Virologe Drosten im Gespräch 2014 „Der Körper wird ständig von Viren angegriffen“

Virusforscher Christian Drosten. Quelle: dpa

Der Virologe Christian Drosten hält die Gefahr einer weltweiten Ausbreitung der Seuche Mers für sehr gering. Ein paar Tipps für unterwegs hat er trotzdem.

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Redaktioneller Hinweis: Dieses Interview wurde im Mai 2014 geführt. Ein aktuelleres Interview mit Christian Drosten von Oktober 2020 vor dem Hintergrund des aktuell grassierenden Coronavirus Sars-Cov2 lesen Sie hier.

Christian Drosten war einer der Entdecker des Coronavirus, das seit November 2002 als Verursacher des schweren akuten respiratorischen Syndroms (Sars) die Welt in Angst und Schrecken versetzte. Für diese bahnbrechende Arbeit erhielt er 2005 das Bundesverdienstkreuz. Nun forscht Drosten mit seinem Team intensiv an einem anderen Coronavirus, das gerade auf der arabischen Halbinsel grassiert und eine ganz ähnliche Atemwegserkrankung auslöst – das Middle East Respiratory Syndrome (Mers).

WirtschaftsWoche: Professor Drosten, auf der arabischen Halbinsel wütet derzeit eine tödliche Seuche, das Middle East Respiratory Syndrome (MERS). Fast 500 Menschen haben sich damit schon infiziert, laut amtlicher Angaben starben 142 von ihnen daran. Wie können Reisende sich schützen?
Christian Drosten: Derzeit gibt es eigentlich keinen Grund, sich bei einer Reise in eines der arabischen Länder Sorgen zu machen. Gerade für Geschäftsreisende gibt es wohl kaum Gelegenheiten, sich mit dem Erreger zu infizieren.

Wie holt man sich das Virus denn?
Die Ansteckungswege sind noch nicht ganz klar. Wir wissen von einigen der Patienten, dass sie sich bei Kamelen infiziert haben. Und wir wissen auch, dass Kamele dieses Virus in sich tragen.

Also sollte das Kraulen und Reiten von Kamelen unterbleiben?
Kontakt mit Kamelen sollte man generell vermeiden – vor allem den Kontakt mit jungen Kamelen, die scheinen besonders stark betroffen zu sein. Übrigens trifft das nicht auf  deutsche Zoo-Kamele zu. Hier waren bisher alle Tests negativ, das krankmachende Virus ließ sich nicht nachweisen.

Und wie sieht es damit aus, in arabischen Ländern Kamelmilch zu trinken?
Tatsächlich wird Kamelmilch gerade daraufhin untersucht, ob sie als Überträger der Viren in Frage kommt. Bisher gibt es aber keine verlässlichen Daten. Allerdings hat bisher auch keine einzige der vielen weltweit daran arbeitenden Forschergruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO gemeldet, dass sie Viren in Kamelmilch gefunden hätte.

Was sagen Sie zu Kamelfleisch? Bei einer Essenseinladung kann Kamelhöcker oder Kamelschnitzel ja gerne mal als Delikatesse auf dem Menü stehen.
Hier besteht kein Grund zur Sorge. Denn das Kamelfleisch wird anders als die Milch ja nicht roh verzehrt, sondern gekocht oder gebraten. Da diese Viren sehr temperaturempfindlich sind, reicht schon kurzes Erhitzen aus, um sie zu töten.

Was können besorgte Reisende tun, um auf Nummer Sicher zu gehen – oder einfach, um sich ganz sicher zu fühlen? 
Ich empfehle, sich die Hände sehr häufig zu waschen. Das ist die effektivste Maßnahme. Denn wie die meisten Erkältungsviren werden auch Coronaviren durch den direkten Kontakt übertragen, zum Beispiel beim Händeschütteln. Vor den Händen gelangen die Krankheitserreger an Mund und Nase und beginnen dort mit der Vermehrung.

