SpaceX „Das Starship wird ein Paradigmenwechsel in der Raumfahrt“

Ein Prototyp des Raumschiffs Starship wartet am Weltraumbahnbahnhof von SpaceX in Boca Chica auf einen Flugtest.  Quelle: REUTERS

Elon Musks Unternehmen SpaceX hat sein neues Raumschiff zu einem Höhenflugtest geschickt. Musk-Biograph Eric Berger erzählt im Interview, was das Starship so bahnbrechend macht und warum SpaceX allen davonfliegt.

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In rund 12,5 Kilometer Höhe wollte SpaceX das Starship eigentlich schon in der Nacht zu Mittwoch schießen. Am Ende musste es doch am Boden bleiben. Nur 1,3 Sekunden vor dem Start hat ein Problem mit dem Triebwerk zum Abbruch des Tests der neuen Rakete von Elon Musks Raumfahrt-Firma geführt. Der nächste Versuch folgte schon in der Nacht zu Donnerstag: Doch nach einem erfolgreichen Testflug ist ein Prototyp der Starship-Rakete bei der Landung explodiert. „Der Druck im Kraftstofftank war während der Landung niedrig, was zu einer hohen Aufsetzgeschwindigkeit und RUD führte, aber wir haben alle Daten, die wir brauchen! Herzlichen Glückwunsch, SpaceX-Team“, schrieb Elon Musk, Firmenchef von SpaceX, trotz der Explosion auf Twitter.

Bereits vor dem geplanten Start erklärte Eric Berger im Interview, was dieses Weltraumabenteuer so besonders macht. Berger ist Buchautor und Raumfahrtjournalist beim US-Online-Magazin Ars Technica. Im März erscheint sein Buch „Liftoff“ über die Gründungsjahre des Raumfahrtunternehmens SpaceX.

Herr Berger, in ein paar Tagen will Elon Musk, Gründer des Raumfahrtunternehmens SpaceX, das größte Raumschiff aller Zeiten testen. Warum ist dieser Flug so wichtig?
Eric Berger: SpaceX wird versuchen, sein Starship 15 Kilometer hoch fliegen zu lassen – ein epischer Moment. Gelingt der Test, ist ein Flug in eine Erdumlaufbahn nicht mehr allzu weit weg. Dann könnte SpaceX 100 bis 150 Tonnen Fracht in den Weltraum bringen – für hundert Millionen Dollar oder weniger.

Das wäre fast zehnmal so viel Ladung wie die europäische Ariane-5-Rakete fasst – die bestenfalls ähnlich teuer ist. Wie bedeutsam ist das?
Das Starship wird disruptiv sein. Vielleicht wird es nicht den Markt für Satellitenstarts sonderlich verändern. Aber es wird plötzlich eine Menge Dinge im All möglich machen, sei es der Bau einer Solarfarm auf dem Mond oder weltraumgestützter Teleskope. Es ist heute schwierig, sich vorzustellen, was tatsächlich alles passieren könnte, aber es wird definitiv ein Paradigmenwechsel in der Raumfahrt.

Sie haben für Ihr Buch mit Elon Musk und der gesamten Führungsriege von SpaceX über die Gründerjahre des Unternehmens gesprochen. Wie ist es SpaceX gelungen, den Raumfahrtagenturen so sehr davonzufliegen?
Es gab in der Raumfahrtbranche damals viele, die Geld hatten, und andere, die gute Ideen und Visionen hatten. Musk hatte beides. Vor ungefähr 20 Jahren entschied er für sich, dass die Menschen sich in das Sonnensystem ausbreiten sollten. Und er sah niemanden, der das umsetzte. Also beschloss er, es selbst zu tun, die Menschen zu einer multiplanetaren Spezies zu machen. Das ist kein Blödsinn, es treibt ihn wirklich an. Wenn Sie mit ihm darüber reden, ist er messianisch. Wenn er Entscheidungen trifft, misst er sich an der Frage: Bringt uns das dem Mars näher oder nicht? 

