Mit üblichen Antibiotika ist längst nicht mehr jedes Bakterium zu bekämpfen: Multiresistente Keime machen es zunehmend schwierig, Infektionen zu behandeln. Es braucht deshalb neue Wirkstoffe – deren Entwicklung womöglich Künstliche Intelligenz (KI) beschleunigt: Wissenschaftler der kanadischen McMaster University und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA haben mit Unterstützung von KI ein neues Antibiotikum identifiziert, das gegen einen besonders gefährlichen und widerstandsfähigen Krankenhauskeim zu wirken scheint.
Statt auf sogenannte Breitbandantibiotika, die eine Vielzahl von Bakterien bekämpfen, setzten die Forscher bei der Suche nach Wirkstoffen gegen den multiresistenten Keim Acinetobacter baumannii, der unter anderem Lungenentzündungen, Hirnhautentzündungen sowie Wundinfektionen auslösen kann, auf eine sehr gezielte Therapie. Sie suchten mithilfe eines KI-Systems spezielle Substanzen und Moleküle, die eine präzise Bekämpfung des problematischen Keims ermöglichen.
Der Einsatz der KI bei der Suche nach neuen Antibiotika ist nur der jüngste Beleg für den Trend der sogenannten In-Silico-Forschung. Dabei setzen Mediziner in Forschung und Therapie immer stärker auf den Einsatz von KI und Simulationstechnologien, um Patienten effizienter und auch kostengünstiger zu behandeln oder um fokussierter und schneller neue Therapien oder Wirkstoffe zu finden.
Im Fall des Acinetobacter baumannii trainierte das Forschungsteam eine von ihm entwickelte, lernfähige Software mit Laborergebnissen, bei denen das Bakterium rund 7500 verschiedenen chemischen Substanzen ausgesetzt worden war. Aus den antibakteriellen Molekülen, die das Bakterienwachstum gehemmt hatten, filterte die Software anschließend rund 240 Substanzen aus, mit denen die Forscher dann klassische Tests an Bakterienkulturen durchführten. Unter diesen realen Probanden fand sich schließlich eine hohe Wirksamkeit versprechende Substanz gegen den Keim Acinetobacter baumannii.
Erste Tierstudien an der Abaucin genannten Substanz laufen nach Angaben der Forscher bereits. Bislang fehlen allerdings noch ausreichend Daten, um beurteilen zu können, wie zuverlässig der Stoff bei menschlichen Patienten wirkt oder welche Nebenwirkungen er auslösen könnte.
Künstliche Intelligenz – Geschichte einer Idee
In den Fünfzigerjahren prägte ein Forschungspapier den Begriff künstliche Intelligenz (KI) erstmalig. KI sollte „die Art von Problemen lösen, wie sie bislang nur für Menschen vorgesehen sind“. Bis heute ist der Begriff jedoch umstritten. Offen ist, was Intelligenz genau umfasst – und inwiefern es dafür eines eigenen Bewusstseins bedarf.
Bei dieser Spielart der künstlichen Intelligenz erzeugt das System aus großen Datenmengen Wissen – indem es etwa anhand von Fotos selbst erlernt, wie eine Katze aussieht. Einige Experten sehen in dieser Mustererkennung jedoch noch kein intelligentes Verhalten.
Für viele Anwendungen, darunter die Bilderkennung, brachten die Methoden des Deep Learning den Durchbruch. Dabei werden die neuronalen Netze des Gehirns mit ihren vielen Knotenpunkten digital nachempfunden.
Kommerzialisiert haben insbesondere amerikanische IT-Konzerne wie Google, Microsoft, IBM oder Amazon KI-Anwendungen. Sie finden sich etwa in der Spracherkennung in Smartphones, selbstfahrenden Autos oder als Chatbots, die mit Kunden auf Shopping-Seiten kommunizieren.
Dennoch ist etwa James Collins, Forscher am MIT, überzeugt, dass der gewählte Ansatz die Forschung an neuen Medikamenten nachhaltig verändern wird: „KI kann unsere Suche nach neuartigen Antibiotika erheblich beschleunigen und erweitern.“
Und das könnte erst der Anfang sein. Denn grundsätzlich ist der Einsatz von KI und Simulationssoftware nicht auf die Suche nach Wirkstoffen und neuen Antibiotika gegen Krankenhauskeime begrenzt. Forscher an der Freien Universität Berlin oder etwa beim Aachener Pharmahersteller Grünenthal nutzen bereits jetzt maschinelles Lernen und In-Silico-Simulationen, um neue Wirkstoffe zur Schmerztherapie zu identifizieren.
Der Vorteil der neuen Verfahren sei immens, versichert Christoph Stein, Experte für Schmerzforschung und -therapie sowie Professor an der Freien Universität in Berlin: „Wo eine Forschungsaufgabe vor zehn Jahren noch 10.000 Tests mit chemisch synthetisierten Substanzen ausgelöst hätte, haben wir heute vielleicht noch eine Handvoll relevanter Kandidaten.“ Weil sich schon in der Simulation ein Großteil möglicher Wirkstoffkandidaten als untauglich ausschließen lasse, seien In-Silico-Tests drastisch schneller als klassische Verfahren.
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