Ungewöhnliches Flugobjekt Lilium baut Fabrik für Flugtaxis bei München

Das Flugtaxi-Start-up Lilium baut eine neue Fabrik in Deutschland. Quelle: Lilium

Der Elektrojet der Gründer hat mehr als hundert Testflüge absolviert. Nun stellt Lilium hunderte Fachkräfte ein und will 2025 die Massenproduktion starten. Wie realistisch sind die Pläne?

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Südwestlich von München, auf einer Landstraße am Rande des Städtchens Weßling, konnten Autofahrer neulich ein ungewöhnliches Flugobjekt erspähen: Kaum größer als ein Sportwagen, von der äußerlichen Form entfernt verwandt mit einem Schwertwal. Mal stand es in der Luft wie ein Kolibri, mal zog es Kreise wie ein Adler.

Es war der Prototyp einer völlig neuen Flugzeugklasse – ein Flugtaxi, das senkrecht abhebt, entwickelt vom Münchner Start-up Lilium. Das meldet jetzt einen Fortschritt: Mehr als hundert unbemannte Flug- und Bodentests habe der Prototyp absolviert – und dabei den Übergang vom Senkrecht- zum Gleitflug reibungslos geschafft. Erstmals sei der Jet zudem schneller als 100 Kilometer pro Stunde geflogen.

Wohl nicht ganz zufällig kommt die Erfolgsmeldung gerade am Dienstagmorgen. Denn in Singapur hat der deutsche Lilium-Konkurrent Volocopter die Presse zu einer Premiere eingeladen: Erstmals zeigt das Start-up einen Start- und Landebahnhof für sein Flugtaxi und lässt sein Lufttaxi dabei für die Kameras auch gleich über einer nahegelegenen Meeresbucht abheben.

Damit geht das Rennen der Flugtaxi-Start-ups in die nächste und wohl entscheidende Runde. Mehr als 70 Unternehmen weltweit arbeiten derzeit an solchen neuen Fluggeräten. Sie haben meist Platz für höchstens eine Handvoll Passagiere. Sie fliegen elektrisch, was allein schon eine neu Ära in der Luftfahrt bedeutet. Und sie heben senkrecht ab, um auch inmitten von Metropolen Passagiere mit an Bord zunehmen.

Schon heute ist absehbar, dass nur wenige Unternehmen das Rennen überleben werden. Technologisch haben die beiden deutschen Start-ups dabei besonders gute Chancen. Volocopter hat schon in Dubai Testflüge durchgeführt und ließ seinen Flieger im September zur Show in Stuttgart abheben. Lilium wiederum hat nicht nur einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt, sondern macht nun auch bei der Kommerzialisierung Tempo: Am Hauptsitz in Weßling hat Lilium ein erstes Werk mit 3000 Quadratmetern Fläche eingeweiht. Nebenan soll bald eine zweite, deutlich größere Fabrik folgen. Die Massenproduktion soll 2025 starten – dann sollen hunderte Lilium-Flieger pro Jahr das Werk verlassen.

Dass dann auch schon Flugtaxis im Betrieb abheben, halten Experten durchaus für realistisch – sofern ein Pilot an Bord ist. „Es sieht vielversprechend aus, dass die Betreiber ihre Flugtaxis vor 2025 zertifiziert bekommen“, sagt Kay Plötner, Luftfahrtexperte beim Münchner Forschungszentrum Bauhaus Luftfahrt. Die zuständige europäische Behörde EASA habe dazu unlängst die ersten Schritte unternommen.

Mit entsprechender Zulassung könnten Lufttaxis dann ähnlich betrieben werden wie heute Helikopter. Allerdings, schätzt Plötner, wird das Flugticket auch ähnlich viel kosten. Zwar seien die Wartungskosten des Elektroantriebs geringer und Strom sei preiswerter als Kerosin. Dafür seien die Batterien der Elektroflieger ein zusätzlicher Kostenpunkt. Einen Markt gebe es dennoch: „Es gibt genug Menschen auf der Welt, für die die Kosten eines Helikopterfluges keine Rolle spielen“, sagt Plötner, „wenn sie damit Zeit einsparen können.“

Doch das Versprechen der Flugtaxi-Gründer geht weiter: Fliegen soll eines Tages so billig werden wie Autofahren. Preiswerter könnte der Betrieb werden, wenn die Produktionskosten der Flugtaxis sinken. Das will Lilium mit seinem Werk bei München erreichen. Ziel sei es, an die Stückzahlen der Autobranche heranzukommen – und dabei das Qualitätsniveau der Luftfahrtbranche zu sichern, sagt Daniel Wiegand, Co-Gründer von Lilium.

