
Die Mehrheit war überwältigend: 96 Prozent der Abgeordneten des Europaparlaments stimmten für die neue EU-Verordnung zu klinischen Studien. Sie soll für mehr Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt sorgen und Medikamente mit gefährlichen Risiken und Nebenwirkungen schneller ausfindig machen. Doch bis die ersten Erfolge sichtbar werden, wird noch viel Zeit vergehen.
Bislang galt: Pharmakonzerne müssen lediglich der Europäischen Medizinagentur (EMA) alle relevanten Studien vorlegen. Unabhängige Forscher, die die Medikamente auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen prüfen, können nur bei den Firmen anfragen - meist aber ohne Erfolg.
Dabei könnten sich Gesundheitssysteme weltweit viel Geld sparen, wenn Nebenwirkungen früher bekannt würden.
18 Milliarden Dollar für umstrittenes Medikament
Zuletzt hatte der Medikamentenhersteller Roche Wissenschaftlern der Cochrane Collaboration vier Jahre lang umfangreiche Daten zu seinem Grippemittel Tamiflu verweigert. Laut dem Forschernetzwerk waren von rund 120 klinischen Studien lediglich zwei publiziert worden – zu wenig für ein aussagekräftiges Gutachten.
2009 hatten rund 100 Regierungen Tamiflu für mindestens 20 Prozent ihrer Bevölkerung eingelagert. Es sollte gegen die Schweinegrippe eingesetzt werden, bis ein Impfstoff entwickelt sei. Die USA überwiesen laut Experten rund 3,3 Milliarden US-Dollar an Hersteller Roche, die britische Regierung zahlte rund eine halbe Milliarde Euro und Deutschland rund 360 Millionen Euro. Weltweit schätzen Experten den Umsatz, den Roche mit Tamiflu gemacht hat, auf 18 Milliarden US-Dollar.
Ob sich Tamiflu für die Regierungen gelohnt hat, ist jedoch laut dem Gutachten der Cochrane Collaboration zweifelhaft. „Die Wirkung wurde überschätzt und die Nebenwirkungen heruntergespielt“, sagt Fiona Godlee, Chefredakteurin des British Medical Journals, das das Gutachten veröffentlichte.





Auch deutsche Behörden betroffen
Das hätte man auch früher wissen können. Die Studienreports lagen der EMA vor, sowohl veröffentlichte als auch unveröffentlichte. Forscher oder gar Patienten bekamen diese Daten hingegen nicht zu sehen. Der Grund: „Geschäftsgeheimnisse“.
Dass Konzerne aber gleichzeitig - wie Forscher an Universitäten auch - Positivmeldungen aus der hauseigenen Forschung in Fachzeitschriften veröffentlichen, schien lange keinen Widerspruch darzustellen. Dieses selektive Publizieren ist unter Wissenschaftlern als „Publication Bias“ bekannt.
Selbst Behörden wie der Gemeinsame Bundesausschuss, der mit den Herstellern die Medikamentenpreise in Deutschland aushandelt, sind davon betroffen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) forderte in dessen Auftrag nichtveröffentlichte Daten bei dem US-Konzern Pfizer zu dem Antidepressivum Reboxetin an. Doch statt Informationen erhielten die Wissenschaftler stets die gleiche Liste bereits veröffentlichter Studien zugesandt. „Mit der publizierten Literatur muss man gar nicht erst anfangen“, sagt Beate Wieseler, Leiterin der Arzneimittelbewertung im IQWiG.