„Wir stellen ein“, steht in großen Lettern auf einem Banner geschrieben, das am Eingang zum Gelände von Volocopter am Ortsrand von Bruchsal montiert ist. Das Flugtaxi-Start-up in Baden-Württemberg, bereits mehr als 500 Mitarbeiter stark, sucht aktuell zusätzlich mehr als 70 Ingenieure und Projektmanager – denn nun soll es bald losgehen mit der Produktion des elektrischen Senkrechtstarters.
Mit einer Eröffnungsfeier feiert das Start-up am Dienstagnachmittag seinen neuen Hangar, groß wie eine Dreifachsporthalle, in dem künftig die Endmontage des Volocity-Fliegers stattfinden soll. An Stelle von Monteuren wuseln nun erst einmal dutzende Gäste im Business-Dress um die zwei Elektroflieger herum, die schon fertig gebaut hier stehen. Mittendrin: Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
„Wir setzen sehr große Hoffnungen in diese Technologie“, sagt Wissing. Klimaneutral, schnell, leise seien die Flugtaxis – er hoffe, dass sie bald zum Alltagseinsatz kämen. Ein paar Fotos, dann geht es raus auf den Flugplatz, wo in gut 50 Metern Entfernung hinter einem Absperrband ein weiterer Volocity schon bereit steht, ein Testpilot an Bord. Ein leises Surren, die Propeller beginnen sich zu drehen, dann hebt er ab, der Volocopter, und dreht mehrere Runden über den Flugplatz.
Es ist ein wichtiger Schritt für das Unternehmen aus Bruchsal in Baden-Württemberg, das sich weltweit als Vorreiter der urbanen Lufttaxis positionieren will. Während etwa die Konkurrenten Joby aus den USA und Lilium aus Deutschland den Marktstart für das Jahr 2025 anpeilen, verfolgt Volocopter einen ambitionierteren Zeitplan. „Wir werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im zweiten Quartal 2024 zertifiziert“, sagt Dirk Hoke, CEO von Volocopter.
Damit hätte das Unternehmen die Nase vorn in einem weltweiten Wettrennen von mehr als 200 Luftfahrt-Start-ups – sieht man von China ab, wo großzügigere Regeln für computergesteuerte Lufttaxis gelten und das Start-up Ehangschon dieses Jahr starten dürfte. Bis zu 50 Volocities pro Jahr und Arbeitsschicht kann Volocopter in Bruchsal nun bauen, je nachdem, wie schnell die Nachfrage anzieht. „Wir sind stolz, dass in der Mobilität mal wieder was aus Baden-Württemberg kommt“, sagt Landesvater Kretschmann in die Mikrofone der Fernsehteams. Das Auto haben sie ja auch erfunden im Ländle.
Vier Flieger könnten dieses Jahr reif für die Zulassung sein
Nun also fliegende Taxis. Es geht um die Vision, das Fliegen neu zu erfinden, elektrisch und möglichst leise, und damit eine neue Art von schnellem Regionalverkehr aufzubauen. Knapp vier Milliarden Euro sind allein im Jahr 2021 weltweit in Unternehmen geflossen, die an dieser Idee arbeiten.
Luftfahrtingenieure und Tech-Investoren sprechen von einer Aufbruchstimmung, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gab in der Luftfahrt. Kritiker dagegen sehen einen großen Hype. Zu teuer, zu laut, zu unökonomisch seien Flugtaxis, als dass daraus wirklich Massentransportmittel werden könnten.
Welche Flugzeugmodelle, welche Geschäftsmodelle sich durchsetzen werden, ist noch offen. Die Schätzungen von Marktforschern wurden zuletzt deutlich konservativer – sprach die Investmentbank Morgan Stanley Ende des Jahres 2018 noch von einem 1,5-Billionen-Dollar-Geschäft im Jahr 2040, sprach Porsche Consulting vier Jahr später nur noch von 32 Milliarden Dollar im Jahr 2035. Das wäre immer noch ein lohnender Markt für eine Reihe von Unternehmen, nicht aber für hunderte. Nur etwa jedes zehnte Flugtaxi-Start-up werde überleben, prophezeien bereits Branchenbeobachter der Unternehmensberatung Roland Berger.
