Das Besondere: Der aus daumennagelgroßen Kunststoff-Sechsecken aufgebaute Überzug verleiht tumben Maschinen die Fähigkeit zu empfinden. In jedem Sechseck haben Chengs Forscher drei Drucksensoren, eine Art Thermometer und einen Abstandsmesser eingebaut. Ohne diese sensible Hülle hätte Pinto niemals gehen können: „Nur wenn die Gelähmten Rückmeldung über die Bewegungen des Exoskeletts erhalten, können sie lernen, sich damit zu bewegen, und das Gerät steuern, ohne hinzufallen“, erzählt Cheng.
Cyborg-Technologien
Neil Harbisson gilt als der erste Cyborg der Welt, ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine. Der Katalane hat einen Chip in seinem Hinterkopf installiert, der mit einem Farbsensor neben seinem Auge verbunden ist. Er ermöglicht ihm, Farben zu hören.
Harbisson ist seit seiner Geburt völlig farbenblind, er sieht alles in schwarz-grau Schattierungen. Dank des elektronischen Sensors kann er nun mehr Farben unterscheiden, als es das menschliche Auge kann. 2010 hat er die Stiftung Cyborg gegründet.
Auch der kanadische Informatiker Steve Mann ist einer der Ersten seiner Art. Der Professor an der Universität von Toronto wird als Vater von Wearable Computern bezeichnet. Er trägt selber seit Jahren ein Gerät, das seine Sehfähigkeit verbessern soll, ohne medizinische Notwendigkeit. Bislang waren seine Erfindungen stets reine Forschungsobjekte.
Nun hat Mann ein Gerät entwickelt, das markttauglich sein könnte: EyeTap. Es wird vor dem Auge getragen und mischt die Lichtstrahlen, die auf das Auge treffen mit künstlich erzeugten. Im Gegensatz zu Brillen, wie etwa Google Glass, die mehr ein Miniaturprojektor vor dem Auge sind, kann EyeTap verändern, was der Nutzer sieht.
Wer die bittere Pille schon einmal schlucken muss, soll dabei wenigstens einen Zusatznutzen haben, dachte sich die US-Firma Proteus Digital Health, die unter anderem mit dem Schweizer Pharmakonzern Novartis zusammenarbeitet. Sie entwickelt Pillen, die neben dem Heilmittel zusätzlich noch einen kleinen Sensor in sich tragen. Er soll dem Patienten Feedback darüber geben, wie er das Medikament verträgt und ob er es auch wirklich regelmäßig nimmt. Dies soll auch Familienangehörigen bei der Pflege helfen.
Die Firma Vancive stellt unter dem Namen Metria ein intelligentes Pflaster her, dass neben körperlichen Aktivitäten unter anderem auch den Blutdruck misst. Es wird von der Deutschen Telekom in Zusammenarbeit mit Medisana angeboten. Die Daten werden im Internet gespeichert und sollen dem Arzt helfen, Lebensgewohnheiten der Patienten besser einzuschätzen und Tipps zu geben.
Auch Branchenriese Google will den Trend nicht verpassen. Das US-Unternehmen hat Anfang des Jahres bekanntgegeben, an Kontaktlinsen zu arbeiten, die über Sensoren den Blutzuckerspiegel von Diabetikern messen können. Der Konzern hat sich bereits ein elektronisches Tattoo patentieren lassen, das mit Smartphones verknüpft werden kann.
Laufen ist für Gesunde etwas Selbstverständliches – ein Kinderspiel. Doch für Gelähmte ist es ein Kraftakt. Sie müssen ganz fest ans Gehen denken. Eine elektroden-gespickte Kopfhaube erfasst dann die elektrischen Signale der Nervenzellen in ihrem Gehirn. Ein Computer wertet diese Impulse aus, nachdem er zuvor erst mühsam hat lernen müssen, das Signalmuster zu verstehen – bei jedem Menschen neu.
Der Rechner steuert dann die Motoren im Exoskelett an. Der Patient wiederum muss innerhalb einer Viertelsekunde spüren, ob der Fuß noch Bodenkontakt hat oder schon abgehoben ist. Sonst schafft er es nicht, die Bewegungen zu koordinieren. Dazu wandelt der Computer die Signale der sensiblen Kunsthaut so um, dass der Maschinen-Läufer sie auch fühlen kann: Der trägt am Oberarm, den er noch spürt, eine Manschette mit einem Feld kleiner Stempel, die vibrieren können. So entsteht ein exaktes Abbild des Sohlendrucks – als Vibrationsmuster auf dem Oberarm.
All das schien lange ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, wollte nie richtig funktionieren. Doch Cheng reizen genau solche Aufgaben: „Ich liebe es, Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme zu finden.“ Und so tüftelte er vier Jahre lang an der Haut des Exoskeletts herum. Auch andere Forscher auf der Welt arbeiten an solchen gefühlvollen Roboterüberzügen – etwa für klassische Hand- oder Fußprothesen.
Iron Man im Anflug
Als das System endlich das tat, was es tun sollte, passierte etwas Verblüffendes: „Das Exoskelett wird zu einem Teil von uns selbst, wir bedienen es bald so selbstverständlich wie Messer und Gabel – oder wie ein Auto“, erzählt Cheng. Die Menschen verschmelzen – gefühlt – mit der Maschine.
Je früher trainiert wird, desto einfacher lässt sich die Bedienung lernen. Bei einem gerade anlaufenden Projekt wird er daher mit Kindern arbeiten, die von Geburt an Lähmungen und kaum Kontrolle über ihre Bewegungen haben. Wenn sie sehr früh mit dem Exoskelett üben, so hofft Cheng, lernen sie, sich und ihre Bewegungen besser wahrzunehmen und zu koordinieren. Vielleicht schaffen sie es so, ihre eigenen Muskeln zu steuern. „Hier kann die Wissenschaft den Menschen etwas zurückgeben, und darüber bin ich sehr froh“, sagt er.
Und wann kommt die Iron-Man-Variante für Schwerarbeiter oder Soldaten? Bald, meint der Visionär. Allerdings achtet er im Gegensatz zu vielen anderen Exoskelett-Arbeitsgruppen peinlichst darauf, keine Fördergelder vom Militär anzunehmen. Er verpflichtet sogar seine Partner darauf.
Die elektronische Haut will sein Team bald vermarkten, es gründet dafür gerade ein Start-up. Auch Industrieroboter, die oft eine Gefahr für Menschen darstellen, könnten sie tragen, sagt Cheng: „Bisher müssen sie hinter Absperrungen arbeiten, denn sie spüren es einfach nicht, wenn sie jemandem einen Schlag auf den Kopf verpassen oder ihn über den Haufen fahren.“