Flugtaxi-Start-up Volocopter eröffnet Produktion in Bruchsal

Das Flugtaxi-Start-up Volocopter aus Bruchsal. Quelle: Volocopter

Mit Promibesuch und Presserummel eröffnet das deutsche Start-up Volocopter die Produktion seines Flugtaxis. Nächstes Jahr soll der Flieger startklar sein – doch die ersten Flugstrecken entstehen außerhalb Deutschlands.

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„Wir stellen ein“, steht in großen Lettern auf einem Banner geschrieben, das am Eingang zum Gelände von Volocopter am Ortsrand von Bruchsal montiert ist. Das Flugtaxi-Start-up in Baden-Württemberg, bereits mehr als 500 Mitarbeiter stark, sucht aktuell zusätzlich mehr als 70 Ingenieure und Projektmanager – denn nun soll es bald losgehen mit der Produktion des elektrischen Senkrechtstarters.

Mit einer Eröffnungsfeier feiert das Start-up am Dienstagnachmittag seinen neuen Hangar, groß wie eine Dreifachsporthalle, in dem künftig die Endmontage des Volocity-Fliegers stattfinden soll. An Stelle von Monteuren wuseln nun erst einmal dutzende Gäste im Business-Dress um die zwei Elektroflieger herum, die schon fertig gebaut hier stehen. Mittendrin: Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

„Wir setzen sehr große Hoffnungen in diese Technologie“, sagt Wissing. Klimaneutral, schnell, leise seien die Flugtaxis – er hoffe, dass sie bald zum Alltagseinsatz kämen. Ein paar Fotos, dann geht es raus auf den Flugplatz, wo in gut 50 Metern Entfernung hinter einem Absperrband ein weiterer Volocity schon bereit steht, ein Testpilot an Bord. Ein leises Surren, die Propeller beginnen sich zu drehen, dann hebt er ab, der Volocopter, und dreht mehrere Runden über den Flugplatz. 

Mit bis zu Tempo 240 und fast 1000 Kilometern Reichweite sollen kommerzielle Schwerlastdrohnen Logistikflüge in den USA übernehmen. Technisch möglich wäre das auch in Deutschland. Doch es gibt einen Haken.
von Thomas Kuhn

Es ist ein wichtiger Schritt für das Unternehmen aus Bruchsal in Baden-Württemberg, das sich weltweit als Vorreiter der urbanen Lufttaxis positionieren will. Während etwa die Konkurrenten Joby aus den USA und Lilium aus Deutschland den Marktstart für das Jahr 2025 anpeilen, verfolgt Volocopter einen ambitionierteren Zeitplan. „Wir werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im zweiten Quartal 2024 zertifiziert“, sagt Dirk Hoke, CEO von Volocopter. 

Damit hätte das Unternehmen die Nase vorn in einem weltweiten Wettrennen von mehr als 200 Luftfahrt-Start-ups – sieht man von China ab, wo großzügigere Regeln für computergesteuerte Lufttaxis gelten und das Start-up Ehangschon dieses Jahr starten dürfte. Bis zu 50 Volocities pro Jahr und Arbeitsschicht kann Volocopter in Bruchsal nun bauen, je nachdem, wie schnell die Nachfrage anzieht. „Wir sind stolz, dass in der Mobilität mal wieder was aus Baden-Württemberg kommt“, sagt Landesvater Kretschmann in die Mikrofone der Fernsehteams. Das Auto haben sie ja auch erfunden im Ländle.

Vier Flieger könnten dieses Jahr reif für die Zulassung sein

Nun also fliegende Taxis. Es geht um die Vision, das Fliegen neu zu erfinden, elektrisch und möglichst leise, und damit eine neue Art von schnellem Regionalverkehr aufzubauen. Knapp vier Milliarden Euro sind allein im Jahr 2021 weltweit in Unternehmen geflossen, die an dieser Idee arbeiten.

Luftfahrtingenieure und Tech-Investoren sprechen von einer Aufbruchstimmung, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gab in der Luftfahrt. Kritiker dagegen sehen einen großen Hype. Zu teuer, zu laut, zu unökonomisch seien Flugtaxis, als dass daraus wirklich Massentransportmittel werden könnten.

Welche Flugzeugmodelle, welche Geschäftsmodelle sich durchsetzen werden, ist noch offen. Die Schätzungen von Marktforschern wurden zuletzt deutlich konservativer – sprach die Investmentbank Morgan Stanley Ende des Jahres 2018 noch von einem 1,5-Billionen-Dollar-Geschäft im Jahr 2040, sprach Porsche Consulting vier Jahr später nur noch von 32 Milliarden Dollar im Jahr 2035. Das wäre immer noch ein lohnender Markt für eine Reihe von Unternehmen, nicht aber für hunderte. Nur etwa jedes zehnte Flugtaxi-Start-up werde überleben, prophezeien bereits Branchenbeobachter der Unternehmensberatung Roland Berger.