Dafür suchen die Bayern jetzt massiv Fachkräfte: Bis zu 500 neue Stellen sollen in den nächsten fünf Jahren geschaffen werden. Aktuell beschäftigt Lilium 350 Mitarbeiter. Für den Aufbau der Serienproduktion konnte das Start-up nun einen erfahrenen Luftfahrtmanager gewinnen: Yves Remsi, bisher bei Airbus in verschiedenen Leitungsfunktionen, wird das Flugzeugprogramm und die strategische Beschaffung leiten.

Selbst wenn die Fluggeräte dann preiswerter werden, brauchen sie immer noch einen sinnvollen Einsatzzweck. Plötner hält ihren Einsatz vor allem Regionen mit geringer Infrastruktur für sinnvoll, etwa in Gebirgen oder Inseln. „Luftmobilität ist in diesen Bereichen unschlagbar.“

Liliums Stärke könnte die große Reichweite des Jets sein. Angeblich soll er 300 Kilometer weit fliegen bei Tempo 300. Dazu hebt er ab wie ein Helikopter und gleitet dann effizient weiter wie ein Flugzeug, indem er die Propeller um 90 Grad schwenkt. „Im Flugtaxi von München nach Zürich oder Stuttgart – das ist ein reizvolles Konzept“, sagt Luftfahrtexperte Plötner.

Das Fernziel der Start-ups ist der vollautomatisch Flug – ohne die Kosten für einen Piloten. Mit Sensoren sollen die Flugtaxis Hindernisse erkennen und automatisch starten und landen. Das erfordert ein ausgefeiltes Kommunikations- und Flugverkehrsmanagement. Der chinesische Anbieter Ehang etwa hat dazu vor wenigen Tagen eine Kooperation mit dem Mobilfunkanbieter Vodafone verkündet, der ein 5G-Netz für Flugtaxis bereitstellen will.

Starke Partner dürften eine enorme Rolle spielen für Lilium und Co. Denn Flugtaxis herzustellen, sie fliegen, die Bahnhöfe und den Luftraum managen – das alles unter einem Dach zu vereinbaren, wäre sehr ambitioniert. Volocopter hat für den Bau und Betrieb seiner Landeplätze, Voloports genannt, eine Kooperation mit dem britischen Unternehmen Skyports geschlossen.

In Singapur präsentierten die beiden Unternehmen am Dienstag erstmals einen Voloport der Öffentlichkeit. In dem einstöckigen Gebäude gibt es eine Wartelounge mit Sesseln für die Passagiere und einen Bereich zum Einsteigen in das Flugtaxi, ähnlich wie in einer modernen Seilbahnstation. Der Flieger soll dann aus dem Gebäude herausrollen auf die eigentliche Startplattform. Solche Taxi-Stationen sollen sich laut Volocopter auf Hausdächern, an Bahnhöfen oder Parkplätzen aufbauen lassen.



Dazu aber müssen die Anbieter die Aufsichtsbehörden auf ihre Seite ziehen. Die europäische Luftfahrtbehörde EASA erforscht immerhin unter dem Projektnamen U-Space, wie sich Flugtaxis im unteren Luftraum kontrollieren und per Autopilot betreiben lassen. Wann aber ein solcher regulierter Luftraum für autonome Lufttaxis in Europa stehen wird, wagen auch die meisten Experten nicht vorherzusagen.

Von offenen regulatorischen Fragen wollen sich die Start-ups nicht bremsen lassen. Wenn die ersten autonomen Flugtaxis nicht in Europa fliegen, dann vielleicht anderswo. Volocopter hat inzwischen ein Büro in Singapur eröffnet - der Stadtstaat zeigt sich sehr interessiert an neuer Technik für urbane Mobilität. Erste Routen, noch mit Piloten an Bord, könnten in zwei bis fünf Jahren eröffnet werden, heißt es bei Volocopter.

Lilium arbeitet unterdessen weiter an seinem Jet. Geplant sind Testflüge, bei denen der Flieger das das Höchsttempo von 300 Kilometer pro Stunde erreichen soll. Auf seiner Homepage schreibt das Unternehmen mehr als 120 Stellen aus, vor allem Ingenieure und Produktionstechniker. Für die Luftfahrt-Pioniere in Bayern gibt es in den nächsten Jahren viel zu tun.

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