Darum beeilen sich die Start-ups, zu den ersten zu gehören, die die Zulassung erhalten. Soll die 2025 klappen, müssen die Unternehmen möglichst noch dieses Jahr ihre serienreifen Flugzeugmodelle fertigstellen und mit dem Testen beginnen. „Wir bauen gerade die VoloCity-Modelle, die dann für die Zertifizierung genutzt werden“, sagt Volocopter-Chef Hoke. „Ab Juli testen wir sie mit einem Piloten an Bord, später dann mit zwei Menschen an Bord.“
Flugtests bei Gegenwind
Beobachter des Marktforschers SMG Consulting rechnen damit, dass neben Volocopter auch Archer, Beta Technologies und Joby Aviation noch in diesem Jahr ihre Modelle für die Zulassung fertig entwickeln werden. Joby, das am besten finanzierte Start-up, erreichte mit seinem Prototypen vergangenes Jahr einen Geschwindigkeitsrekord von 330 Kilometern pro Stunde, hat vor wenigen Tagen auch den Zusammenbau seines finalen Modells begonnen und will noch im ersten Halbjahr damit Flugtests starten.
Für den kommerziellen Start müssen die Unternehmen nicht nur die Musterzulassung erhalten, bei der überprüft wird, ob die Bauvorschriften für den Flugzeugtyp eingehalten werden. Auch den Flugbetrieb müssen die Behörden genehmigen, Pilotenlizenzen ausstellen und die Landeplätze zulassen.
Sollte das rechtzeitig gelingen, könnte Volocopter nächsten Sommer das erste mal in Europa Passagiere bei kommerziellen Flügen transportieren. Das ist allerdings nicht in Deutschland geplant – sondern bei den Olympischen Spielen in Paris. „Ich bin absolut sicher: Wir werden nächstes Jahr im Sommer in Paris fliegen“, sagt Hoke. Wenig später will Volocopter auch einen Taxidienst in Rom starten.
Technisch sei das Fluggerät dafür bereit, sagt Manager Hoke: „Wir sind bereits über 20 Minuten und schneller als 120 Kilometer pro Stunde geflogen.“ Die Strecken, die in Paris angepeilt seien, könne der VoloCity auch bei starkem Gegenwind fliegen und mit einer Batterie, die am Ende ihrer Lebensdauer ist.
In Deutschland prüfen verschiedene Städte mögliche erste Flugtaxistrecken, etwa an den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn. In Ingolstadt wiederum soll eine Studie die Möglichkeiten für ein bayernweites Flugtaxi-Netzwerk ausloten. Das Bundesverkehrsministerium hat unterdessen eine Expertengruppe ins Leben gerufen, die ab diesen April technische und rechtliche Fragen für computergesteuerte Flüge klären soll. Im zweiten Halbjahr 2023 solle auch ein Gesetzesentwurf für einen vereinfachten und sicheren Betrieb von Drohnen in Deutschland vorgelegt werden, heißt es im Ministerium.
Fünf Ideen für die Mobilitätswende
Das Aufreger-Thema „Tempolimit“ wird öffentlich fast ausschließlich mit Bezug auf Autobahnen diskutiert. Geschwindigkeitsbegrenzungen innerorts hingegen bleiben unter dem Radar, obwohl sie starke Fürsprecher haben, vor allem unter den Kommunen. Die im Juli 2021 von den sieben Städten Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm gegründete Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ ist inzwischen auf über 850 Mitglieder angewachsen. Neben kleineren und mittelgroßen Kommunen haben sich seit Gründung auch mehrere Großstädte wie Düsseldorf, Frankfurt, Köln, Saarbrücken oder Freiburg der Initiative angeschlossen. Die Bürgermeister fordern den Bund auf, rechtliche Rahmenbedingungen für den großflächigen Einsatz von Tempo-30-Zonen zu schaffen. Nach Ansicht der Initiative würde die Leistungsfähigkeit des Verkehrs durch eine großflächige Einführung nicht eingeschränkt, die Aufenthaltsqualität der Bewohner hingegen spürbar gesteigert. Auf einigen Hauptverkehrsstraßen soll den Plänen zufolge weiterhin Tempo 50 möglich bleiben.
