Sie sind Wissenschaftler, Ingenieur oder ausgebildeter Testpilot? Sie sind kreativ, Teamerfahren und suchen stets neue Herausforderungen? Sie haben Lust auf längere Dienstreisen? Dann haben wir eine großartige Aufgabe für Sie: Werden Sie Astronaut!
Zugegeben: Dieses Jobangebot habe ich mir gerade ausgedacht. Trotzdem müssen Sie nicht enttäuscht sein, wenn Sie gerade schon drauf und dran waren, Ihren Lebenslauf auf Büttenpapier auszudrucken und nach Cape Canaveral zu schicken. Denn alle paar Jahre werden Sie tatsächlich im Internet die Stellenausschreibung einer Raumfahrtagentur finden, die Ihr persönliches Ticket in den Weltraum werden kann.
Und dann sollten Sie nicht zögern, sondern sich schleunigst bewerben. Zwar steht Ihnen vielleicht einer der anspruchsvollsten Jobs überhaupt bevor: Sie müssen sich von Raketen ins All schießen lassen, monatelang in engen Raumschiffen hausen und dabei die kompliziertesten Experimente durchführen. Aber dafür erhalten Sie eine der vielseitigsten Ausbildungen überhaupt, lernen tolle Menschen kennen - und Ihre nächste Dienstreise führt Sie womöglich auf einen Asteroiden.
“Astronaut ist der beste Beruf der Welt”, sagt der Deutsche Nachwuchsraumfahrer Alexander Gerst, der im Jahr 2014 für die Raumfahrtagentur Esa zur Internationalen Raumstation ISS fliegt. “Man lernt jeden Tag völlig neue Dinge, trifft brillante Wissenschaftler und reist um die Welt.” Klingt auf alle Fälle besser als Schreibtischarbeit. Und am Beispiel von Gerst lernen Sie auch am besten, was Ihnen noch kein Jobberater und kein Weiterbildungscoach je erklärt hat: Wie wird man eigentlich Astronaut?
Wir treffen Gerst im Foyer des Europäischen Astronautenzentrum (EAC) in Köln-Porz - hier sind die Labore, Raumschiffmodelle und Tauchbecken untergebracht, in denen die Europäische Raumfahrtagentur Esa ihre Astronauten ausbildet. Das Gelände, auf dem auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt viele Labore unterhält, ist von hohen Zäunen umgeben, von Kameras überwacht und so groß, dass man am besten mit dem Auto hineinfährt. Hier bereitet sich Gerst seit September 2009 auf den Flug ins All vor.
Kahler Schädel, kräftiger Händedruck, das blaue Polo-Hemd sitzt stramm auf der durchtrainierten Brust: Der Mann sieht fit aus wie ein Stabhochspringer. Doch sein freundlicher Blick macht uns schnell klar: Vor uns steht kein verbissener Einzelkämpfer, sondern ein erfahrener Teamplayer. “Das Raumfahrttraining schweißt zusammen”, sagt er. “Selten versteht man sich mit fremden Leuten so schnell so gut wie hier.”
Schließlich treffen sich hier die Besten der Besten. Und das hat einen einfachen Grund, wie ich bei einem Telefongespräch mit Frank Danesy lerne, dem Leiter der Personalabteilung im European Space Operations Centre (ESOC) der Esa in Darmstadt: “Wenn Sie bei der Esa Astronaut werden wollen”, sagt Danesy, “dann durchlaufen Sie eines der härtesten Auswahlverfahren der Welt.”
Danesy muss es wissen - er hat ab dem Jahr 2008 die dritte Rekrutierungs-Aktion der Raumfahrtagentur geleitet. Und wenn Sie nun glauben, die Esa habe wie in einem Hollywoodfilm Headhunter in Nadelstreifen zu Universitäten und auf Flugzeugträger geschickt, um die besten Talente zu finden - dann liegen Sie falsch. Danesy ging ganz pragmatisch vor: Er schaltete Anzeigen in Zeitungen.
80 Auswahlkriterien in nur einem Fragebogen
Zwischen “Ingenieur gesucht” und “Ausgeschrieben: Assistenzstelle des Geschäftführers” stand also eines Tages auch: “Astronauten gesucht”. Und dieses Inserat las Alexander Gerst: 36 Jahre alt, aufgewachsen im Städtchen Künzelsau bei Heilbronn, von Berufs wegen weder Leistungssportler noch Kampfpilot - sondern Wissenschaftler. Nach Abitur und Zivildienst studierte er Geophysik am renommierten Karlsruher Institut für Technologie.
