Wer in den Sechzigerjahren einen Satelliten in den Orbit schießen wollte, brauchte schon sehr tiefe Taschen: 23.000 Dollar kostete zu Zeiten des Apollo-Mond-Programms allein der Start einer Rakete – pro Kilogramm Nutzlast und inflationsbereinigt. Der technische Fortschritt ließ die Kosten in den folgenden Jahrzehnten zwar sinken – auf rund 16.000 Dollar je Start und Kilo um die Jahrtausendwende. Doch abgesehen von Telekom- und TV-Konsortien, blieb das All für gewöhnliche Unternehmer unerschwinglich.
Das aber ändert sich gerade rasant. SpaceX etwa, die Raumfahrtfirma von Multigründer Elon Musk, will mit Mehrwegraketen bald die Startkosten je Kilogramm auf schlappe 200 bis 300 Dollar senken. Schon heute kostet ein Kilo Fracht in einen niedrigen Erdorbit bei SpaceX nur noch 2600 Dollar.
Der Preisverfall löst eine Kettenreaktion aus: Sinken die Transportkosten, können Firmen leichter Satelliten nachschießen, wenn einer versagt. Dadurch erübrigen sich die bisher üblichen extrem hohen und teuren Qualitätsstandards. Was Satelliten wiederum um ein Vielfaches günstiger macht. Und das wiederum senkt die Versicherungskosten der Starts, die ein erheblicher Kostenfaktor sind. Wie Apples AppStore das Web für immer verändert hat, dürften Billigraketen die Raumfahrt revolutionieren. Geschäftsmodelle werden möglich, an die bisher kaum jemand denkt.
Auch die Satelliten selbst verändern sich, werden kleiner und leichter. Dieser Umbruch lässt reihenweise neue Weltraum-Start-ups entstehen. Um die 1000 junge Unternehmen sollen Branchenexperten zufolge inzwischen an der Kommerzialisierung des Weltalls arbeiten, meist in Bereichen wie Kommunikation und Erdbeobachtung.
Verführerischer Boom lockt Google
Rund zehn Milliarden Dollar privates Kapital seien in der NewSpace genannten Branche investiert, so der Marktforscher NewSpace Global. Entstanden sind so Firmen wie Made in Space, ein US-Start-up, das mittels 3D-Druck Satelliten direkt im Orbit produzieren will. In Russlands Skolkovo-Innovationszentrum nahe Moskau tummeln sich auf engstem Raum 150 junge Weltraumfirmen.
Der Boom lockt auch Internetriesen wie Google. Der Konzern kaufte vor zwei Jahren das Start-up Skybox Imaging, das hochauflösende Aufnahmen aus dem All liefert, mit denen sich etwa der Containerumschlag in Häfen erfassen lässt. Inzwischen ist er auch an SpaceX beteiligt und an O3B, das per Satellit Internetzugänge anbietet. „Die Möglichkeiten, ins All zu kommen, haben sich in den vergangenen fünf Jahren stärker verändert als in der gesamten Raumfahrtära zuvor“, verkündet ein Report der Investmentbank Goldman Sachs.
Die spannendsten Fakten zu Raketen und Satelliten
Rund 60 Millionen Dollar kostet es, einen Satelliten mit einer SpaceX-Rakete ins All zu schießen. Wer für einen großen Satelliten die europäische Ariane 5 bucht, muss rund 137 Millionen Dollar zahlen.
Weil die Startkosten so hoch sind, müssen Satelliten extrem zuverlässig sein. Daher verwenden die Konstrukteure teure, aufwendig getestete Komponenten. Leisten können sich das nur Staaten, Großkonzerne und die staatlich finanzierte Wissenschaft.
Raketen bestehen heute aus einer Unter- und einer Oberstufe - und sind ein Einwegprodukt. Die Unterstufe stürzt ins Meer, die Oberstufe verglüht beim Wiedereintritt in die Atmosphäre.
Rakete und Satellit müssen gegen Unfälle versichert werden. Je teurer beide sind, desto kostspieliger ist auch die Versicherung.
