungsfähige menschliche Eizellen im großen Stil nachzüchten können. Bisher lassen Ärzte Eizellen für die künstliche Befruchtung mithilfe einer brachialen Hormonkur im weiblichen Körper wachsen und reifen. Neben ethischen Bedenken behindert gerade dieser Mangel an menschlichen Eizellen das fröhliche Basteln am Embryo. Tillys Eistammzellen könnten das ändern.
Embryo-Design ist nur noch eine Frage der Zeit
Die meisten der mit Crispr befassten Forscher und Firmenchefs betonen, dass sie nicht an den Keimzellen – also Eizellen oder Spermien – von Menschen arbeiten wollen. Auch halten hochdekorierte Stammzellforscher wie der deutsche Harvard-Professor Rudolf Jaenisch Tillys Entdeckung für „wissenschaftlich absolut nicht nachvollziehbar“ und „totale Scharlatanerie“. Da aber auch andere Forscher daran arbeiten, die begehrten Eistammzellen aus Körperzellen zu gewinnen, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand am Embryo-Design versucht.
Erste Manuskripte von Fachartikeln über genau solche Versuche kursieren gerade und warten auf ihre Veröffentlichung, bestätigt Jaenisch: „Wir müssen sehr genau darauf achten, was wir zur Publikation zulassen wollen.“ Vieles sei Effekthascherei. Christiane Woopen, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, sieht die Entwicklung mit Sorge. Zwar sei die Gesetzeslage in Deutschland und vielen europäischen Staaten klar: „Keimbahneingriffe am Embryo sind verboten.“ Doch sie weiß auch, dass mit den bereits vorhandenen Möglichkeiten, Embryonen vorgeburtlich zu testen und dann – etwa bei schweren Erkrankungen auch in Deutschland ganz legal – abzutreiben, eine Grenze überschritten sein könnte. Die Fragen zur Keimbahntherapie müssten heute global geregelt werden, sagt Woopen: „Sonst reisen Eltern, die das wünschen, eben in ein Land ohne Verbot.“ Sie will das Thema aufs Programm des nächsten weltweiten Treffens der nationalen Ethikräte setzen, dessen Gastgeberin sie im März 2016 in Berlin ist.
Das ist spät, vielleicht zu spät. Denn andere schaffen Tatsachen, die unser Selbstverständnis als Menschen grundsätzlich infrage stellen. So glaubt Church: „Wir behandeln genetische Erkrankungen immer früher, sicherer und effektiver, damit könnte die Therapie von Embryonen zur akzeptablen Randerscheinung werden.“ Solche Eingriffe würden uns eines Tages ganz normal vorkommen, so wie es heute normal sei, dass Ärzte sehr unruhige Kinder mit Ritalin behandeln oder solche mit einer Hasenscharte operieren: „Genauso werden die neuen Methoden es Eltern ermöglichen, über Verhalten und Aussehen ihrer Kinder zu entscheiden.“