Blätter zu essen sei etwas für Ziegen oder Elefanten – nicht aber für Menschen, fand Rob Rhinehart schon als Kind. Salat zu putzen, Spinat zu kochen und Essen generell zubereiten zu müssen störte ihn. Erst recht während seines Studiums, denn es stahl ihm wertvolle Zeit. Und als der heute 25-jährige Elektroingenieur und Softwareentwickler aus Atlanta im US-Bundesstaat Georgia ins kalifornische Silicon Valley zog, stellte er fest, dass dort sein bis dahin favorisiertes, da zeitsparendes Fast Food, enorm teuer war.
Da verging Rhinehart endgültig der Appetit auf klassisches Essen, das er kochen und kauen muss – und das auch noch dreckiges Geschirr und Töpfe hinterlässt. Der Mann schritt zur Tat, las sich in die Ernährungsliteratur ein und mixte sich ein Pulver, das alle für den Körper wichtigen Nährstoffe enthielt. Er verquirlte es mit Wasser zu einer bräunlich-gelben Plörre und lebte 30 Tage lang ausschließlich davon.
Rhinehart war begeistert, so wie Menschen, die einige Wochen fasten: „Ich hatte mehr Energie. Ich schlief besser. Ich konnte mich besser konzentrieren.“ Sogar fröhlicher und optimistischer sei er gewesen, sagte er Journalisten, die ihn interviewten. Weil er in einem Blog täglich über seine Erfahrungen berichtete, wurde er blitzschnell berühmt. Und weil seine Fan-Gemeinde das Pulver, das er Soylent nannte, ebenfalls haben wollte, gründete er in San Francisco die Firma Rosa Labs. Die sammelte vergangenes Jahr per Crowdfunding erstaunliche zwei Millionen US-Dollar ein – in Form von Vorbestellungen des Pulvers.
Rhinehart plant, ab Ende März die ersten je 3,10 Dollar teuren Soylent-Tütchen in den USA zu verschicken. Der Inhalt jeder Tüte soll eine Mahlzeit ersetzen.
Warum sich so viele für eine geschmacksfreie bis eklig bitter schmeckende Astronauten-Nahrung begeistern, lässt sich nur mutmaßen. Denn neu ist Rhineharts Idee keineswegs. Seit Jahren gibt es künstliche Nahrung für kranke und alte Menschen.
„Von ihr leben manche Leute schon viele Jahre“, sagt die Ernährungsphysiologin Hannelore Daniel von der Technischen Universität München. Das Pulver, das Rhinehart aus Hafermehl, Reisprotein, Tapiokastärke, Rapsöl, Vitaminen und Mineralstoffen anrührt, scheint so ausgewogen zu sein, dass Menschen damit überleben können. Doch warum sollte ein Gesunder sich das antun? Warum sollte er auf den Genuss von Fleisch und Gemüse, von Schokolade und Gummibären verzichten?
"Idee aus den Siebzigerjahren"
Rhinehart preist nicht nur den Zeitgewinn. Er sieht in seinem Pulver einen Gewinn für die Menschheit – etwa als Beitrag gegen Fettleibigkeit. Tatsächlich dürfte es schwerfallen, sich an Soylent derartig zu überfressen, wie das mit fettigen Chips möglich ist.
Ganz unbescheiden meint Rhinehart, sein Pulver könne sogar die Welternährung sichern. Schließlich werfen wir ein Drittel bis die Hälfte aller Lebensmittel weg: Ihr Haltbarkeitsdatum ist abgelaufen, sie werden falsch gelagert, oder niemand will sie mehr essen. Diese Probleme würde Soylent lösen: „Es verdirbt nicht und muss nicht gekühlt werden“, so der Erfinder.
Zudem sei, findet der Ingenieur, das Pulver aus der Fabrik viel sicherer als natürlich erzeugte Lebensmittel. Denn die könnten mit Krankheitserregern verseucht sein. Ganz ohne natürliche Rohstoffe wie Reis oder Hafer kommt aber auch er nicht aus.
Ein makaberer Marketinggag ist der Name. Das Produkt ist benannt nach dem apokalyptischen Siebzigerjahre-Film „Soylent Green – Jahr 2022... die überleben wollen“. Da entdeckt Hauptdarsteller Charlton Heston als Polizist Schreckliches: Die grünen Soylent-Kekse, welche die Behörden im überbevölkerten New York verteilen, bestehen aus Menschenfleisch. Denn die Nahrungsreserven der Erde sind durch Umweltverschmutzung zerstört. Rhinehart sieht seine Erfindung offensichtlich als ein Mittel, das zu verhindern.
Überleben könnten Menschen mit dem Pulver wohl. Doch ob es gesund ist, bezweifelt Helmut Heseker stark. Der Paderborner Ernährungswissenschaftler und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung findet Rhineharts Idee, Nahrung auf ihre Bestandteile zu reduzieren, extrem altmodisch: „Das könnte eine Idee aus den Siebzigerjahren sein, als Futurologen solche Szenarien entwickelten.“ Die moderne Forschung habe längst erkannt: Milch, Gemüse oder Obst mit ihrer Struktur und ihren Abertausenden von Substanzen sind viel mehr als ihre Einzelteile.
Und eins scheint der Amerikaner auch zu übersehen: „Der Körper baut Muskeln und Knochen sehr schnell ab, wenn wir sie nicht nutzen“, sagt Heseker. Das gilt auch für Magen, Darm und Kauapparat.
Rhinehart will mit seinem Pulver die Welt retten. Doch wer weiß: Vielleicht quälen ihn und seine Kunden bald Bauchschmerzen und wackelige Zähne.