SpaceX kann schon heute die Unterstufe auf der Erde landen. In Zukunft will das Unternehmen diese wiederverwenden, was die Startkosten massiv senken würde - von 60 Millionen Dollar, prognostiziert SpaceX, wenn irgendwann auch die Oberstufe zurückkehrt.
Sinken die Transportkosten, müssen die Satelliten weniger robust und damit weniger teuer sein. Fällt einer aus, schießen die Betreiber einfach einen neuen ins All. Oder gleich mehrere mit einem Flug. Denn dank moderner Elektronik und neuer Antriebe werden Satelliten immer kleiner und leichter.
Im Silicon Valley entsteht unter dem Begriff NewSpace gerade eine neue Branche. Start-ups bauen wenige Kilogramm leichte Billigsatelliten, die Cube-Sats, um etwa Internet in entlegene Regionen zu bringen oder Verkehrsströme zu überwachen. Durch wiederverwendbare Raketen fallen die Startkosten kaum ins Gewicht.
Tausende Minisatelliten im All mit nur kurzer Lebensdauer werden zur Gefahr für andere Satelliten. Um die Menge des Weltraumschrotts zu reduzieren, gibt es freiwillige Verhaltensregeln der Raumfahrtagenturen NASA und ESA, beispielsweise ausgediente Satelliten schnell verglühen zu lassen oder in eine sogenannte Friedhofsumlaufbahn zu befördern.
Zwar bezweifelt der Ex-Astronaut und Münchner Raumfahrttechnik-Professor Ulrich Walter auch nach vier gelungenen Landungen von SpaceX-Raketen, ob es sich lohne, alle Teile zu prüfen und wieder fit für den erneuten Start zu machen – womit Musk bisher noch zögert.
Doch auch aus seiner Sicht steckt die Raumfahrt mitten in einer Revolution. Vor allem der Satellitenbau verändere sich radikal. Mikroelektronik macht Cube-Sats möglich, winzige Satelliten, die zum Teil weniger als zehn Kilogramm wiegen. So lassen sich Hunderte mit einem einzigen Start ins All schießen. Die könnten dann rund um die Uhr jeden Acker auf dem Planeten überwachen. So ließe sich in Verbindung mit Big Data der Lebensmittelhandel besser steuern.
Satellitenhersteller ersetzen teure Bauteile durch Massenware
Neue Antriebskonzepte befeuern die Miniaturisierung. Nur dank eines eigenen Antriebs halten sich Satelliten in ihrer Bahn. Bisher setzten die Konstrukteure auf Düsen, in denen Treibstoff verbrannt wird. Im März aber startete an Bord einer SpaceX-Rakete der Kommunikationssatellit Eutelsat 115 West B.
Das Besondere: Als erster Satellit der Welt besitzt er einen vollelektrischen Antrieb. Xenon-Ionen, geladene Teilchen, werden in einem elektrischen Feld beschleunigt und sorgen für Rückstoß. Die Energie liefern Solarsegel. „Die neue Technik reduziert den Anteil von Antrieb und Treibstoff am Gesamtgewicht von rund 57 Prozent auf 13 Prozent“, rechnet Walter vor. Das senke die Startkosten massiv.
Aber auch die Satelliten selbst werden billiger. Hersteller verzichten zunehmend auf teure Spezialteile. Kostet etwa eine Baumarkt-Schraube wenige Cent, so müssen Satellitenbauer heute mehrere Euro für das weltraumzertifizierte Pendant zahlen. „Dabei stellt etwa die Autoindustrie in der Massenfertigung Bauteile in fast ebenso hoher Qualität her“, sagt Matthias Spott, Chef des Münchner Start-ups eightyLEO. Zur Steuerung der Satelliten genüge es mitunter, zwei GoPro-Kameras statt einer teuren Weltraumkamera zu montieren. Spott plant, Hunderte Satelliten in den Orbit zu schicken, die den kompletten Planeten mit Breitbandinternet versorgen. So will er die Kommunikation mit selbstfahrenden Autos, Traktoren und Mähdreschern in abgelegenen Regionen sicherstellen.