Vier Mal reiste er für jeweils zwei bis drei Monate zu Expeditionen in die Antarktis. Für seine Doktorarbeit erforschte er dort den südlichsten aktiven Vulkan der Erde - den 3794 Meter hohen Mount Erebus. “Ich bin es gewohnt, an einen lebensfeindlichen Ort zu gehen”, sagt er, “um Dinge zu erforschen, die auch vor unserer Haustür noch Bedeutung haben können.”
Gersts Karriere als Raumfahrer begann wie die eines LKW-Fahrers: Mit einer schriftlichen Bewerbung. Aber da enden schon die Parallelen. Zunächst nämlich musste Gerst beim Arzt eine Flugtauglichkeitsuntersuchung absolvieren - dazu später mehr. Er bestand, scannte den Nachweis ein und schickte ihn an die Esa. Die antwortete, indem sie Gerst einen Zugangscode zu einem elektronischen Fragebogen im Internet schickte.
Und das war dann schon Prüfung Nummer zwei. Dutzende Fragen musste Gerst beantworten: Welche Ausbildung er abgeschlossen (Diplom), welche wissenschaftliche Expeditionen er durchgeführt (Antarktisvulkan) und welche Erfahrungen er mit dem Steuern von Flugzeugen hatte (keine). 80 Auswahlkriterien hatte das Team von Esoc-Personalchef Danesy in dem Fragebogen versteckt.
Als die Bewerbungsfrist einen Monat später auslief, im Mai 2008, waren 8413 elektronische Bewerbungen bei Danesy eingegangen. Das hieß Arbeit: Der Personalchef wählte aus dem Wust an Lebensläufen, Anschreiben und Fragebögen nun alle versierten Naturwissenschaftler, Techniker und Piloten heraus. Geisteswissenschaftler fielen gleich durchs Raster. 918 Bewerber - nur einer von zehn - rutschten es in die nächste Runde.
Sollten Sie es eines Tages so weit schaffen - weil sie Testpilot, umjubelter Nachwuchsforscher oder ein Genie sind oder weil sie Ihre Bewerbung nur einfach sehr, sehr gut gefälscht haben - dann können Sie sich auf etwas gefasst machen. Denn der Bewerbungsmarathon war noch lange nicht vorbei - in Folge zwei von “Europa sucht den Super-Astronauten” mussten die Kandidaten erst einmal nach Köln kommen.
Dort standen Computer bereit, an denen sie die merkwürdigsten Bilder gezeigt bekamen und darin bestimmte logische Zusammenhänge erkennen mussten. “Wir testen damit unter anderem, wie gut Ihr räumliches Vorstellungsvermögen ist”, sagte mir Recruiting-Chef Danesy. In die Schwerelosigkeit, wo einem nichts auf Anhieb sagt, wo oben und unten ist, sollte man besser nicht fliegen, wenn man schon Probleme hat, die linke von der rechten Socke zu unterscheiden.
Astronauten müssen teamfähig sein
Um viele Menschen ist es in dieser Hinsicht offenbar nicht sonderlich gut bestellt. Denn von den 918 Kandidaten blieben nur 192 übrig. Darunter auch Alexander Gerst, dem erst langsam dämmerte, dass die ganze Sache mit dem Weltraumflug vielleicht doch nicht nur ein schöner Traum bleiben musste.
Erneut wurde er eingeladen. Und diesmal hatte die Esa ein ganzes Team an Psychologen auf die potentiellen Astronauten angesetzt. Sie beobachteten sie bei Gruppenaufgaben. Und sie führten lange, tiefschürfende Gespräche. “Astronauten müssen begabte Kommunikatoren sein”, sagt Testleiter Danesy, “sie müssen teamfähig sein und in Konflikten angemessen reagieren.”
Man darf nicht vergessen, dass die Crew auf der ISS sechs Monate lang eingeschlossen ist. Für jeden Drehbuchschreiber wäre das ein vernünftiger Plot für einen Horrorfilm, bei dem spätestens nach den ersten 45 Filmminuten alle ausrasten. Aber eben das darf auf der ISS nicht passieren.
