Stevia Warten auf das süße Wunder

Stevia ist kalorienfrei und soll Zucker ersetzen. Noch gibt es erst wenige Produkte mit dem Natursüßstoff, doch eine kleine Hamburger Firma zeigt es Coca Cola & Co.

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Die Fritz-Kola-Gründer Mirco Wiegert (links) und Lorenz Hampl haben das erste Stevia-Produkt in Deutschland auf den Markt gebracht.

Einmal haben Mirco Wiegert und Lorenz Hampl die großen Lebensmittelkonzerne schon abgehängt. Der Coup gelang ihnen in der Nacht zum 13. Dezember, als die beiden Gründer von Fritz-Cola einige tausend Kisten ihrer neuesten Kreation auslieferten: Fritz-Cola-Stevia.

Das braune Getränk ist mit einem Extrakt aus der Stevia-Pflanze gesüßt, die 300-mal süßer als Zucker ist und dabei keine Kalorien hat. Lange war der vermeintliche Wunder-Zucker aus Südamerika hierzulande verboten, doch seit Dezember ist Stevia zugelassen und die beiden Hamburger haben das erste Produkt in Deutschland auf den Markt gebracht.

„Das Rezept war schon lange fertig“, erinnert sich Wiegert. Auch Etiketten und Werbemittel waren schon lange entworfen, denn wie andere Unternehmen hatte Fritz-Cola schon mit einer früheren Zulassung gerechnet. Daher wundert sich der Hamburger auch, dass andere Unternehmen mit Stevia-Produkten noch warten – allen voran Coca Cola.

Denn der Getränkeriese hat das Zulassungsverfahren maßgeblich vorangetrieben. Zusammen mit dem US-Nahrungsmittelriesen Cargill hat Coca Cola 29 Stevia-Patente angemeldet und vertreibt weltweit 30 mit Stevia gesüßte Getränkesorten, insbesondere in den USA wo der Stoff bereits seit 2008 erlaubt ist.

Stevia-Eistee und Hustenbonbons

Deutsche Kunden müssen darauf jedoch noch warten, der Brausehersteller testet derzeit noch, was hierzulande ankommt. „Im Sommer entscheiden wir, was auf den Markt kommt“, heißt es bei Coca Cola.

Auch sonst rollt die vermeintliche Süßstoff-Revolution erst langsam an. „Viele Menschen kennen Stevia noch nicht, es muss daher erst einmal seinen Platz in den Läden finden“, sagt Anja Krumbe vom Süßstoffverband. In den Regalen bei Real, Rewe oder Edeka findet sich inzwischen zumindest Stevia in Pulver- oder Tablettenform neben den künstlichen Zuckerersatzstoffen.

Neue Produkte, die mit Stevia gesüßt sind, werden dagegen erst schrittweise eingeführt. PepsiCo hat gerade einen Lipton Ice Tea Green auf den Markt gebracht, weitere Ankündigungen gab es kürzlich auf der Internationalen Süßwarenmesse in Köln. So wird es demnächst Pullmoll Hustenbonbons auf Stevia-Basis geben und Zentis bietet ab April vier Konfitüren an, die dank Stevia 30 Prozent weniger Kalorien haben. „Wir sind überzeugt davon, dass sich Stevia im Markt für Zuckerersatzstoffe durchsetzen wird“, Zentis-Chef Karl-Heinz Johnen.

Aspartam mit Aromen übertünchen

Eine Stevia-Pflanze auf der Internationalen Süßwarenmesse ISM: Langsam kommen Produkte damit in die Läden. Quelle: dapd

Allerdings stellt Stevia die Unternehmen vor einige Probleme. Allein die richtige Rezeptur zu finden, ist schwierig. Als „hohl“ oder „flach“ beschreibt Wiegert den Geschmack, wenn man Zucker weglasse. „Light-Produkte schmecken ja generell lascher“, sagt der Fritz-Cola-Chef, „da muss sehr viel nachgeholfen werden, damit man mit Geschmack rein bekommt“. Man müsse beispielsweise die Dosierung der geschmacksgebenden Komponenten erhöhen und „Aspartam mit Aromen übertünchen“.

Doch für die Mischungen gelten genaue Grenzen. „Die gesetzlichen Vorgaben sind eine Herausforderung“, sagt Matthias Meyer, Manager bei NP Sweet einem Joint-Venture der Nordzucker AG und dem Stevia-Hersteller PureCircle. Zum einen gibt es relativ strikte Grenzwerte für den Einsatz von Stevia, zum anderen gelten noch andere Einschränkungen. So schreibt die Süßmittelverordnung beispielsweise vor, dass bei der Nutzung von Stevia oder anderen künstlichen Süßstoffen der Kaloriengehalt um mindestens 30 Prozent gegenüber der Zuckervariante reduziert werden muss.