Ariane droht abgehängt zu werden
Der Pragmatismus der jungen Branche zeigt sich auch in der Strategie des „Minimal Viable Product“, die viele Start-ups aus der Webwelt adaptiert haben. Die erste Generation ihrer Satelliten beherrscht nur Basisfunktionen, neue, anspruchsvollere sollen schnell folgen.
Als Transporteur für diese Überflieger bietet sich nicht nur SpaceX an. Auch Amazon-Chef Jeff Bezos setzt mit seiner Blue-Origin-Rakete auf Wiederverwendbarkeit. Die drei Start-ups Vector Space, Firefly Space und Rocket Lab versuchen, mit Miniraketen, den Markt aufzurollen. Ihr Ziel sind Firmen, die wenige kleine Satelliten ins All befördern wollen.
Schneller schlau: Weltraum-Recht
Als erste und grundlegende völkerrechtliche Vereinbarung des Weltraumrechts gilt der Weltraumvertrag, der 1967 unterschrieben wurde und dem heute 107 Staaten zugestimmt haben (Stand: Juli 2017).
Darin sind Grundsätze festgelegt, die die staatlichen Weltraumaktivitäten regeln. So wird etwa das Hoheitsrecht an Teilen des Weltraums, am Mond und an anderen Himmelskörpern ausgeschlossen. Für Forschung und wirtschaftliche Nutzung ist der Weltraum weitestgehend frei. Aber es gibt Beschränkungen. So muss die Erforschung und Nutzung des Weltraums Sache der gesamten Menschheit sein. Geschlossen wurde der Vertrag einst insbesondere aus Furcht vor einem Wettrüsten im All vor dem Hintergrund des Kalten Krieges.
Das Weltraumrettungsübereinkommen wurde kurz nach dem grundlegenden Weltraumvertrag 1968 verabschiedet und regelt die Gewährung von Hilfe an in Not geratene Raumfahrer und zur Rückgabe von in den Weltraum gestarteten Gegenständen.
Mit dem Weltraumhaftungsübereinkommen wurde 1972 die Haftung im Weltraum in Regeln festgelegt. Zur Sicherstellung angemessenen Schadensersatzes für durch Weltraumgegenstände verursachte Schäden gibt es seitdem einen handfesten Rechtssatz – allerdings bezieht dieser sich in erster Linie auf staatliche und nicht auf private Aktivitäten im Weltraum.
Nach dem allgemeinen Weltraumvertrag gilt der Mondvertrag von 1979 als die wichtigste Vereinbarung im Weltraumrecht. Darin wurden spezielle Regelungen über die Nutzung des Monds und der eventuellen Ausbeutung seiner Naturschätze festgehalten. Allerdings ist dieser Vertrag wenig bindend, denn im Vergleich zum Weltraumvertrag wurde der Mondvertrag bislang nur von 18 Staaten ratifiziert.
Stand: August 2023
Denn Hersteller von Cube-Sats haben ein Zeitproblem. Ihre Satelliten reisen heute huckepack bei großen Missionen mit. Sie sind so abhängig von den Zeitplänen anderer, müssen oft Monate auf den Start warten. Verglichen mit SpaceX, sind die Kilopreise bei Vector und Co. mit bis zu mehreren Zehntausend Dollar zwar exorbitant. Das niedrige Satellitengewicht macht sie aber erschwinglich.
Selbst wenn Exastronaut Walter recht behält und Mehrwegraketen für SpaceX zu teuer werden, kann Musk dennoch die Preise weiter senken. Dank Serienfertigung seiner Merlin-Triebwerke hat er die Kosten schon deutlich reduziert. Die Warteschlange derer wächst, die Satelliten via SpaceX starten wollen. Fährt Musk die Produktion hoch, dürften die Stückkosten weiter sinken. Zugleich verschenkt er zurzeit 30 bis 40 Prozent an Nutzlast, weil er Treibstoff für Rückflug und Landung mitführt. Verzichtete er darauf, könnte er die Startpreise fast halbieren. Damit droht die neue Ariane-6-Rakete von Airbus zum Verlierer zu werden, weil sie preislich nicht mithalten kann. Mit ihr wollen die Europäer ihre bisherige Vormachtstellung verteidigen. Doch Musks Vorsprung ist groß: Die neue Ariane soll frühestens 2020 abheben.