




„Das deutsche Volk vertraute dem Führer. Und es hatte bei seiner autoritären Staatsführung keinen Einfluss auf das Geschehen.“ Mit diesen Worten sprach Hermann Göring im Nürnberger Prozess 1946 die Deutschen von jeder Schuld an den grausamen Verbrechen der Nazis frei. Von den Vorgängen in den Konzentrationslagern wollte der ranghohe Nationalsozialist erst durch den Prozess erfahren haben.
Wie Göring argumentierten auch die anderen Angeklagten im Kriegsverbrecherprozess: Man habe von nichts gewusst und nur Befehle ausgeführt. Nicht schuldig. Auch wenn die Aussagen der NS-Führer und KZ-Aufseher ein extremes Beispiel für einen Versuch sind, sich der Verantwortung zu entziehen: Wie empfänglich Menschen für Befehle sind, beschäftigt die Psychologie seit Jahrzehnten.
Autorität gegen moralische Grundsätze
In den Sechzigerjahren erregte der US-Psychologe Stanley Milgram Aufsehen. Er ließ amerikanische Durchschnittsbürger einem vermeintlichen Schüler einen elektrischen Schlag versetzen, wenn dieser beim Lösen von Aufgaben Fehler machte. Ein autoritär auftretender Versuchsleiter wies die Testpersonen an, mit jedem Fehler stärkere Schmerzen zuzufügen. Das Experiment sollte eine sozialpsychologische Erklärung der Nazi-Verbrechen liefern. Damals ging man in den USA von einer Obrigkeitshörigkeit der Deutschen aus.
Besser entscheiden
Hätte eine Fehlentscheidung ernsthafte, unwiderrufliche Konsequenzen? Stehen Jobs auf dem Spiel? Falls nein – dann trauen Sie sich!
Nehmen Sie die Position eines hartnäckigen Kritikers ein: Was können Sie aus seinen Argumenten lernen?
Stellen Sie sich auch mal andere Fragen: Womit rechnen Sie keinesfalls – und wie reagieren Sie, falls es trotzdem passiert?
Schlafen Sie eine Nacht drüber: So kann Ihr Unterbewusstsein das Problem durchdringen.
Seien Sie skeptisch im Hinblick auf Daten und Dogmen: Vielleicht hatte der frühere Erfolg in Wahrheit andere Gründe? Ursache und Wirkung werden gerne mal verwechselt.
Das Ergebnis: Zwei Drittel der Probanden verpassten ihrem Opfer auf Befehl des Versuchsleiters immer stärkere, vermeintlich sogar lebensbedrohliche Stromschläge. Milgram schrieb dazu: „Starre Autorität stand gegen die stärksten moralischen Grundsätze der Teilnehmer, andere Menschen nicht zu verletzen, und obwohl den Testpersonen die Schmerzensschreie der Opfer in den Ohren klangen, gewann in der Mehrzahl der Fälle die Autorität. Die extreme Bereitschaft von erwachsenen Menschen, einer Autorität fast beliebig weit zu folgen, ist das Hauptergebnis der Studie, und eine Tatsache, die dringendster Erklärung bedarf.“
Forscher der Freien Universität Brüssel und des University College London sind nun der Frage nachgegangen, inwiefern der Verweis, bei schrecklichen Taten „nur Befehle befolgt“ zu haben, mehr ist als der Versuch einer Strafe zu entgehen. Es sei nie untersucht worden, ob sich Menschen durch Befehle nicht tatsächlich weniger verantwortlich für ihre Taten fühlten, begründen die Wissenschaftler ihren Versuch. Ihre Vermutung: Ein äußerer Zwang setzt die Wahrnehmung für die eigene Handlungsverantwortung herab. Dies sollte sich dann in der Hirnaktivität messen lassen.