Schöpfung 2.0 Bis zum Designerbaby ist es nicht mehr weit

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Der Turbo für die Pillenforschung

Auch Pharmariesen sind bereits eingestiegen. So gab der schwedisch-britische Konzern AstraZeneca im Januar bekannt, ganz offensiv in die neue Technik zu investieren und eng mit Spitzenforschungsinstituten in Großbritannien und den USA zu kooperieren. Lorenz Mayr, im Konzern für die weltweite Entwicklung von biologischen Testsystemen zuständig, will zunächst Versuchstiere, in der Regel Mäuse, gentechnisch so verändern, dass sie als Modell für menschliche Krankheiten dienen können – und das viel schneller als bisher.

Heute dauert es zehn bis zwölf Monate, bis solch ein Tiermodell steht. „Mit Crispr-Cas9 schaffen wir das in einem Fünftel der Zeit“, sagt der Molekularbiologe. Je eher er und seine Kollegen wüssten, ob eine neue Substanz wirke, desto schneller könnten sie sich ganz auf die besten, vielversprechendsten Moleküle konzentrieren. Das ist Geld wert. Denn wenn ein Medikament nach Patentanmeldung früher auf den Markt kommt, genießt es länger den wertvollen Patentschutz. Während der läuft, dürfen Wettbewerber kein Nachahmerprodukt anbieten.

Diese Konzerne sind Forschungsweltmeister
Platz 10 - Merck & Co - Forschungsausgaben: 7,5 Milliarden US-DollarBeim US-Pharmakonzern wurden die Forschungsausgaben im Vergleich zum Vorjahr zurückgefahren, machen aber immer noch 17 Prozent des Umsatzes aus.Quellen: Bloomberg, Thomson Reuters Quelle: AP
Platz 9 - Google - Forschungsausgaben: 8 Milliarden US-DollarDie einstige Suchmaschine ist innerhalb von zehn Jahren zum Internetriesen aufgestiegen - und forscht nun auch in Bereichen, die eigentlich nicht zum Kerngeschäft gehören. Mit dem Google Car (Foto) haben die Kalifornier bereits einen Prototyp für ein selbstfahrendes Auto entwickelt. Quelle: dpa
Platz 8 - Johnson & Johnson - Forschungsausgaben: 8,2 Milliarden US-DollarDer Pharma- und Konsumgüterkonzern verkauft auch in Deutschland seine Marken wie Penaten und Listerine. 11,5 Prozent des Umsatzes werden in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte gesteckt. Quelle: AP
Platz 7 - Toyota - Forschungsausgaben: 9,1 Milliarden US-DollarAls erster Hersteller wollen die Japaner schon 2015 ein Wasserstoff-Auto auf den Markt bringen. Obwohl der Konzern nur 3,5 Prozent seines Umsatzes in die Forschung und Entwicklung steckt und die Ausgaben in diesem Bereich gekürzt hat, reicht das locker für die Top Ten. Quelle: AP
Platz 6 - Novartis - Forschungsausgaben: 9,9 Milliarden US-DollarDer Pharmariese aus der Schweiz kann damit an Toyota vorbeiziehen. Denn hier wurde bei den Forschungsausgaben nachgelegt, obwohl diese heute schon 17 Prozent des Umsatzes ausmachen. Quelle: AP
Platz 5 - Roche - Forschungsausgaben: 10 Milliarden US-DollarUnter den großen Pharmariesen gibt keiner mehr für Forschung und Entwicklung aus als die Schweizer. Satte 19,8 Prozent des Umsatzes fließen in den Forschungsetat. Quelle: REUTERS
Platz 4 - Microsoft - Forschungsausgaben: 10,4 Milliarden US-DollarOft gehasst, doch nie verschwunden - die Erben von Microsoft-Gründer Bill Gates haben den IT-Riesen bisher durch jede Krise gesteuert, auch weil das Unternehmen die Zukunft nicht vernachlässigt. 13,4 Prozent des Umsatzes fließen in die Forschung und Entwicklung. Quelle: REUTERS

Die neue Art der Genchirurgie wird aber nicht nur die Produktionszyklen in der Pharmaindustrie beschleunigen. „Sie ermöglicht langfristig auch neue Therapieoptionen“, sagt Kemal Malik, der im Bayer-Vorstand für Innovationen zuständig ist. Etwa wenn krankmachende Gene korrigiert würden, wie etwa bei Blutern oder manchen Augenleiden.

An solchen Gentherapien arbeiten weltweit schon 181 Unternehmen, die Zahl der weltweiten Versuche liegt bei 2142 registrierten Studien. Mit Crispr-Cas9 könnte das Ganze noch einfacher werden. Denn die klassischen Gentherapeuten haben ein Problem: Sie können ihr Reparaturset nur rein zufällig irgendwo im Genom abladen. Crispr-Cas9 aber fährt exakt die Stelle an, die aus- oder angeschaltet, entfernt oder umgebaut werden soll.

Eine Hürde muss das Wunderwerkzeug aber noch nehmen. Da der Enzymkomplex ausschließlich im Inneren von Zellen und dort im Zellkern arbeitet, muss er im menschlichen Patienten erst einmal dort hingelangen. Anders als im Laborschälchen braucht Crispr-Cas9 eine Art Taxi, das es zum Beispiel zum betroffenen Organ und dann in dessen Zellen und deren Zellkerne bringt. Erst dort, inmitten des Erbguts, funktioniert das eigene Navi und zeigt der Schere, wo sie ihre Schnitte im Erbgut setzen soll.

Bei bisheriger Gentherapie klappt dieser Transport aber schon recht gut, mit speziellen Fähren – etwa mit für Menschen harmlosen Viren und Nanopartikeln.

Streit ums Patent

Solange der Weg in die Patientenzellen noch nicht geklärt ist, scheint die Strategie des Schweizer Pharmakonzerns Novartis sehr pfiffig. Dessen Forscher holen die entscheidenden Zellen, in diesem Fall solche des Immunsystems, einfach aus dem Körper heraus und rüsten sie dann gentherapeutisch gegen Tumore auf. Zurück im Körper, sollen sie Krebszellen töten. Nun legt Novartis offenbar mit Crispr-Cas9 den Turbogang ein: Im November beteiligten sich die Schweizer an der Gründung von Intellia, der Firma von Barrangou.

Intellia hat, sobald diese erteilt sind, Zugriff auf einen Teil der Patentrechte an der Technik. Der andere Teil, ebenfalls noch nicht erteilt, liegt bei Charpentier und ihrem Baseler Start-up Crispr Therapeutics. Beide Unternehmen dürften künftig weiter an der Bekämpfung von Krankheiten arbeiten, die genetische Ursachen haben – von Herz-Kreislauf-Leiden über Krebs und Diabetes bis hin zu Parkinson.

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