Die Idee allein reicht allerdings nicht, wenn man wirklich zum Mars fliegen will.
Eine wichtige Sache, in der Elon außergewöhnlich gut ist, ist Leute einzustellen. Für die ersten 3000 Jobs bei SpaceX hat er persönlich jeden Kandidaten interviewt. Er ist ein schwieriger CEO im Bewerbungsgespräch, er will keinen Nonsens hören. Er will wissen, wie Sie denken. Und er sagt von sich, dass er innerhalb von etwa fünfzehn Minuten einschätzen kann, ob jemand ein guter Ingenieur ist oder nicht. 

Und die guten Ingenieure hat er eingestellt?
Es begann mit drei Leuten: Tom Mueller, ein Entwickler für Raketentriebwerke. Chris Thompson, ein Experte für Strukturen von Raketen. Und Hans Königsmann, ein deutscher Avionik-Spezialist. Die Fachleute für die drei Hauptteile der Rakete hatte er damit zusammen, sie bildeten den Kern der Firma. 

Gute Leute haben auch europäische Raumfahrtunternehmen und die staatlichen Raumfahrtagenturen. Was macht SpaceX noch anders?
Bei SpaceX gibt es einen Boss: Elon Musk. Und es ist einfach sehr effizient, wenn eine einzige Person in diesem Besprechungsraum in Hawthorne, Kalifornien, sitzt, sich zehn Sekunden für eine Frage nimmt und sagt: „Okay, wir machen es so – und jetzt geht sofort los und macht es.“ Wenn Sie Elon als Ingenieur davon überzeugen, dass eine bestimmte Sache wichtig ist, können Sie sicher sein, er steht zu hundert Prozent hinter Ihnen und gibt Ihnen die Ressourcen, damit Sie so schnell arbeiten können wie möglich. 

Mit wie viel Druck müssen die Mitarbeiter leben?
Elon ist unaufhaltsam, er treibt seine Mitarbeiter ständig voran. Er ist ein äußerst anspruchsvoller Chef, er will, dass die Dinge schneller erledigt werden als bisher. Und er fordert seine Mitarbeiter auf, Dinge zu tun, die fast unmöglich sind. 

Klingt enorm anstrengend.
Ein bestimmter Typ von Ingenieur liebt das: Die Chance zu haben, harte Arbeit zu leisten, komplizierte Dinge zu tun – und dafür alle nötigen Ressourcen zu bekommen und Hilfe, wenn es technische Probleme gibt. 

Musks Zeitpläne haben die Eigenschaft, dass sein Team sie oft nicht einhalten kann.
Sie haben absolut recht. Elon ist immer hyperaggressiv in seinen Zeitplänen. Er gründete 2002 SpaceX und sagte zunächst, dass er Ende 2003 eine Rakete starten werde. Es wurde dann März 2006. Und selbst während der Countdown lief, dachte er schon wieder ein Jahr weiter.

Obwohl seine Rakete noch nie abgehoben war?
Das Team sitzt da im Kontrollraum auf einer kleinen Insel im Pazifischen Ozean. Die Rakete ist voll Treibstoff auf der Startrampe, soll in 20 Minuten starten. Chris Thompson, einer der Gründungsmitarbeiter, ist Startleiter, gibt Befehle durch. Elon ist im hinteren Teil des Raumes und läuft hin und her. Und beginnt plötzlich mit Thompson eine ausgedehnte Diskussion über die nächste Rakete, die Falcon-5. Thompson reagiert: „Wir versuchen hier, eine Rakete zu starten.“ Aber Elon bohrt nach, will wissen, warum Thompson noch kein Aluminium gekauft hat für die nächste Rakete. Er denkt immer über die nächsten Schritte nach.

