Janácek, Wagner, Borges, Williams - sie alle sind sich einig darin, dass Unsterblichkeit kein Segen, sondern ein Fluch ist: Weil das Leben ohne den Tod formlos ist und zu keinem Abschluss kommt. Weil der Unsterbliche herumirrt, in keinen Hafen einlaufen, nicht auf Erlösung hoffen darf. Weil sein Leben nirgends einmündet, bloß eine endlose Kette von Stunden, Tagen, Wochen, Monaten, Jahren und Jahrhunderten darstellt - ein Leben, das von einer grundlegenden Lebensmüdigkeit geprägt sein muss.
Es ist daher merkwürdig, dass die Versprechen mancher Biologen, den Prozess der Alterung („Seneszenz“) alsbald verstehen, verzögern und möglicherweise auch ausschalten zu können, als Verheißung begriffen werden. Offenbar macht es einen Unterschied, ob man über Unsterblichkeit oder über verlängerte Lebensspannen nachdenkt.
Tatsache ist: Die Lebenserwartung einer deutschen Frau hat sich in den vergangenen 200 Jahren fast verdreifacht. Ein Mädchen, das 1830 auf die Welt kam, ist im Durchschnitt nach 35 Jahren gestorben; ein Mädchen, das heute auf die Welt kommt, hat gute Chancen, 100 Jahre alt zu werden. Und Tatsache ist auch, dass die Aussicht auf eine deutlich verlängerte Spanne des Lebens von den meisten Menschen begrüßt wird - als Chance, mehr Zeit für all das zu haben, womit sie sich in ihrem Leben beschäftigen wollen.
Die entscheidende Frage wäre demnach nicht, ob mehr Lebenszeit, sondern wie viel mehr Lebenszeit wünschbar wäre. Wenn aber ein 200, 300 Jahre langes Menschenleben dereinst denkbar wäre - wäre ein solches Leben dann nicht schon so weit dem Tod entrückt, dass er seine existenzielle Bedeutung fürs Leben im Sinne von Heidegger notwendig einbüssen müsste - und umgekehrt: Wäre ein solches Leben nicht schon so nah dran an der Unsterblichkeit, dass sie am Ende (sic!) nicht mehr als Fluch, sondern als Segen begriffen werden könnte? Und wenn ja: Von welcher Art müsste eine Unsterblichkeit ein, die uns nicht zur Last fällt?
Zum Buch
Marianne Kreuels, "Über den vermeintlichen Wert der Sterblichkeit", Suhrkamp, 15 Euro
Die Philosophin Marianne Kreuels ist diesen Fragen in einem soeben erschienenen Buch nachgegangen. Darin versucht sie, die konstitutive Bedeutung des Todes als Grundtatsache unseres Lebens zu relativieren und den Nachweis zu führen, dass ein langes, potenziell nicht endendes Leben menschlich und wünschenswert sein kann - jedenfalls „attraktiver als ein sterbliches Leben, in dem die Person die Begrenztheit ihrer Lebenszeit sowie die Gewissheit ihres zukünftigen Todes bewältigen muss“. Das gelingt ihr teilweise - und teilweise nicht. Was ihr aber auf jeden Fall gelingt, ist die Sortierung der Motive und Argumente, die für und wider den Tod als einer elementaren Bedrohungskraft sprechen, die die Wahrnehmung unseres Lebens fundiert.