USA Masernausbruch befeuert Impfhysterie

Seit in den USA die Zahl der an Masern Erkrankten allein in diesem Jahr bereits auf über 100 angestiegen ist, ist die Debatte über das Impfen voll entbrannt. Da werden wildeste Mythen wiederbelebt.

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Eine Impfung wird in einer Arztpraxis in Dresden vorbereitet Quelle: dpa

Im Dezember schlugen die Wellen erstmals hoch: In Disneyland, dem kalifornischen Familienfreizeitpark, hatten sich 42 Menschen mit Masern angesteckt. Seither breitet sich die Epidemie in Nordamerika aus. Allein im Januar registrierte die US-Seuchenschutzbehörde CDC 102 neue Erkrankungsfälle in insgesamt 14 Bundesstaaten. Und das in einem Land, das im Jahr 2000 erklärte, es habe die Viruserkrankung mit Hilfe der Masernimpfung komplett ausgerottet. Auch im kanadischen Toronto gibt es derzeit einen Masernausbruch.

Der Grund ist simpel: Nicht 100 Prozent der Nordamerikaner sind geimpft. Denn wie fast überall auf der Welt gibt es auch in USA und Kanada Menschen, die das Impfen ablehnen – aus religiösen Gründen, wie die Amish, oder aus weltanschaulichen Gründen, wie die Anthroposophen und Waldorfanhänger. Auch die Sorge, dass Impfungen mehr Schaden anrichten, als sie nutzen, treibt viele Eltern um. Gerade bei der Masernimpfung hält sich hartnäckig das Gerücht, sie verursache die Persönlichkeitsstörung Autismus.

Fünf Mythen über das Impfen

Die meisten dieser Befürchtungen sind entweder völlig haltlos oder zumindest nicht zu belegen, wie die WirtschaftsWoche im Herbst 2013 recherchierte, als in Deutschland eine ähnliche Masernepidemie – ausgehend von einer Waldorfschule in der Nähe von Köln – ausbrach: Vielfach handelt es sich um reine Mythen rund ums Impfen – daran hat sich bis heute nichts geändert.

Tatsächlich haben Impfungen jedoch – wie nahezu alle Medikamente – auch Nebenwirkungen. In der Nutzen-Risiko-Abwägung schneiden sie deshalb heute vielfach schlechter ab als die Arzneimittel. Denn während Menschen Pillen schlucken, wenn es ihnen schlecht geht und sie dann auf Heilung hoffen, ist es beim Impfen genau anders herum: Obwohl der Impfling kerngesund ist, muss er das Risiko eingehen, dass es ihm nach der Impfung schlechter geht als zuvor.

Das Fatale daran: Gerade weil die meisten schweren Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Wundstarrkrampf oder Kinderlähmung aufgrund von jahrelangen erfolgreichen Impfkampagnen so selten geworden sind, ist den meisten Menschen heute kaum noch bewusst, vor welchem Leid sie sich und ihre Kinder mit Impfungen bewahren. Es fehlt der abschreckende Anschauungsunterricht.

