Stammzellen Wie Forscher Organe züchten wollen

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Mühsamer Aufbau von Organstrukturen

Insgesamt warten 11570 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Quelle: dpa/dpaweb

Um solch einen Gewebekomplex wachsen zu lassen, hat Hilfiker gerade die nächste Bioreaktoren-Generation geliefert bekommen. Generell haben die Forscher das Problem, dass ihre Gewebeschnipsel nur so lange gedeihen, wie sie dünn und klein sind. Dann können sie sich noch durch reine Diffusion mit Nährstoffen versorgen. Ab einem gewissen Volumen funktioniert das nur noch mithilfe von Adern.

Der Trick an dem neuen Bioreaktor ist deshalb ein mehrschichtiger Aufbau: In die untere Etage legen die Forscher eine Gewebeschicht, die wie der Versorgungstrakt für die darauf wachsenden Schichten funktioniert. In etwa wie die Zentralheizung im Keller eines Gebäudes, die über Rohre das warme Wasser in sämtliche darüberliegenden Etagen schickt. Auf der Versorgungsschicht soll bald ein viel dickerer Muskelstrang aus Stammzellen wachsen können als bisher.

Zusammen mit Corlife haben die Forscher ein solches Gewebe namens Biovam schon entwickelt und patentiert. Sie gewinnen es aus Schweinedarm, wobei die Blutgefäße erhalten bleiben. Diese müssen an den künstlichen Blutstrom im Bioreaktor angeschlossen und wie in einer echten Operation miteinander vernäht werden. „Auch im Körper muss so ein Stück Herzmuskel sofort richtig an das Blutgefäßsystem angeschlossen werden“, sagt Hilfiker. Sonst drohe ihm genau dasselbe Schicksal wie dem zuvor durch einen Infarkt geschädigten Herzmuskel: Nach vier bis sechs Stunden wäre er tot.

Noch scheint der Aufbau von komplexen Organstrukturen extrem mühsam. Doch schon haben hannoversche Wissenschaftler gemeinsam mit Laserforschern eine neue Idee entwickelt, wie sie mithilfe von Laserstrahlen die Zellen in einer gelartigen Masse genau dorthin leiten, wo sie später im Organ auch sitzen sollen. Der Laserstrahl druckt dabei eine Art dreidimensionalen Lageplan ins Gel. In ersten Tests ließen sich verschiedene Zelltypen so tatsächlich mithilfe des Laserstrahls an ihren Bestimmungsort dirigieren, ohne dabei Schaden zu nehmen.

Organe drucken

Auch wenn es noch futuristisch klingt: Frank Luyten ist überzeugt davon, dass Ersatzorgane eines Tages aus dem Drucker kommen werden. Der Rheumatologe, der an der katholischen Universität Leuven in Belgien lehrt und forscht, ist einer der Pioniere, wenn es um die Zucht von Knorpeln, Knochen und Gelenken geht. So ist er Mitgründer des Startups Tigenix, ein inzwischen börsennotiertes Unternehmen, das sich auf die Zucht von patienteneigenem Knieknorpel spezialisiert hat.

Luyten selbst ist schon in der nächsten Entwicklungsstufe angelangt, der dritten Dimension: Er wird nicht nur zum Ende des Jahres ein neues Unternehmen gründen. Er will auch in zehn Jahren das erste künstliche Gelenk aus dem Labor vorstellen.

Dabei ist der Chef der belgischen Tissue-Engineering-Plattform Prometheus überzeug, dass der Zucht von Geweben und Organen ein gigantischer Entwicklungsschub bevorsteht: Es sei wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Chemiker gerade begriffen hatten, wie chemische Reaktionen ablaufen. „Sie konnten noch nicht gleich Kunststoffbecher oder Plastikstühle machen“, sagt Luyten. Das habe noch ein paar Jahre gedauert.

Die Situation in der Gewebezucht sei absolut vergleichbar, denn die Forschung hätte in den vergangenen 20 Jahren enorm viel Wissen darüber gewonnen, wie die Biologie Organe und Gewebe wachsen lässt, meint der Forscher: „Leider sind wir noch nicht in der Lage, es korrekt nachzumachen, aber wir sind kurz davor.“

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