Aktuell wäre das der bemannte Flug zum Mond in drei Jahren, bald darauf schon die Reise zum Mars. Dabei ist das Starship noch nicht ins All geflogen und die erst Antriebsstufe nicht einmal entwickelt.
Eine Sache, die SpaceX bewiesen hat, ist, dass sie gut darin sind, Raketen zu bauen. Mit der Falcon Heavy haben die Ingenieure gezeigt, dass sie eine Menge Triebwerke zusammenschalten können. Ich denke, das Starship wird letztendlich erfolgreich sein. Es ist eine Frage des Wann, nicht des Ob.

Trotzdem denkt nicht einmal die Nasa daran, in absehbarer Zeit Menschen zum Mars zu schicken. 
Ein Raumschiff, das Menschen zum Mars bringt, ist eine Dekade oder mehr in der Zukunft. Aber SpaceX könnte bald schon mit dem Starship testen, Raumschiffe im Erdorbit aufzutanken, damit sie weiter ins All hinausfliegen können. Als Frachtschiff dürfte das Starship schon bald unterwegs sein.

„Die Chancen stehen sehr schlecht für die Ariane 6“

Jetzt schon schickt Elon Musk im Wochentakt seine Falcon-9-Raketen ins All. Ariane 6, die neue Version der europäischen Rakete, soll ihm Konkurrenz machen. Sie wird jetzt aber noch einmal 230 Millionen Euro teurer, der erste Start verschiebt sich um ein Jahr in den Sommer 2022. Wie stehen nun die Chancen für Europas Frachtschiff ins All?
Die Chancen stehen sehr schlecht für die Ariane 6. Als Europa 2014 mit ihrer Entwicklung begonnen hat, hat SpaceX seine Falcon-9-Raketen schon zu einem sehr niedrigen Preis verkauft, etwa 60 Millionen US-Dollar. Was damals noch für die Ariane 5 und den Bau eines Nachfolgers sprach, waren die zuverlässigen Startfenster. SpaceX hatte einen unglaublichen Auftragsbestand und kam kaum hinterher, die Raketen zu bauen und Starttermine einzuhalten.

Und was passierte dann?
Ab 2015 hat SpaceX seine Fertigung der Falcon-9-Rakete massiv ausgebaut. Nun sind sie in der Lage, problemlos zwanzig oder mehr Raketen pro Jahr zu fliegen und sie können die Starttermine an die steigende Nachfrage anpassen. Und tatsächlich ist die Falcon die am häufigsten geflogene Rakete der Welt.

Auch die zuverlässigste?
Ariane-Befürworter haben oft angeführt, dass die Falcon 9 keine Qualitätsrakete sei. „Wir bauen keinen Tata“, sagt mir jemand aus der italienischen Raumfahrtszene einmal. Sondern den Mercedes, sollte das heißen. 

Und stimmt das?
Die Realität ist: Die jüngste Version der Falcon-9-Rakete ist 60 Mal geflogen – und niemals ist ein Start missglückt. Sie ist heute die zuverlässigste Rakete der Welt neben der amerikanischen Atlas-5-Rakete. Elon Musk sagte kürzlich, dass die Falcon 9, wenn sie von Satellitenfirmen versichert wird, die niedrigsten Versicherungssätze aller Raketen da draußen habe.  

Immerhin sind Raketen der Ariane-Baureihe schon mehr als 250 Mal abgehoben – ist das nichts?
Ariane 4 und 5 waren beide exzellente Raketen, keine Frage. Aber SpaceX hat einen neuen Standard gesetzt, verwendet seine Raketen mehrfach wieder und kann die Kosten drücken. 

Warum können die europäischen Fertiger offenbar nicht so innovativ sein?
Die europäische Raketenindustrie hat eine Reihe von Problemen, die SpaceX nicht hat. Nummer eins: Die komplizierte Organisation. In Europa haben Sie die ArianeGroup, ihre Tochter ArianeSpace, zahllose Zulieferer, die Europäische Weltraumorganisation Esa, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die französische Raumfahrtagentur, die italienische Raumfahrtagentur und sie haben alle Mitgliedsnationen der Esa und ihre Regierungen. Wenn man also gemeinsam in Europa eine Rakete baut, muss man von all diesen verschiedenen Stellen Mittel erhalten – und als Teil dieses Prozesses muss man alle glücklich machen.