Zehn Krankheiten, die nicht auszurotten sind
MalariaForscher warnen, dass der Klimawandel Einfluss auf die Verbreitung von Malaria haben könnte. Durch die Erderwärmung vermehren sich die als Malariaüberträger bekannten Mücken stärker als früher. Mehr als eine Million Menschen sterben laut Universität Washington weltweit jedes Jahr an Malaria. Quelle: dpa
BotulismusDie klassische Lebensmittelvergiftung, der sogenannte Botulismus, wird meist durch verdorbenes Fleisch und nicht fachgerecht eingekochtes Gemüse hervorgerufen. Botulismus ist nicht ansteckend und zeigt sich meist durch Sehstörungen sowie Probleme beim Sprechen und Schlucken. In schweren Fällen lähmt der Erreger Clostridium botulinum die inneren Organe, Erbrechen und Durchfall stellen sich ein. Betroffene sterben ohne Behandlung meist an Ersticken. Quelle: dpa
StaublungeEine zu Zeiten des Kohleabbaus im Ruhrgebiet weit verbreitete Krankheit ist die Staublunge. Trotz spezieller Filter und Schutzmasken, die die Lungen der Bergarbeiter schützen sollen, gibt es immer noch Krankheits- und Todesfälle durch die hohe Feinstaubbelastung. Jüngere Bergarbeiter sollen laut National Public Radio stärker betroffen sein, da die Krankheit bei ihnen schneller voranschreitet. Quelle: AP
CholeraDie Durchfallerkrankung Cholera fordert jedes Jahr unzählige Todesopfer. Schuld ist verunreinigtes Wasser, deshalb verbreitet sich die Krankheit vor allem in den Armenvierteln dieser Welt. Das Erdbeben von Haiti rief vor vier Jahren eine große Cholera-Epidemie hervor. Seitdem sind laut Statistiken rund 8400 Menschen an Cholera gestorben. Quelle: dapd
TuberkuloseTrotz Impfmöglichkeiten und Antibiotika konnte die Tuberkulose bisher nicht besiegt werden. Ein Grund ist eine resistente Mutation des Erregers, die sich seit den Achtzigern verbreitet hat. Die Krankheit befällt meist die Atemwege, allerdings ist auch ein Befall des Nervensystems und der Organe möglich. Tuberkulose ist nach Aids der zweitgefährlichste Erreger, laut WHO starben 2010 1,4 Millionen Menschen an der Krankheit. Quelle: dpa
Polio/KinderlähmungPolio war bereits einmal beinahe ausgerottet – ein Mangel an Impfungen führte seit der Jahrtausendwende allerdings zu zahlreichen Neuerkrankungen. Vor allem in Afrika ist die Krankheit wieder auf dem Vormarsch, die WHO will mit Hilfe von Impfprogrammen dagegen vorgehen. Da sich der Erreger seit jeher kaum verändert hat, ist eine Ausrottung der Krankheit mittelfristig nicht unwahrscheinlich, die nötige Schluckimpfung ist kostengünstig und einfach umzusetzen. Quelle: dpa
SyphilisSyphilis ist eine sexuell übertragbare Krankheit, die aktuell vor allem in Deutschland und Australien verbreitet ist. 2013 meldete das Robert-Koch-Institut 5017 Neuerkrankungen, das sind 600 mehr als im Jahr 2012. Syphilis ist durch die Gabe von Penicillin heilbar. Quelle: Gemeinfrei

Gerade bei den Masern denken viele Menschen inzwischen, es handle sich um eine völlig harmlose Kinderkrankheit. Doch das ist eine groteske Fehleinschätzung: Masern rufen in 20 bis 30 Prozent der Fälle schwerste Begleiterkrankungen hervor und können "vor allem bei sehr kleinen Kindern auch tödlich enden", sagt der Freiburger Virologe Hartmut Hengel – heute, wie auch im Herbst 2013, als er der WirtschaftsWoche dieses Interview gab: „Auch bei Erwachsenen haben Masern oft einen sehr schweren Krankheitsverlauf.“

Damals wie heute ereifert Hengel sich über Eltern, die Ihren Kindern zumuten, jede Krankheit selbst zu durchleben, weil sie davon ausgehen, dass Ihr Körper daran reift und wächst. Dafür gebe es keinerlei wissenschaftlichen Belege. Bei einer gefährlichen Infektionskrankheit wie den Masern sei das purer Darwinismus, wettert Hengel. Wer sich mit den Masern infiziere – und es ohne Schaden überlebe – der sei nicht gestärkt oder gereinigt, sondern lediglich immun gegen eine weitere Maserninfektion.

Und Hengel zitiert neue Studien, die das Gegenteil einer Stärkung belegen: „Masern führen zu einer monatelang nachweisbaren Schwächung des Immunsystems.“

In Nordamerika schlagen derweil in Elternforen und sozialen Medien wie Twitter die Wogen hoch. Da sprechen Eltern davon, die Kinder von Impfgegnern zu kidnappen und ihnen eigenhändig eine Impfung zu verpassen. Andere drohen sogar, jeden Impfgegner zu massakrieren, wenn das eigene Kind an Masern erkranke. Denn, so ein weiteres Argument: Die Anti-Impf-Eltern seien die Seuche, die ausgerottet werden müsste.

So unsachlich die Debatte in der Elternschaft geführt wird, so emotional gehen auch die US-Politiker mit dem Thema um. Einige diskutieren nun darüber, ob eine Art Impflicht eingeführt werden soll. Andere halten dagegen, dass die Eltern in jedem Fall die freie Entscheidung darüber haben müssten, ob sie Ihre Kinder impfen lassen.

Auch in Deutschland hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) damit gedroht, eine Impfpflicht für die Masern einzuführen. Denn 2013 war die Zahl der Masernfälle in Deutschland von 165 im Vorjahr auf 1771 hochgeschnellt – nicht nur in der Nähe von Köln. Auch in Bayern und Berlin gab es damals große Epidemien. Passiert ist jedoch herzlich wenig.

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