„Das ist bei vielen Getränken noch relativ einfach“, sagt Meyer. Bei weniger stark gesüßten Produkten, wie Joghurts, reiche jedoch der Zuckeraustausch nicht. Da müsse man zusätzlich den Fettgehalt verändern, denn Fett hat doppelt so viele Kalorien wie Zucker. Doch das ändert wiederum Geschmack und Konsistenz, so dass die Stärke- oder Milcheiweißanteile modifiziert werden müssen.

Stevia pur ist kaum genießbar

Und die extreme Süße des Honigkrauts macht es generell schon schwierig, die richtige Mengenmischung zu finden. „Wenn man einen Zuckerberg von 300 Gramm durch ein Gramm Stevia ersetzt, fehlt einfach das Volumen“, sagt Meyer. Das ist insbesondere ein Problem, wenn man mit Stevia backen will. Zudem ist die Dosierung von Stevia schwierig. Die jetzt erhältlichen Streusüßen bestehen daher zu mehr als 95 Prozent aus Füllstoffen, wie Maltodextrin.

NP Sweet arbeitet zudem an Kombinationen aus Stevia und Zucker. „Das ist auch geschmacklich interessant, denn dadurch kann man den Nebengeschmack minimieren“, sagt Kurt Rosenplenter, Manager im Bereich Forschung & Entwicklung bei Nordzucker. Denn das größte Hindernis für Stevia liegt in diesem bitteren Eigengeschmack.

Das mussten auch die Macher der Fritz-Cola feststellen. „Wenn man nur Stevia nehmen würde, wäre das Getränk kaum genießbar“, sagt Wiegert, „da kommt der starke lakritzige Eigengeschmack zu sehr durch.“

Fritz-Cola entschied sich daher für eine Mischung aus Zucker und Stevia. Doch davon fühlten sich einige Kunden getäuscht. Nachdem es wütende E-Mails und Beschwerden bei Facebook gegeben hatte, klebte das Unternehmen zur Klarstellung Sticker auf seine Werbetafeln: „Neue Sorte 50% weniger Zucker, 100% Geschmack“.

Handicap für die Hersteller

Coca Cola hat die Stevia-Zulassung in Europa vorangetrieben, doch Produkte damit kommen nicht vor dem Sommer. Quelle: dapd

Kalorienarm statt komplett kalorienfrei – auf diese Formel setzen derzeit viele Hersteller. Die entsprechenden Produkte sind gefragt, so legte der Pro-Kopf-Verbrauch von Light-Limonaden im Vorjahr um fast 30 Prozent zu.

Ob Stevia wirklich das Zeug zum „Zucker des 21.Jahrhunderts“ hat, muss sich zeigen. Vor allem der Eigengeschmack dürfte viele Leute abschrecken. Forscher experimentieren daher intensiv daran, diesen zu reduzieren. „Stevia ist im Vergleich zur Zuckerrübe sehr komplex“, erklärt Rosenplenter. Denn während in Zucker nur Saccharose für die Süße verantwortlich ist, enthält die Steviapflanze neun verschiedene Steviolglycoside. Manche davon sind süßer, andere weniger, manche bitter, andere weniger. Und natürlich ist ausgerechnet die am besten schmeckende Kombination in der geringsten Konzentration vorhanden.

Bis es gelingt, Stevia die Bitterkeit zu nehmen, ist es vor allem eine Alternative zu künstlichen Süßstoffen. „Stevia könnte langfristig Aspartam ersetzen“, sagt Wiegert.

Erdbeermarmelade gibt es nicht

Ein Handicap bleibt dabei für die Hersteller: So dürfen die neuen Zentis-Fruchtaufstriche auf keinen Fall Konfitüre heißen, denn die Konfitürenverordnung schreibt Zucker vor.

Auch der Begriff Marmelade ist daher tabu. Nach den Definitionen der „EU-Richtlinie über Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Maronenkrem“ müssen Marmeladen zudem aus Zitrusfrüchten hergestellt werden. Das ist ein Zugeständnis an die Engländer, wie Meyer genau weiß, denn sein Vater hat 40 Jahre in der Konfitürenindustrie gearbeitet. So wurden schon seine Schulfreunde früher belehrt: „Erdbeermarmelade gibt es gar nicht“. Weder mit Stevia noch mit Zucker.

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