Seife und warmes Wasser sind genug? Desinfektionsspray ist im Handgepäck überflüssig?
Anders als zum Beispiel bei Brechdurchfall verursachenden Noroviren, denen nur mit alkoholischen Lösungen beizukommen ist, reichen bei Coronaviren Wasser und Seife aus.

Wie groß ist die Gefahr, dass Mers sich zu einer ähnlich tödlichen und weltweiten Epidemie wie seinerzeit Sars – das akute respiratorische Syndrom – entwickelt, an dem 2002 und 2003 über 1000 Menschen starben?
Ich halte die Chancen einer Pandemie für gering. Zwar sind die Erreger als Coronaviren eng miteinander verwandt. Aber es gibt einen ganz entscheidenden Unterschied: Der Sars-Erreger ist in China nur ein einziges Mal von einem Tier auf den Menschen übergesprungen. Danach konnte er sich von Mensch zu Mensch verbreiten. Das sieht bei Mers ganz anders aus: Hier infizieren sich Menschen immer wieder direkt bei Tieren. Die Infektionsketten sind sehr kurz. Das ist insofern beruhigend, weil es immer noch eine typische Zoonose ist, also eben kein Erreger, der von Mensch zu Mensch springt.

Hat die WHO deshalb die höchste Alarmstufe, den globalen Gesundheitsnotstand, noch nicht ausgerufen?
Genau. Die Überlegung ist folgende: Wird der Nachschub mit Viren aus dem Tierreich unterbunden, bremst sich die Infektion beim Menschen sehr schnell selbst aus.

„Die WHO kann nur Empfehlungen aussprechen“

Redaktioneller Hinweis: Dieses Interview wurde im Mai 2014 geführt und bezieht sich auf das Coronavirus, das damals auf der arabischen Halbinsel grassierte und das Middle East Respiratory Syndrome (Mers) auslöste. Ein aktuelleres Interview mit Christian Drosten von Oktober 2020 vor dem Hintergrund des aktuell grassierenden Coronavirus Sars-Cov2 lesen Sie hier.

Wo liegen die regionalen Schwerpunkte der Erkrankung?
Außer der Aussage, dass die arabische Halbinsel sehr stark betroffen zu sein scheint, lässt sich bisher wenig sagen. Deshalb wird ja so intensiv geforscht. Auch die Fälle in Europa oder USA lassen sich alle auf Infektionen in der arabischen Region zurückführen. Allerdings muss man auch ganz klar feststellen: In dieser Region und vor allem in Saudi-Arabien wird momentan am intensivsten getestet.

Was ja an sich kein Fehler ist, oder?
Nun ja. Es ist eben so, dass es bisher eine klare Fall-Definition gab, also ein striktes Schema, das festlegte, welcher Patient als Mers-Fall gemeldet wurde. Dazu gehörte zum Beispiel, dass der Patient eine Lungenentzündung hat, bei der beide Lungenflügel betroffen sind. Als in Dschidda Ende März diesen Jahres aber plötzlich eine ganze Reihe von Mers-Fällen auftauchten, entschieden die dortigen Ärzte, alle Patienten und das komplette Krankenhauspersonal auf den Erreger zu testen. Und dazu wählten sie eine hochempfindliche Methode aus, die Polymerase-Kettenreaktion (PCR).

Klingt modern und zeitgemäß.
Ja, aber die Methode ist so empfindlich, dass sie ein einzelnes Erbmolekül dieses Virus nachweisen kann. Wenn ein solcher Erreger zum Beispiel bei einer Krankenschwester mal eben einen Tag lang über die Nasenschleimhaut huscht, ohne dass sie erkrankt oder sonst irgend etwas davon bemerkt, dann ist sie plötzlich ein Mers-Fall. Wo zuvor Todkranke gemeldet wurden, sind nun plötzlich milde Fälle und Menschen, die eigentlich kerngesund sind, in der Meldestatistik enthalten. Auch so ließe sich die Explosion der Fallzahlen in Saudi-Arabien erklären. Dazu kommt, dass die Medien vor Ort die Sache unglaublich hoch gekocht haben.

