Virologe Ulf Dittmer „Mit mehr Tests können wir die Verbreitung des Virus nicht stoppen“

Corona-Test bei Reiserückkehrerin am Kölner Hauptbahnhof: Massentests machen keinen Sinn, sagt der Essener Virologe Ulf Dittmer. Quelle: dpa

Mehr Tests werden eine zweite Corona-Welle nicht verhindern, sagt der Essener Virologe Ulf Dittmer. Ein neues Verfahren könnte aber zumindest die Entnahme der Proben erleichtern.

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Herr Dittmer, die Furcht vor einer zweiten Corona-Welle in Deutschland wächst. Zuletzt wurden in Deutschland immer mehr Menschen auf das Virus getestet, auch wenn sie keine Symptome zeigten. Eine gute Strategie?
Ulf Dittmer: Nein, mit mehr Tests können wir die weitere Verbreitung des Virus in der Bevölkerung nicht verhindern. Große Screenings von Personen, die nur ein sehr geringes Infektionsrisiko haben, bringen nichts. Dafür sind die so genannten PCR-Tests, die in Laboren durchgeführt werden, gar nicht ausgelegt.

Die Labore in Deutschland sind jetzt schon zu 75 Prozent ausgelastet. Müssten wir die Testkapazitäten nicht massiv erhöhen?
Wir brauchen die Kapazitäten nicht zu erhöhen. Massenscreenings machen wenig Sinn. Wir müssen wieder gezielter testen, also erkrankte Personen und klare Verdachtsfälle. Diese Personen müssen bei positiven Tests in Quarantäne, um Infektketten zu unterbrechen. Das war von März bis Mai sehr erfolgreich.

Viele Menschen warten tagelang oder sogar wochenlang auf ihre Ergebnisse. Warum dauert das so lange?
Weil die Logistik vor und nach dem eigentlichen Test so komplex ist. Oft fehlen optimale EDV-Systeme, um Proben in großer Zahl zu registrieren und am Ende den Befund zu erstellen sowie zu übermitteln. Hier ist viel Handarbeit vonnöten. Die großen Probenzahlen stellen die Mitarbeiter vor sehr große Herausforderungen. 

Prof. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsmedizin Essen. Quelle: dpa

Können neue Schnelltests das Tempo erhöhen?
Nur bedingt. Es gibt PCR-Schnelltests, die aber kaum in großer Stückzahl durchgeführt werden können. Sie stehen nur für Einzelfälle zur Verfügung. 

Und wie sieht es mit neuen Testkits aus, die ähnlich wie ein Schwangerschaftstest ohne Labor auskommen und etwa per Papierstreifen funktionieren?
Bei solchen Antigen-Tests wird ein Protein des Virus in einem Abstrich nachgewiesen. Das ist weniger kompliziert als ein PCR-Test, allerdings sind solche Verfahren auch nicht sehr sensitiv. Wir werden damit also einige positive Fälle nicht finden. 

Umgekehrt werden immer wieder auch im Labor Menschen positiv getestet und in Quarantäne geschickt, die gar nicht infiziert sind. Woran liegt das?
Das liegt an der so genannten Spezifität der PCR-Tests. Sie liegt bei circa 99 Prozent. Das bedeutet, dass eine von hundert negativen Personen falsch positiv getestet wird.

...was für die Betroffenen mitunter nervenaufreibend und ziemlich ärgerlich sein dürfte. Gibt es Mittel, die Zahl der falschen Testergebnisse zu verringern?
In Deutschland werden fast immer zwei PCR-Tests gegen verschiedene SARS-CoV-2-Gene gleichzeitig gemacht. Das verringert die Rate der falsch-positiven Testergebnisse erheblich. Dieses Verfahren wurde in Deutschland schon seit Beginn der Pandemie durchgeführt.

Experten empfehlen, Proben gemeinsam zu testen. Sie nennen das Pooling, um Infizierte schneller zu finden. 
Das machen schon fast alle Labore in Deutschland, um die knappen Ressourcen zu schonen. Materialien für die PCR-Tests werden weltweit wieder knapp. Positive Pools müssen danach aber einzeln aufgelöst werden. Die Methode spart also nur Material und Zeit, wenn viele Tests negativ sind. Wenn die Infektionszahlen weiter steigen, wird Pooling nicht mehr möglich sein. 

Forscher der Charité arbeiten an einem Abstrich für daheim, der dann ins Labor geschickt wird. Eine gute Idee?
Einen richtigen Nasen-Rachen-Abstrich kann man nicht selber machen. Es gibt Ansätze, stattdessen eine Flüssigkeit zu gurgeln und dann auszuspucken. Wenn sich das als gutes Material für die PCR-Testung erweist, kann man das zu Hause machen.  

Wo wären schnellere Tests besonders hilfreich?
Schnelltests sind immer gut, wenn es um schnelle Entscheidungen geht. Am wichtigsten sind sie in Notaufnahmen von Krankenhäusern. Geschwindigkeit kann beim Unterbrechen von Infektketten eine Rolle spielen.  ​​​​​​​


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Kürzlich war von schnelleren PCR-Tests die Rede, die etwa an der Uni Bielefeld getestet werden, und Ergebnisse schon nach 16 Minuten versprechen. Wie schnell dürfen wir solche Geräte auf dem Markt erwarten? 
Diese LAMP-PCR-Testung ist schnell, aber weniger sensitiv. In England soll sie dennoch bald flächendeckend eingesetzt werden. Ob sie sich auch hier in Deutschland durchsetzen wird, weiß ich derzeit nicht.

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