Strenge Zulassungsregeln Europa droht, bei Medizintechnik von USA abgehängt zu werden

Europa droht, bei Medizintechnik von USA abgehängt zu werden Quelle: dpa

Die EU verschärft die Zulassung von Medizinprodukten, die USA vereinfachen diese im gleichen Zug. Europa entsteht so ein erheblicher Wettbewerbsnachteil: Die hohen Zulassungshürden verschrecken Unternehmen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Intelligente Algorithmen revolutionieren weltweit die Medizin. Sie helfen Ärzten, zielsicher Krankheiten aufzuspüren. Den Patienten ersparen sie nicht selten wochenlanges Warten auf Laborergebnisse. Doch während die USA die Zulassung von innovativen Medizinprodukten vereinfachen, findet in Europa die entgegengesetzte Entwicklung statt.

Die EU verschärft die Zulassung – und das könnte zur Folge haben, dass Start-ups und Mittelständler es auf dem alten Kontinent schwerer haben, Geräte einzuführen, die etwa mit Künstlicher Intelligenz Krankheiten diagnostizieren. So wird es in Zukunft weniger Stellen wie den TÜV oder die Dekra geben, die Medizinprodukte zulassen dürfen. Zugleich sollen diese Stellen nach der 2020 in Kraft tretenden Medizinprodukte-Verordnung strenger prüfen. Viele Medizin-Start-ups fürchten nun, dass es zu langen Wartezeiten kommen wird, die sie sich nicht leisten können.

Um diese so unterschiedliche Entwicklung diesseits und jenseits des Atlantiks zu verstehen, hilft ein Rückblick um einige Jahre. In den USA stand die nationale Gesundheitsbehörde FDA, für die Zulassung von Medizinprodukten zuständig, zuletzt unter Druck: Mehrere Studienautoren warfen der Behörde vor, zu langsam bei den Prüfungen vorzugehen. Im Februar 2011 veröffentlichte etwa die Unternehmensberatung Boston Consulting eine Untersuchung, der zufolge die Zahl der Rückrufe von Medizinprodukten zwischen 2005 und 2009 in Europa und den USA weitgehend identisch wahr, europäische Stellen aber im Schnitt fast vier Jahre schneller zuließen.

In Europa erschütterte ungefähr zur gleichen Zeit jedoch ein Skandal um Brustimplantate Öffentlichkeit und Politik. Der französische Hersteller Poly Implant Prothèse (PIP) hatte statt medizinischem Silikon billiges Industriesilikon verwendet und trotzdem eine Zulassung bekommen. Betroffen waren fast eine halbe Million Frauen. Allein in Frankreich und der Bundesrepublik empfahlen die Behörden rund 40.000 Patientinnen, die reißanfälligen Implantate wieder entfernen zu lassen.
Der Skandal, in den auch der TÜV Rheinland als Zulassungsstelle verwickelt war, lieferte der FDA zwar eine Gelegenheit, die heimische Kritik zu kontern. Die US-Behörde konnte sich als zuverlässiger als die EU-Stellen präsentieren. Im Mai 2012 veröffentlichte sie eine Studie mit dem Titel „Unsichere und ineffektive in der EU zugelassene Produkte, die in den USA nicht zugelassen wurden“. Das 16-seitige Pamphlet führt ein Dutzend Medizinprodukte auf, die trotz Problemen eine Zulassung in der EU erhalten hatten. „Das war definitiv ein politisches, kein wissenschaftliches Papier“, sagt ein FDA-Kenner in den USA.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%