Teure Forschung Milliarden-Fonds für neue Antibiotika zeigt Non-Profit-Dilemma der Konzerne

In den vergangenen Jahren haben sich die Pharmakonzerne immer mehr aus der Antibiotika-Forschung zurückgezogen. Kleinere Firmen konnten die teuren Studien nicht bezahlen. Quelle: dpa

Multiresistente Keime werden zu einer immer größeren Gefahr. Nun richten Pharmabosse, Minister und die WHO einen Milliarden-Fonds ein, um neue Antibiotika zu entwickeln. Doch ist das wirklich die Lösung?

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In kleinen Videoclips erklären die Konzernchefs von GSK, Novartis, Roche und Johnson & Johnson, wie stolz sie seien, Teil dieser Initiative zu sein. Und der Chef der Europäischen Investmentbank ergänzt, dass dieser Fonds das Zeug dazu habe, die „Dinge zu wenden“: Eine Milliarde US-Dollar hat die per Videokonferenz zusammengeschaltete Allianz aus Pharmakonzernen und Politikern am Donnerstag bereitgestellt, um die Suche nach neuen Medikamenten gegen antimikrobielle Resistenzen (AMR) zu finanzieren. Bis 2030 sollen damit „zwei bis vier neue Antibiotika“ entwickelt werden.

Es ist höchste Zeit. Die WHO warnte bereits 2014 vor einer weltweiten Bedrohung durch Antibiotikaresistenzen. Und es gibt immer mehr davon. Mitten in der Coronapandemie diskutiert die ganze Welt zwar vor allem über Viren. Bakterien aber, gegen die die gängigen Antibiotika immer seltener wirken, sind ein ebenso drängendes Problem: 700.000 Menschen sterben jährlich an AMR. Der internationale Pharmaverband IFPMA geht davon aus, dass der unkontrollierte Anstieg dieser Resistenzen langfristig größere Auswirkungen auf das öffentliche Gesundheitssystem und die Wirtschaft haben könnte als Covid-19.

Der Fonds ist vor allem nötig, weil sich die Großkonzerne weitestgehend aus der Antibiotika-Entwicklung zurückgezogen haben. Die Medikamente sind ihnen nicht lukrativ genug. Schließlich ist es gerade der Sinn der Sache, möglichst selten und wenig Antibiotika zu verabreichen. Das bremst den Absatz, ein Non-Profit-Dilemma. Anstatt sich selbst die Mühe zu machen, wollen die führenden Pharmakonzerne nun kleine Firmen fördern, die sonst zu wenig Geld haben, um die teuren Studien zu finanzieren. Rendite wollen sie angeblich nicht damit erzielen.

Der Fonds sei „ein klassisches Investment-Vehikel in öffentlich-privater Partnerschaft“, sagt Elmar Nimmesgern vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung und Chef des Global AMR R&D Hub in Berlin, der Informationen über Antibiotika bereitstellt und Forschungsergebnisse zusammenfasst. „Die öffentliche Hand deckt die Hochrisikoteile der Kredite ab und die Pharmafirmen zahlen Geld in den Fonds ein.“ Einen genauen Plan, welche Firmen mit Geld bedacht werden, gibt es noch nicht. Die Frage, wer genau darüber entscheidet, wie viel Geld jeweils ausgeschüttet wird, bleibt unbeantwortet.

Klar wird: Es ist Geld für neue Medikamente, nicht für die Beseitigung der Ursachen der Resistenzen. Diese häufen sich durch Antibiotika, die in die Umwelt geraten. Vor allem in Indien und China, dort, wo die Medikamente produziert werden, sind Gewässer oft stark durch Rückstände belastet, wie Studien belegen. In Deutschland verseucht die mit Antibiotika aufrecht erhaltene Massentierhaltung die Böden. Die Rückstände gelangen irgendwann in den menschlichen Körper, der selbst resistent wird für bestimmte Antibiotika. Doch diesen Problemen widmeten sich die vielen Politiker und Industrievertreter auf der Digital-Tagung nicht.

Laut einem aktuellen Report der unabhängigen Non-Profit-Organisation Access to Medicine veröffentlichen keine der 17 größten Antibiotikaproduzenten Informationen darüber, wo sie diese Medikamente fertigen und wie stark Rückstände aus den Produktionsstätten ins Abwasser gelangen.

Das Problem bei der Herstellung, sagt Nimmesgern, sei, „dass das meist sehr günstige Medikamente sind“. Bei öffentlichen Ausschreibungen gewinne derjenige, der den „billigsten Preis“ biete. Umweltstandards würden darin selten gefordert. Der niedrige Preis und die damit einhergehende Unzuverlässigkeit mancher Hersteller führen „zu dem Risiko, dass die Produktionskette unterbrochen wird. Es gibt keine Uniklinik in Europa, die nicht Probleme hätte, gewisse Antibiotika zeitig zu beschaffen“, sagt Nimmesgern.

Der Infektionsforscher fordert internationale Standards zu Rückständen in Abwässern. Dabei ist es bislang schon schwierig, überhaupt nachzuvollziehen, welche Produkte wo hergestellt werden. Ein Sprecher von Teva, dem Ratiopharm-Mutterkonzern, beantwortet Fragen zu der Anzahl aktuell auf dem Markt befindlicher Präparate und deren Produktionsorten nicht, verweist lediglich auf die „AMR Industry Alliance“. Gegründet 2017, beaufsichtigt die Allianz – auf freiwilliger Basis – den Fortschritt der Unternehmen im Kampf gegen AMR. Joakim Larsson, Professor an der Universität Göteborg, kritisiert jedoch, dass die Proben aus dem Gewässer entnommen würden, in die die Abwässer fließen – und nicht aus dem Abwasser selbst. Es reiche nicht aus, dass die Firmen freiwillige Angaben machten, sagt auch der Biomediziner.

Teva hält dagegen, dass nur zwei Prozent der weltweiten Verunreinigung durch die Produktion verursacht würden. Hexal immerhin teilt mit, dass das Unternehmen etwa „50 verschiedene Antibiotika im Portfolio“ habe und viele davon „vom Wirkstoff bis hin zur Fertigform“ aus dem eigenen Werk in Tirol stammten. Der Stada-Konzern aus Bad Vilbel verweist auf die Politik: „Die Ursachen für die Produktionsbedingungen“ lägen „auf global-politischer Ebene“, sagt eine Sprecherin. Es gebe immer weniger Wirkstoffhersteller in der EU – und das bringe eben auch die Risiken mit sich, „die mit Produktionsstätten außerhalb der EU verbunden sein können“.

Indien hat bereits Regeln geschaffen: Das Land hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass neue Grenzwerte für die Abwässer vorsieht. Andere Länder könnten folgen. Doch vermutlich bräuchte es dazu weitaus schwierigerer Verhandlungen als die für einen Milliarden-Fonds ohne konkrete Vorhaben.

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