(Stand: Juli 2023)
In Städten könnten Fahrräder eine taugliche Alternative zu Auto und ÖPNV sein. Spaß macht das Radeln aber in den wenigsten Citys, allein schon wegen Ängsten um die eigene Sicherheit. Die Unfallforscher der Versicherung (UDV) haben vor diesem Hintergrund mehrere Vorschläge entwickelt, den Radverkehr weniger gefährlich zu machen. Darunter findet sich auch die Idee zur besseren Sicherung von Grundstückseinfahrten. Fast jeder fünfte Unfall zwischen einem Radler und einem Pkw spielt sich an den Zufahrten zu Firmengeländen, Tankstellen, Supermarkt-Parkplätzen und Parkhäusern ab. Fast jeder siebte Unfall mit schwerverletzten oder getöteten Radfahrern passiert an einer solchen Grundstückszufahrt. Je nach Frequenz und Lage könnten die Kommunen für die Zufahrten freie Sichtachsen, das Anbringen von Spiegeln oder sogar die Installation einer Ampel vorschreiben.
(Stand: August 2022)
E-Autoprämie und Dienstwagensteuer fördern vor allem elektrische SUV und Premiumlimousinen mit zwei und mehr Tonnen Gesamtgewicht. Kein Geld hingegen gibt es zumindest aus diesen Töpfen für elektrische Leichtfahrzeuge. Die großen Autohersteller ignorieren die Zulassungsklassen L1e bis L7e mit ihren leichten und langsamen, aber effizienten und ressourcensparenden Stromern fast komplett – mit wenigen Ausnahmen wie dem Opel e-Rocks und dem Renault Twizy. Stattdessen tummelt sich dort eine unüberschaubare Vielzahl kleiner Anbieter mit teils exotisch anmutenden Zwei-, Drei- und Vierrädern. Die Micromobile taugen zum Pendeln, zum Einkaufen, zum Sightseeing oder auch zum Warentransport. Der Bundesverband E-Mobilität (BEM) fordert schon seit langem von den unterschiedlichen Bundesregierungen eine finanzielle Förderung sowie die Erhöhung der meist auf 45 km/h begrenzten Geschwindigkeit auf innenstadttauglichere Werte. Bislang allerdings erfolglos.
(Stand: August 2022)
„Der Verkehr leidet in der Hauptsache daran, dass die Berufspendler zwei Mal am Tag alles verstopfen“, sagt Günter Schuh. Der E-Mobilitätspionier und Hochschul-Professor will das Problem mit seinem frisch gegründeten Shuttle-Dienst e.Volution lösen. Der Dienstleister stellt Unternehmen elektrische Mini-Vans mit sieben Sitzen zur Verfügung, die morgens die Belegschaft einsammeln und ihnen während der Fahrt ins Büro mobile Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Deswegen zahlt der Weg bereits aufs Zeitkonto ein, was die Akzeptanz des gemeinschaftlichen Transports erhöhen soll. Verhandlungen mit Großunternehmen laufen bereits, 2024 sollen die ersten Meta-Mobile auf der Straße sein.