Sie meinen, dass die Medien einen Einfluss auf die Meldezahlen haben?
In der Region gibt es kaum noch ein anders Thema in den TV-Nachrichten oder Tageszeitungen. Und auch Ärzte in Krankenhäusern sind Konsumenten dieser Nachrichten. Die überlegen sich dann ebenfalls, dass sie mal ein Auge auf diese bisher auch in Saudi-Arabien sehr seltene Erkrankung werfen müssten. Die Medizin ist nicht frei von Modewellen.

142 Tote muss man aber doch ernst nehmen.
Unbedingt. Aber die 142 Todesfälle sind innerhalb von mehreren Jahren aufgetreten, sie kommen nicht alle aus dem jetzigen Ausbruch. Ich befürchte, dass der jetzige Anstieg eher der erhöhten Aufmerksamkeit geschuldet ist. Das ist hierzulande nicht anders. Berichten „Bild“ oder die Abendnachrichten über einen Ausbruch eines bestimmten Virus, steigt die Zahl der Laboruntersuchungen deutlich an. Einfach, weil auch Ärzte dann sensibilisiert sind und gezielt Ausschau halten nach den Erregern, über die berichtet wird.

Was wäre Ihrer Meinung nach zu tun?
Es wäre sehr hilfreich, wenn die Behörden in Saudi-Arabien wieder dazu übergehen würde, die bisherige Definitionen der Krankheit einzuhalten. Denn was zunächst interessiert, sind die echten Fälle. Ob symptomlose oder mild infizierte Krankenhausmitarbeiter wirklich Virusträger sind, halte ich für fraglich. Noch fraglicher ist, ob sie das Virus an andere weitergeben können. Das Beraterteam des neuen Gesundheitsministers sollte stärker zwischen medizinisch notwendiger Diagnostik und wissenschaftlichem Interesse unterscheiden.

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Kann die WHO da nicht steuernd eingreifen?
Die WHO kann nur Empfehlungen zur Fallmeldung geben, aber die sind nicht rechtsverbindlich. Im Falle von Sars hatte sie damals zum Beispiel nur solche Fälle zur Meldung empfohlen, in denen ein Antikörpertest positiv war.

Und was heißt das?
Unser Körper wird ja ständig von Viren und Bakterien angegriffen. Sie scheitern aber oftmals schon an Barrieren wie der Haut oder den Schleimhäuten in Nase und Rachen. Dort werden sie erfolgreich abwehrt, bevor sie Unheil anrichten können. Nur gegen solche Krankheitserreger, die unseren Körper ernsthaft befallen, entwickelt die Immunabwehr auch Antikörper. Wenn Antikörper da sind, bedeutet das, der Mensch hat tatsächlich eine Infektion gehabt. Ein solcher Antikörpertest würde die Unterscheidung zwischen wissenschaftlich interessanten und medizinisch relevanten Fällen sehr erleichtern.

Was glauben Sie, wird sich die Lage bis im Herbst geklärt haben, wenn Zigtausende von Pilgern auf ihrer Hadsch nach Mekka pilgern?
Ich hoffe, dass bis dahin neue Erkenntnisse zu Übertragungswegen vorliegen, die dann auch in Empfehlungen zur Infektionskontrolle münden können. Wenn unsere bisherigen Überlegungen und Beobachtungen richtig sind, lässt sich der Nachschub an Viren aus dem Tierreich klären – und im Idealfall auch unterbinden.

Redaktioneller Hinweis: Dieses Interview wurde im Mai 2014 geführt und bezieht sich auf das Coronavirus, das damals auf der arabischen Halbinsel grassierte und das Middle East Respiratory Syndrome (Mers) auslöste. Ein aktuelleres Interview mit Christian Drosten von Oktober 2020 vor dem Hintergrund des aktuell grassierenden Coronavirus Sars-Cov2 lesen Sie hier.

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