Und darum müssen Astronauten enorm zähe Typen sein, die so schnell nichts aus der Geduld bringt und die auch das ständige Summen der Lüftung auf der Raumstation nicht irgendwann dazu verleitet, eine Luke aufzureißen und sich ins All zu stürzen.
Auf 55 Kandidaten traf das zu - und darunter wieder Gerst. So langsam konnte er sich leise Chancen ausmalen. Aber eine wichtige Prüfung stand erst noch an: Der so genannte astromedizinische Test. Eine ganze Woche lang schwitzten die Bewerber auf dem Ergometer, ließen sich die Herztöne abhören und den Blutdruck messen, spendeten Blut und durchliefen Konditionstests.
“Astronauten müssen keine Hochleistungssportler sein”, sagt Hans Bolender, Leiter der Trainingsabteilung im EAC, “sondern einfach nur fitte und gesunde Leute.”
Alle 55 Kandidaten hatten bereits eine Flugtauglichkeitsprüfung bestanden, bevor sie sich überhaupt beworben hatten - eine Untersuchung, bei der ein speziell ausgebildeter Arzt praktisch den gesamten Körper durchscannt: Das Herz, die Lunge, das Blut, Nieren, die Knochen. Sogar “Leistenbruch, Narbenbruch oder Hodenbruch” müssen die Experten ausschließen, wie es in einem medizinischen Informationsblatt heißt.
Wer einen Flugtauglichkeitstest besteht, ist mit großer Wahrscheinlichkeit kerngesund. Aber was normal ist und was gesund - darüber hat die Esa offenbar eigene Maßstäbe: Nach dem Test durch die Esa-Mediziner blieben von den 55 Kandidaten nur 22 übrig. “Die waren genial”, schwärmt mir Personalchef Delany am Telefon vor.
Monatelange Tests und psychologische Befragungen
Nehmen wir an, Sie hätten das schier Unmögliche geschafft - und sich in diese Elite der 22 durchgekämpft. Es wäre ein großartiger Erfolg und Grund genug, sich für eine ziemlich tolle Type zu halten. Allein: Es würde ihnen sehr wahrscheinlich trotzdem nichts nützen. Denn die Esa suchte nicht 22 neue Astronauten - sondern nur sechs.
Nach Monaten voller Prüfungen, medizinischer Tests und psychologischer Befragungen lag die Wahrscheinlichkeit, genommen zu werden, immer noch bei 1 zu 3,7. Eine ziemlich deprimierende Vorstellung - aber für die Esa der einzige Weg, die Besten der Besten zu finden.
Zum Finale traf Gerst die Topmanager der Europäischen Raumfahrtagentur - darunter altgediente Astronauten und hochdotierte Wissenschaftler. In zwei Runden interviewten sie jeden einzelnen der Kandidaten. Bei der zweiten Runde mussten die Bewerber sogar den Esa-Chef selbst überzeugen, Generaldirektor Jean-Jacques Dordain.
Man sollte meinen, dass es ein dichtes Rennen war. Aber für die Esa-Manager schälten sich doch sechs ganz besondere Kandidaten deutlich heraus. “Obwohl wir am Schluss mit wahnsinnig tollen Leuten gearbeitet haben”, erinnert sich Esoc-Personalchef Danesy, “gab es zu der Spitzengruppe noch einmal einen klaren Unterschied - ja, fast einen Klassensprung.”
Im Frühjahr 2009, an einem Montagabend um neun Uhr, saß Alexander Gerst wie so oft in seinem Karlsruher Büro an seiner Doktorarbeit. “Ich wollte gerade Schwimmen gehen”, erinnert er sich. “Doch da klingelte das Telefon.” Er hatte es geschafft.
“Gerst ist hochintelligent”, schwärmt Danesy, “er kommuniziert mit unglaublicher Leichtigkeit und ganz besonderem Humor. Er hat ein unheimliches Gespür für Technik - ich halte ihn für außerordentlich begabt.”
Nach einem Anruf, wie Gerst ihn im Sommer 2009 bekam, hätten andere vielleicht Freunde und Champagner herbeigerufen. Gerst aber ging wie geplant schwimmen. Einen Astronauten darf so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Und das sollte er, der Vulkanforscher aus Künzelsau, nun werden: Ein echter Astronaut.
Lesen Sie in zwei Wochen den zweiten Teil: Wie Alexander Gerst sich auf den Flug zur Raumstation ISS vorbereitet.