Darum beeilen sich die Start-ups, zu den ersten zu gehören, die die Zulassung erhalten. Soll die 2025 klappen, müssen die Unternehmen möglichst noch dieses Jahr ihre serienreifen Flugzeugmodelle fertigstellen und mit dem Testen beginnen. „Wir bauen gerade die VoloCity-Modelle, die dann für die Zertifizierung genutzt werden“, sagt Volocopter-Chef Hoke. „Ab Juli testen wir sie mit einem Piloten an Bord, später dann mit zwei Menschen an Bord.“

Flugtests bei Gegenwind

Beobachter des Marktforschers SMG Consulting rechnen damit, dass neben Volocopter auch Archer, Beta Technologies und Joby Aviation noch in diesem Jahr ihre Modelle für die Zulassung fertig entwickeln werden. Joby, das am besten finanzierte Start-up, erreichte mit seinem Prototypen vergangenes Jahr einen Geschwindigkeitsrekord von 330 Kilometern pro Stunde, hat vor wenigen Tagen auch den Zusammenbau seines finalen Modells begonnen und will noch im ersten Halbjahr damit Flugtests starten.  

Für den kommerziellen Start müssen die Unternehmen nicht nur die Musterzulassung erhalten, bei der überprüft wird, ob die Bauvorschriften für den Flugzeugtyp eingehalten werden. Auch den Flugbetrieb müssen die Behörden genehmigen, Pilotenlizenzen ausstellen und die Landeplätze zulassen.

Sollte das rechtzeitig gelingen, könnte Volocopter nächsten Sommer das erste mal in Europa Passagiere bei kommerziellen Flügen transportieren. Das ist allerdings nicht in Deutschland geplant – sondern bei den Olympischen Spielen in Paris. „Ich bin absolut sicher: Wir werden nächstes Jahr im Sommer in Paris fliegen“, sagt Hoke. Wenig später will Volocopter auch einen Taxidienst in Rom starten.

Technisch sei das Fluggerät dafür bereit, sagt Manager Hoke: „Wir sind bereits über 20 Minuten und schneller als 120 Kilometer pro Stunde geflogen.“ Die Strecken, die in Paris angepeilt seien, könne der VoloCity auch bei starkem Gegenwind fliegen und mit einer Batterie, die am Ende ihrer Lebensdauer ist.

In Deutschland prüfen verschiedene Städte mögliche erste Flugtaxistrecken, etwa an den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn. In Ingolstadt wiederum soll eine Studie die Möglichkeiten für ein bayernweites Flugtaxi-Netzwerk ausloten. Das Bundesverkehrsministerium hat unterdessen eine Expertengruppe ins Leben gerufen, die ab diesen April technische und rechtliche Fragen für computergesteuerte Flüge klären soll. Im zweiten Halbjahr 2023 solle auch ein Gesetzesentwurf für einen vereinfachten und sicheren Betrieb von Drohnen in Deutschland vorgelegt werden, heißt es im Ministerium. 

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Entscheidend wird das Jahr für die Branche auch In finanzieller Hinsicht. Steigende Zinsen und die unsichere Konjunkturlage lassen Investoren vorsichtiger werden. Insgesamt werde die Branche weniger Wagniskapital einsammeln als im Vorjahr, prophezeien die Beobachter von SMG Consulting. Mindestens einem Flugtaxi-Hersteller werde dieses Jahr das Geld ausgehen.

Den deutschen Herstellern zumindest ist es jüngst noch einmal gelungen, frisches Geld einzusammeln. Lilium hat im November eine Kapitalerhöhung in Höhe von 119 Millionen US-Dollar bekannt gegeben, umgerechnet 112 Millionen Euro. Volocopter sammelte zum Jahresende noch einmal 182 Millionen Euro ein. „Wir haben die Finanzierung für dieses Jahr gesichert“, sagt Volocopter-Chef Hoke.

Doch schon für das Jahr 2024 brauchen die Unternehmen neues Geld. Volocopter will die laufende Series-E-Finanzierungsrunde „ans obere Limit bringen“. „Unser Ziel ist es, damit die Finanzierung bis Ende 2024 sicher zu stellen“, sagt Hoke. Genaue Summen nennt Hoke nicht. Doch es dürfte noch einmal ein dreistelliger Millionenbetrag nötig sein.

Zumal bald in Bruchsal auch die Fertigung des VoloCity beginnen soll – und Volocopter auch ein größeres Modell entwickelt, das vier Passagiere plus einen Piloten 100 Kilometer weit transportieren soll. 

Warten auf die Wunderakkus

Noch gibt die kommerzielle Batterietechnik das nicht her. „Ab 2025 wird es Hersteller geben, die Batterien mit hoher Qualität industriell fertigen, mit denen wir einen vollbesetzten Fünfsitzer über größere Distanzen fliegen können“, sagt Hoke. Die Energiedichte soll dann 40 Prozent höher sein als die der Zellen, die Volocopter heute verwendet. 

Konkurrent Lilium und dessen Batteriepartner Customcells haben vor wenigen Tagen angekündigt, die Fertigung von Hochleistungsbatterien hochzufahren. Kürzlich hat sich Lilium auch an einer Finanzierungsrunde beim kalifornischen Batterieentwickler Ionblox beteiligt. Dessen Akkus sollen gegenüber handelsüblichen Lithium-Ionen-Akkus mehr Spitzenleistung, eine höhere Energiedichte und schnellere Ladezeiten bieten. 

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Wie weit die ersten Flugtaxis fliegen können, welche Routen sie bedienen können, wird also auch davon abhängen, ob und wie schnell die Batterieentwickler ihre Versprechen einlösen können. Noch aber sind auch das nur: Versprechen. Manche in der Branche korrigieren die Zielmarke derweil dezent nach hinten, etwa Hyundai mit seiner Marke Supernal. Nicht 2024 oder 2025, sondern 2028 sollen dessen Flieger kommerziell abheben – pünktlich zu den Olympischen Spielen in Los Angeles.

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