(Stand: August 2022)
Neue U- und Straßenbahnen sind teuer und langwierig im Bau. In manchen Anwendungsfällen könnte die Seilbahn eine Alternative sein. Einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC zufolge schneiden sie bei Bau und Betrieb besser ab als die schienengebundenen ÖPNV-Lösungen. Die Kosten für Seilbahnsysteme pro Kilometer betragen den Experten zufolge etwa 10 bis 20 Millionen Euro – und liegen damit auf dem Niveau einer Straßenbahnstrecke. Da kein Betriebshof und keine Signal- und Verkehrsleittechnik erforderlich sind, sind die gesamten Investitionskosten im Verkehrsmittelvergleich gering. Zudem ist die Bauzeit von Seilbahnen mit 12 bis 18 Monaten relativ kurz. Dazu kommen der Studie zufolge wirtschaftliche Vorteile im Unterhalt, unter anderem ist der Energieverbrauch nur halb so hoch wie bei schienengebundenen Verkehrsmitteln. Ob Seilbahnen für eine konkrete Anwendung in einer Stadt geeignet sind, lässt sich laut PwC aber nur für den Einzelfall beantworten. Bei der Planung sei unter anderem mit Widerstand in der Bevölkerung zu rechnen, die eine Beeinträchtigung des Stadtbildes befürchten.
(Stand: August 2022)
Experten: Dem ersten Start-up droht die Pleite
Entscheidend wird das Jahr für die Branche auch In finanzieller Hinsicht. Steigende Zinsen und die unsichere Konjunkturlage lassen Investoren vorsichtiger werden. Insgesamt werde die Branche weniger Wagniskapital einsammeln als im Vorjahr, prophezeien die Beobachter von SMG Consulting. Mindestens einem Flugtaxi-Hersteller werde dieses Jahr das Geld ausgehen.
Den deutschen Herstellern zumindest ist es jüngst noch einmal gelungen, frisches Geld einzusammeln. Lilium hat im November eine Kapitalerhöhung in Höhe von 119 Millionen US-Dollar bekannt gegeben, umgerechnet 112 Millionen Euro. Volocopter sammelte zum Jahresende noch einmal 182 Millionen Euro ein. „Wir haben die Finanzierung für dieses Jahr gesichert“, sagt Volocopter-Chef Hoke.
Doch schon für das Jahr 2024 brauchen die Unternehmen neues Geld. Volocopter will die laufende Series-E-Finanzierungsrunde „ans obere Limit bringen“. „Unser Ziel ist es, damit die Finanzierung bis Ende 2024 sicher zu stellen“, sagt Hoke. Genaue Summen nennt Hoke nicht. Doch es dürfte noch einmal ein dreistelliger Millionenbetrag nötig sein.
Zumal bald in Bruchsal auch die Fertigung des VoloCity beginnen soll – und Volocopter auch ein größeres Modell entwickelt, das vier Passagiere plus einen Piloten 100 Kilometer weit transportieren soll.
Warten auf die Wunderakkus
Noch gibt die kommerzielle Batterietechnik das nicht her. „Ab 2025 wird es Hersteller geben, die Batterien mit hoher Qualität industriell fertigen, mit denen wir einen vollbesetzten Fünfsitzer über größere Distanzen fliegen können“, sagt Hoke. Die Energiedichte soll dann 40 Prozent höher sein als die der Zellen, die Volocopter heute verwendet.
Konkurrent Lilium und dessen Batteriepartner Customcells haben vor wenigen Tagen angekündigt, die Fertigung von Hochleistungsbatterien hochzufahren. Kürzlich hat sich Lilium auch an einer Finanzierungsrunde beim kalifornischen Batterieentwickler Ionblox beteiligt. Dessen Akkus sollen gegenüber handelsüblichen Lithium-Ionen-Akkus mehr Spitzenleistung, eine höhere Energiedichte und schnellere Ladezeiten bieten.
Wie weit die ersten Flugtaxis fliegen können, welche Routen sie bedienen können, wird also auch davon abhängen, ob und wie schnell die Batterieentwickler ihre Versprechen einlösen können. Noch aber sind auch das nur: Versprechen. Manche in der Branche korrigieren die Zielmarke derweil dezent nach hinten, etwa Hyundai mit seiner Marke Supernal. Nicht 2024 oder 2025, sondern 2028 sollen dessen Flieger kommerziell abheben – pünktlich zu den Olympischen Spielen in Los Angeles.
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