Stammzellen Wie Forscher Organe züchten wollen

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Zuckender Muskelstrang

Eine Mitarbeiterin der Deutschen Stiftung für Organtransplantation trägt eine spezielle Kühlbox für Spenderorgane. Quelle: dpa

Gruh leitet eine Art Fitnesscenter für Herzmuskeln im neuen Lebao-Forschungsgebäude am Rande des Geländes der Medizinischen Hochschule Hannover. Wenn sie sich am Mikroskop niederlässt, schaltet sie erst einmal die Heizplatte darunter an. Denn die halbfingernagellangen Muskelstränge, die ihr Team hier im Brutschrank aufpäppelt, lieben es warm.

Sobald die Heizplatte 37 Grad Celsius erreicht hat, stellt Gruh die etwa fünf mal fünf Zentimeter großen Glasschälchen mit den Muskelpräparaten unter das Mikroskop. Erst vor wenigen Tagen hatten ihre Forscherkollegen eine Mixtour aus einigen Hunderttausend Stammzellen von Versuchsmäusen mit dem Gerüststoff Kollagen, bestimmten Wachstumsfaktoren und einer Nährlösung in diese Mini-Bioreaktoren geschüttet.

Inzwischen haben sich die Zellen nicht nur stark vermehrt, sondern dank der Wachstumsfaktoren auch zu Herzmuskelzellen ausdifferenziert und zu einem Muskelstrang zusammengetan. Das Ganze ist ebenmäßig organisiert wie ein natürlich gewachsener Muskel. Ganz ähnlich, wie ein echter Skelettmuskel am Knochen festgewachsen ist, klammert sich auch der künstliche Strang an den oben und unten im Bioreaktor dafür vorgesehenen Haltestangen fest. Tatsächlich arbeitet der Zuchtmuskel genau wie ein echter Herzmuskel: Die Zellen ziehen sich im Gleichtakt zusammen und entspannen sich wieder, wie Ruderer auf einem Boot. Ganz ohne Training geht das allerdings nicht. Und deshalb ist seitlich am Bioreaktor eine Art Miniexpander angebracht, der die Zellen wie in einem Fitnessstudio auf ihre spätere Aufgabe vorbereitet. Auf der anderen Seite ist eine Messapparatur angebracht, die feststellt, wie oft der Muskel sich anspannt und wie kräftig er dabei ist.

Kein Weg an ethisch unproblematischen Zellen vorbei

Zwar sind es bisher nur Mäusezellen, mit denen Biochemikerin Gruh arbeitet. Das Erreichte wäre jedoch vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. Damals feierten Forscher es als Sensation, dass sie einzelne embryonale Stammzellen zu Herzmuskelzellen machen konnten, die zuckten. Nun zuckt der ganze Muskelstrang – und Gruh ist zufrieden. Immerhin könnten sich so bestimmte von einem Infarkt geschädigte Bereiche eines Patientenherzens reparieren lassen, wenn sie eines Tages aus menschlichen Zellen gezüchtet würden.

Dabei sind sich Gruh und Hilfiker absolut einig: Für Präparate, die später am Menschen eingesetzt werden, führt kein Weg an den ethisch unproblematischen Zellen vorbei. Sie müssten aus den Zellen eines erwachsenen Menschen gewonnen und anschließend in ein quasi-embryonales Stadium zurückversetzt werden. Aus Embryonen gewonnene Zellen, die der Europäische Gerichtshof gerade mit einem Patent-Bann belegt hat, würden sie nicht benutzen.

Der Weg vom Minimäusemuskel zum Herzen ist noch weit, das wissen auch Gruh, Hilfiker und ihr Chef Haverich. Deshalb arbeiten sie zunächst an einem Zuchtorgan, das vielleicht nicht genauso leistungsstark ist wie das ganze Herz. Es wird auch nur eine Herzkammer haben statt vier wie das Original. Es könnte als eine Art Hilfspumpe in den Bauchraum oder in den Brustkorb implantiert werden. Haverich ist überzeugt: „In fünf Jahren können wir so ein Herz züchten.“

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