Serie Wirtschaftswelten 2025 Wie der Mensch zum Roboter wird

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Kraftakt statt Kinderspiel

Das Besondere: Der aus daumennagelgroßen Kunststoff-Sechsecken aufgebaute Überzug verleiht tumben Maschinen die Fähigkeit zu empfinden. In jedem Sechseck haben Chengs Forscher drei Drucksensoren, eine Art Thermometer und einen Abstandsmesser eingebaut. Ohne diese sensible Hülle hätte Pinto niemals gehen können: „Nur wenn die Gelähmten Rückmeldung über die Bewegungen des Exoskeletts erhalten, können sie lernen, sich damit zu bewegen, und das Gerät steuern, ohne hinzufallen“, erzählt Cheng.

Cyborg-Technologien

Laufen ist für Gesunde etwas Selbstverständliches – ein Kinderspiel. Doch für Gelähmte ist es ein Kraftakt. Sie müssen ganz fest ans Gehen denken. Eine elektroden-gespickte Kopfhaube erfasst dann die elektrischen Signale der Nervenzellen in ihrem Gehirn. Ein Computer wertet diese Impulse aus, nachdem er zuvor erst mühsam hat lernen müssen, das Signalmuster zu verstehen – bei jedem Menschen neu.

Der Rechner steuert dann die Motoren im Exoskelett an. Der Patient wiederum muss innerhalb einer Viertelsekunde spüren, ob der Fuß noch Bodenkontakt hat oder schon abgehoben ist. Sonst schafft er es nicht, die Bewegungen zu koordinieren. Dazu wandelt der Computer die Signale der sensiblen Kunsthaut so um, dass der Maschinen-Läufer sie auch fühlen kann: Der trägt am Oberarm, den er noch spürt, eine Manschette mit einem Feld kleiner Stempel, die vibrieren können. So entsteht ein exaktes Abbild des Sohlendrucks – als Vibrationsmuster auf dem Oberarm.

All das schien lange ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, wollte nie richtig funktionieren. Doch Cheng reizen genau solche Aufgaben: „Ich liebe es, Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme zu finden.“ Und so tüftelte er vier Jahre lang an der Haut des Exoskeletts herum. Auch andere Forscher auf der Welt arbeiten an solchen gefühlvollen Roboterüberzügen – etwa für klassische Hand- oder Fußprothesen.

Iron Man im Anflug

Als das System endlich das tat, was es tun sollte, passierte etwas Verblüffendes: „Das Exoskelett wird zu einem Teil von uns selbst, wir bedienen es bald so selbstverständlich wie Messer und Gabel – oder wie ein Auto“, erzählt Cheng. Die Menschen verschmelzen – gefühlt – mit der Maschine.

Je früher trainiert wird, desto einfacher lässt sich die Bedienung lernen. Bei einem gerade anlaufenden Projekt wird er daher mit Kindern arbeiten, die von Geburt an Lähmungen und kaum Kontrolle über ihre Bewegungen haben. Wenn sie sehr früh mit dem Exoskelett üben, so hofft Cheng, lernen sie, sich und ihre Bewegungen besser wahrzunehmen und zu koordinieren. Vielleicht schaffen sie es so, ihre eigenen Muskeln zu steuern. „Hier kann die Wissenschaft den Menschen etwas zurückgeben, und darüber bin ich sehr froh“, sagt er.

Und wann kommt die Iron-Man-Variante für Schwerarbeiter oder Soldaten? Bald, meint der Visionär. Allerdings achtet er im Gegensatz zu vielen anderen Exoskelett-Arbeitsgruppen peinlichst darauf, keine Fördergelder vom Militär anzunehmen. Er verpflichtet sogar seine Partner darauf.

Die elektronische Haut will sein Team bald vermarkten, es gründet dafür gerade ein Start-up. Auch Industrieroboter, die oft eine Gefahr für Menschen darstellen, könnten sie tragen, sagt Cheng: „Bisher müssen sie hinter Absperrungen arbeiten, denn sie spüren es einfach nicht, wenn sie jemandem einen Schlag auf den Kopf verpassen oder ihn über den Haufen fahren.“

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