Die Entwicklung der Falcon-9-Raketen bei SpaceX soll 400 Millionen gekostet haben – die Ariane 6 kostet vier Milliarden…
…und dazu kommt noch die ziemlich umfangreiche Arbeit am Startplatz am Weltraumbahnhof Kourou. Aber das ist nichts im Vergleich zum Space Launch System, der neuen Rakete der Nasa. Aktuell gibt die Raumfahrtagentur drei Milliarden Dollar pro Jahr für die Entwicklung der SLS-Rakete aus. Die Nasa rechnet beim Space Launch System mit Kosten von zwei Milliarden Dollar pro Start – falls es jemals starten sollte. Wenn also SpaceX sein Starship für 100 Millionen Dollar oder weniger starten kann, dann ist das einfach unglaublich.

Kritiker aus Europa wenden ein, dass SpaceX zusätzlich von üppigen Nasa-Aufträgen profitiert hat.
Sicherlich hat Space X in den letzten zehn Jahren mehr als eine Milliarde Dollar von der NASA als Teil des Commercial-Cargo-Programms erhalten, um Fracht zur Internationalen Raumstation zu bringen. Und von diesem Geld konnten sie etwa in die Modernisierung der Falcon-9-Rakete investieren, die heute doppelt so stark ist wie die, die 2010 zum ersten Mal gestartet wurde. Aber SpaceX hat auch effizient gearbeitet, etwa in der Falcon 9 dasselbe Triebwerk verwendet wie im Vorgänger Falcon One.

Wäre es vielleicht an der Zeit, die teuren staatlich geführten Programme zu stoppen?
Das kommt die Politik ins Spiel. Der US-Kongress will immer noch, dass die NASA Raketen baut, weil dadurch viele Arbeitsplätze im ganzen Land geschaffen werden. Und ich glaube, in Europa ist es ähnlich, die Industrie will Arbeitsplätze in Deutschland, Italien, Frankreich und anderen Ländern schaffen. Außerdem gibt die Ariane Europa einen unabhängigen Zugang zum Weltraum.


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Ginge es in Europa denn nicht zumindest preiswerter?
Was wir in den Vereinigten Staaten gesehen haben, ist, dass private Unternehmen wie SpaceX die bestehende Industrie herausgefordert haben. Und ich denke, was Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Europa sehen werden, ist sicherlich eine ähnliche Disruption der Launcher-Industrie. Es gibt in Deutschland gerade ein interessantes Rennen dreier Raketen-Start-ups – Rocket Factory, HyImpulse und Isar Aerospace. Alle bauen Raketen für den Transport von Kleinsatelliten, sie spornen sich gegenseitig an. Und ich finde großartig, dass die Esa sie unterstützt. Dann gibt es noch Orbex in Großbritannien oder PLD Space in Spanien. Es wird interessant sein zu verfolgen, welches der neuen Unternehmen erfolgreich sein wird. Die Erfolgreichen könnten als Erstes der europäischen Vega-Rakete Konkurrenz machen...

…der kleineren Schwester der Ariane. Und die große Schwester wäre dann die nächste Messlatte der Raumfahrt-Gründer?
Ob sie irgendwann mit etwas Größerem aufwarten würden, um mit der Ariane 6 zu konkurrieren? Ich könnte mir das durchaus vorstellen. Einfach, weil sich das Erfolgsmodell als richtig erwiesen hat. SpaceX hat es ja auch geschafft. 

Mehr zum Thema: Europas Raumfahrt hat ein Problem: Die neue Ariane-6-Rakete kommt später, wird noch teurer als geplant – und kann selbst dann nicht mit der US-Konkurrenz mithalten. Was machen die Nasa und SpaceX nur so viel besser?

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